Kurioser Fall in Japan Auf dem Sterbebett behauptet er, ein gesuchter Top-Terrorist zu sein. Sagt er die Wahrheit?

Die East Asia Anti-Japan Armed Front verübte Bombenanschläge in Japan. Ihr Mitglied Satoshi Kirishima wurde jahrelang mit Fahndungsplakaten gesucht
Die East Asia Anti-Japan Armed Front verübte Bombenanschläge in Japan. Ihr Mitglied Satoshi Kirishima wurde jahrelang mit Fahndungsplakaten gesucht
© Polizei Präfektur Osaka / Kyodo News / Imago Images
Linksextremisten verübten in den 1970er-Jahren mehrere Bombenanschläge in Japan. Die Polizei fahndet 50 Jahre lang nach einem der Terroristen. Dann behauptet ein Mann kurz vor seinem Tod, der Gesuchte zu sein. Ein DNA-Test bringt Gewissheit.

Fast jeder Japaner kannte sein Gesicht. Über Jahrzehnte hinweg lächelte der junge Mann mit langen Haaren und eckiger Brille die Menschen an – von einem Fahndungsplakat. Nun ist die Aufklärung eines der mysteriösesten Verbrechen Japans nach fast einem halben Jahrhundert ein großes Stück näher gerückt.

Der Mann auf dem Plakat: Satoshi Kirishima. Seit den 1970er Jahren wurde er wegen einer Serie von Bombenanschlägen von der japanischen Polizei gesucht, die er als Mitglied der linksextremistischen Organisation East Asia Anti-Japan Armed Front begangen haben soll. Rund 50 Jahre später tauchte er aus dem Untergrund auf. In einem Krankenhaus, todkrank, gestand er: "Ich bin Satoshi Kirishima". Wenige Tage später verstarb er und die Ermittler standen vor der Frage: War dieser Mann wirklich der gesuchte Top-Terrorist?

East Asia Anti-Japan Armed Front verübte Bombenanschläge in Tokio

Japan in den 1970er Jahren. Ähnlich wie die Rote Armee Fraktion (RAF) in Deutschland verbreiteten linksextremistische Terrorgruppen in Japan und darüber hinaus Angst und Schrecken. Die Japanische Rote Armee (JRA) machte beispielsweise 1972 mit einem Anschlag auf den Flughafen von Tel Aviv in Israel weltweit Schlagzeilen. 26 Menschen wurden dabei getötet.

Zu diesen Gruppen gehörte auch die East Asia Anti-Japan Armed Front, die Anschläge auf japanische Unternehmen verübte, so 1974 auf Mitsubishi Heavy Industries in Tokio. Dabei kamen acht Menschen ums Leben. Ein Jahr später folgte ein Bombenanschlag im Tokioter Nobelviertel Ginza. Kirishima, der in Hiroshima geboren wurde, soll an diesem Anschlag und an vier weiteren beteiligt gewesen sein. Nach dem Ginza-Attentat tauchte er fast 50 Jahre lang unter und wurde auf die Liste der meistgesuchten Japaner gesetzt.

Im Januar dieses Jahres ließ sich ein 70-jähriger Mann zur Krebsbehandlung in ein Krankenhaus einweisen. Unter falschem Namen, wie sich herausstellt. Wenige Tage später gibt er zu, der gesuchte Kirishima zu sein.

Satoshi Kirishima führte ein Doppelleben

Als Hiroshi Uchida führte Kirishima ein Doppelleben. Japanischen Medienberichten zufolge arbeitete er in der Stadt Fujisawa südlich von Tokio bei einer Baufirma; Nachbarn grüßte er freundlich. Seinen Lohn ließ er sich demnach in bar auszahlen. Um unter dem Radar der Behörden zu bleiben, hatte er zudem keine Krankenversicherung, keinen Führerschein und vermied Geldüberweisungen.

Wie die Zeitung "Asahi Shimbun" berichtete, besuchte Kirishima alias Uchida häufig ein Restaurant in der Nähe seiner Wohnung, wo er laut Mitarbeitern gerne Alkohol trank und Rockmusik hörte. "Er hatte ein ruhiges Auftreten und ich hätte nie gedacht, dass er der Firmenbomber war", sagte der Besitzer der Zeitung.

Ein Kollege Kirishimas sagte TV Asahi, er habe im Vergleich zum Fahndungsfoto "viel Gewicht verloren". Medienberichten zufolge zahlte Kirishima die Behandlung seines Magenkrebses aus eigener Tasche und gab erst nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus seine wahre Identität preis. "Ich möchte dem Tod mit meinem richtigen Namen entgegentreten", sagte Kirishima dem Krankenhauspersonal nach Angaben des öffentlich-rechtlichen Senders NHK. Vier Tage später, am 29. Januar, verstarb er.

DNA-Test bestätigt: Es war Kirishima

Doch die Polizei wollte sichergehen. Sie nahm kurz vor seinem Tod DNA-Proben von Kirishima und verglich sie mit denen seiner Verwandten, da es keine Fingerabdrücke des Mannes gab. Die Ergebnisse zeigten nun, dass es "keine Unstimmigkeiten in der Verwandtschaft" gab, wie die Nachrichtenagentur Kyodo berichtete. Die Ermittler wollten aber weiter untersuchen, wie der Mann 49 Jahre auf der Flucht überleben konnte und ob ihm dabei jemand geholfen hatte. Zu diesem Zweck wurde auch Kirishimas Wohnung durchsucht.

Das undatierte Fahndungsfoto zeigt die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette
Das undatierte Fahndungsfoto zeigt die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette. Klette ist in Berlin gefasst worden.
© RTL / DPA
30 Jahre untergetaucht: RAF-Terroristin Daniela Klette festgenommen

Während des mehrtägigen Verhörs im Krankenhaus bestritt Kirishima laut Kyodo, etwas mit dem Anschlag in Ginza zu tun zu haben. Er habe jedoch angedeutet, dass er an anderen Bombenanschlägen auf eine Baufirma beteiligt gewesen sei und dies bereue. Er habe auch gesagt, dass er ohne Hilfe untergetaucht sei. "Ich hatte keinen Kontakt zu anderen (Gruppen-)Mitgliedern und lebte lange Zeit allein", sagte er laut "Asahi Shimbun".

Die East Asia Anti-Japan Armed Front verübte insgesamt zwölf Bombenanschläge, darunter auch mehrere im Ausland. Diese Anschläge richteten sich unter anderem gegen das Handelshaus Mitsui & Co. sowie die Bauunternehmen Taisei und Kajima als Protest gegen die militärische und wirtschaftliche Expansion Japans in Ostasien vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Opfer-Angehöriger hofft auf Aufklärung

Im Mai 1975 wurden acht Personen verhaftet, die an den Anschlägen beteiligt gewesen sein sollen. Da sich einige Verdächtige noch im Ausland aufhalten, wurde die Verjährung im Fall Kirishima ausgesetzt, berichtete Kyodo. 

Obwohl Satoshi Kirishima verstorben ist, hat die Tokioter Polizei bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen ihn wegen versuchten Mordes und Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz eingereicht, schrieb die Zeitung "Yomiuri Shimbun" am Dienstag. Ein Verwandter eines der Bombenopfer sagte der Zeitung, er hoffe, dass die Polizei "mit den Worten und Spuren, die der Mann hinterlassen hat, etwas Licht in die Bombenanschläge bringen kann".

PRODUKTE & TIPPS