Es ist eine erschütternde Bilanz, die die Ermittler im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach am Mittwoch gezogen haben: Seit Ende 2019 haben sie bislang bundesweit 439 Tatverdächtige identifiziert. Zudem konnten 65 Kinder aus den Fängen von Pädokriminellen befreit werden, wie die Sonderermittlungsgruppe "Berg" bei der Vorstellung ihrer Einsatzbilanz in Köln erklärte. Aus Nordrhein-Westfalen kamen demnach 102 der Beschuldigten.
Die ersten Hinweise auf die Missbrauchsserie seien Ende Oktober 2019 bei der Polizei eingegangen, sagte der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob. Zur Gründung der sogenannten Besonderen Aufbauorganisation (BAO) "Berg" hätten zunächst 30 Mitarbeiter die Ermittlungen übernommen. Später habe sich herausgestellt, dass deutlich mehr Polizisten gebraucht wurden. An der Spitze hätten allein in Nordrhein-Westfalen knapp 350 Beamte in dem Komplex ermittelt.
80 Jahre Haft wegen Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach
Bundesweit wurden im Zusammenhang mit dem Missbrauchskomplex 27 Tatverdächtige festgenommen, davon 13 Beschuldigte in Nordrhein-Westfalen. In 13 gerichtlich verhandelten Fällen wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft Köln insgesamt mehr als 80 Jahre Haftstrafe verhängt. Hunderte Verfahren seien an andere Staatsanwaltschaften abgegeben worden.
"Wir haben Tatverdächtige aus allen Gesellschaftsschichten", sagte Ermittlungsgruppenleiter Michael Esser. Darunter seien "Gutverdiener und hoch gebildete Menschen" sowie "einfache Leute". "Die gingen ganz normal ihrer Arbeit nach, und auch im Arbeitsumfeld gab es keine Hinweise darauf, dass solche Taten verübt wurden", sagte Esser.
Opfer zwischen 3 Monaten und 17 Jahren
In den meisten Fällen stammten die Beschuldigten den Ermittlern zufolge aus dem engsten Familienumfeld. Die Kinder, die dem Missbrauch zum Opfer fielen, waren zwischen unter einem Jahr und 17 Jahren alt. Das jüngste Vergewaltigungsopfer sei zum Tatzeitpunkt drei Monate alt gewesen. Das Baby sei von seinen Peinigern vergewaltigt worden, sagte Esser.
Die Befreiungen aus "aktiven Missbrauchssituationen" seien teilweise "sehr surreal" gewesen, etwa wenn die Kinder nach der Trennung von den Missbrauchstätern geweint hätten. Zum Beispiel habe sich ein Mädchen in Aachen während einer Anhörung verzweifelt an ein Stofftier festgeklammert, das es von seinem Onkel geschenkt bekommen habe. "Die Tragik in dieser Aussage nahm uns alle mit, denn dieser Onkel war unser Tatverdächtiger, der ihr unbeschreibliches Leid angetan hatte", heißt es in einem Bericht des Einsatzleiters. "Selbst die erfahrensten Ermittlerinnen und Ermittler waren über die Schwere des Missbrauchs erschüttert."
Sexueller Kindesmissbrauch werde weiter bekämpft
"Ich glaube nicht, dass wir mit der BAO 'Berg' eine erhebliche Abschreckung erreicht haben", sagte Polizeipräsident Jacob. Sexueller Kindesmissbrauch finde weiter in der Gesellschaft statt und werde trotz Auflösung der Sonderermittlungsgruppe auch in Köln weiterhin "vehement" bekämpft.

Der Komplex Bergisch Gladbach ist einer von drei großen Missbrauchsserien, denen Ermittler in Nordrhein-Westfalen auf die Spur kamen. Dabei geht es um ein Netzwerk aus Tätern, die Kinder missbrauchten und untereinander in Chats kinderpornografisches Material austauschten. Der als Hauptbeschuldigter geltende Jörg L. wurde rechtskräftig zu zwölf Jahren Haft verurteilt.