Es begann ganz harmlos mit einem Forderungskatalog, der beim Chef der Justizvollzugsanstalt (JVA) Celle eines Morgens auf dem Schreibtisch lag. Auf einer DIN- A4-Seite, die der NDR inzwischen veröffentlicht hat, war unter dem Datum 29.6.2011 aufgeführt, was die harten Jungs von Station C sich so für ihre Zukunft vorstellten. "Mehr Ausgang ohne Fesseln" stand da, und: "Bestellmöglichkeiten egal wo". Unter Punkt 12 werden "eigene gepolsterre Möbel und Stühle" gefordert und unter Punkt 24 findet sich schließlich die Forderung: "Frauen in SV!" Das schnörkellos formulierte Schreiben endet mit der klaren Ansage: "Nicht sofort umsetzung, ansonsten Hungerstreik!"
Station C, das sind die Sicherungsverwahrten. 20 Männer, die teils seit vielen Jahren zu Gast in der JVA Celle sind. Vergewaltiger, Räuber und gewohnheitsmäßige Gewaltverbrecher, die ihre eigentliche Haftstrafe bereits abgesessen haben, aber dennoch nicht freigelassen wurden, weil von ihnen nach wie vor eine erhebliche Gefahr ausgeht. Vielleicht hat Anstaltsleiter Werner Cordes sich gedacht, die spinnen doch. Vielleicht hat er aber auch einen siebten Sinn gehabt, als er das zuständige niedersächsische Justizministerium informierte und noch am selben Tag jemanden auf Station C schickte, um mit den Männern über ihren Wunschzettel zu reden. Genutzt hat es nichts. Fünf Celler Sicherungsverwahrte im Alter von 50 bis 71 Jahren haben ihre Drohung vom 29. Juni wahr gemacht und sind seit dem 1. August im Hungerstreik. Den Grund hat einer der Männer in einer Erklärung formuliert, die der NDR kürzlich veröffentlichte. Darin heißt es, man protestiere gegen "diesen verfassungswidrigen Willkürvollzug".
Es hagelt Anzeigen gegen den Justizminister
Ein Politikum. Denn im Mai hatte das Bundesverfassungsgericht insbesondere die Ähnlichkeit von Haftstrafe und Sicherungsverwahrung gerügt und ein besseres Therapieangebot für die Täter gefordert. Bis 2013 haben die Anstalten nun Zeit, die Vorgaben umzusetzen. Den fünf Celler Hungerstreikenden ist das zu lange. Sie sprechen von "Hinhalte-Taktik" sowie "immer noch weitergehenden verfassungswidrigen Entmündigungsversuchen und Bevormundungen" - weshalb drei von ihnen kurzerhand gegen den für sie zuständigen niedersächsischen Justizminister Bernd Busemann (CDU) Anzeige wegen "Verletzung der Menschenwürde und Missachtung des Verfassungsgerichtes" erstatteten.
Busemann wiederum winkt ab und verweist auf den Tenor der Karlsruher Entscheidung. Darin heißt es, dass die bisherigen Vorschriften nicht für nichtig erklärt worden sind, da dies zur Folge hätte, dass alle in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen bis zu einer Neuregelung zumindest vorübergehend freigelassen werden müssten. Dies würde Gerichte, Verwaltung und Polizei jedoch vor kaum überwindbare Hindernisse stellen und den Schutzinteressen der Bevölkerung nicht hinreichend gerecht werden. Derzeit sitzen etwa 500 Schwerkriminelle in Sicherungsverwahrung.
Punkt 24: "Frauen in SV!"
Als Georg Weßling, Sprecher des Ministers, Anfang August von Journalisten gefragt wurde, was die Aufständischen in Celle denn eigentlich an konkreten Veränderungen fordern, ahnte er nicht, dass er mit seiner Antwort eine weitere Eskalationsstufe im "Fall Celle" auslöste. Er sagte, den Hungerstreikenden ginge es unter anderem um freien Zugang zu Alkohol, ungestörten "Damenbesuch" und den Zugang zu möglicherweise zweifelhaften Internetportalen und Pay-TV-Kanälen. Und, zack, hatte auch er seine Anzeige weg. Einer der Hungerstreikenden wirft ihm "bewusste Falschaussage und Volksverhetzung" vor und der rechtspolitische Sprecher der niedersächsischen Grünen, Helge Limburg, stellt in einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung die Frage, ob "hier gezielt versucht worden ist, den Hungerstreik in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen".
Die Karlsruher Richter hatten im Mai ausdrücklich gefordert, dass Sicherungsverwahrte besser gestellt werden müssen, als "normale" Gefangene, weil sie ihre Haftstrafe ja schon abgesessen haben. Den Justizvollzugsanstalten war deshalb auferlegt worden, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Betroffenen einen Alltag zu schaffen, der "den allgemeinen Lebensbedingungen angepasst ist, soweit Sicherheitsbelange dem nicht entgegenstehen". Doch dachten die Richter dabei an Wünsche, wie die der Celler Hungerstreikenden?
"Justizia" hat sich im Gästebuch verewigt
Bei ihrem Treffen am Dienstag diskutierten die Justizstaatssekretäre von Bund und Ländern in Berlin genau darüber. Denn die Reform der Sicherungsverwahrung für besonders gefährliche Straftäter ist auch in der Politik ein heißes Eisen. Union und SPD warnen gemeinsam mit Opferverbänden wie dem Weißen Ring davor, mit allzu vielen Lockerungen oder gar Freilassungen gefährlicher Straftäter die Sicherheit von Frauen und Kindern aufs Spiel zu setzen. Liberale, wie die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und verschiedene Gefangenhilfsinitiativen wiederum sehen zurzeit den Resozialisierungsgedanken in der modernen Strafverfolgung gefährdet und machen sich für eine Freilassung der Sicherungsverwahrten stark.
"Justizia", die sich am 3. August im Gästebuch auf der Homepage der JVA Celle verewigt hat, meint hingegen: "Wieso schenkt man den "Streikenden" überhaupt Gehör?? Wenn sie hungern wollen bitte. Das ist wirklich Nichts, mit dem sich die Öffentlichkeit oder sonst wer befassen sollte. In Afrika verhungern die Kinder und hier wird in Medien über VERBRECHER berichtet, die FREIWILLIG NICHTS essen. Ignorieren ignorieren ignorieren ist das Einzige was mir da in den Sinn kommt!!!!!!"
Die fünf Celler Sicherungsverwahrten streiken derweil weiter und haben laut Justizministerium ein Gesprächsangebot abgelehnt, obwohl einige der Forderungen bereits umgesetzt und andere in Arbeit seien. So seien "private Kleinmöbel, auch mit Polster, ein exklusiver Zugang zum Fitnessraum, ein längerer Aufenthalt im Freien unter anderem auf einem eigenen Freistundenhof, mindestens zwei Ausführungen pro Jahr und der Empfang von privaten Wäsche- und Kleidungspaketen" erlaubt. Weitere Freizeitangebote wie Kochkurse, die Einrichtung eines Computerraumes auf der Station und regelmäßige Treffen mit den Angehörigen sollen noch in diesem Jahr ermöglicht werden. In puncto "Damenbesuch", Alkohol und freiem Internetzugang allerdings bleibt die JVA Celle eisern. "Keine Chance", meint das Ministerium.