Mordprozess el-Sherbini Stoisch selbst beim Schuldspruch

  • von Lars Radau
Regungslos hat Alex W. das Urteil des Dresdner Landgerichts hingenommen: Der 28-Jährige muss wegen Mordes an der Ägypterin Marwa el-Sherbini lebenslang hinter Gitter. Emotionen zeigte er selbst dann nicht, als die Richterin ihn persönlich anging.

Das Urteil nahm Alex W. auf, wie er schon den größten Teil des Prozesses über sich hatte ergehen lassen: Absolut regungslos. Sein von einer blauen Kapuze und einem schwarzen Tuch vor den Blicken der Zuschauer verborgener Kopf zuckte nicht, seine blassen Hände blieben vor dem Bauch gefaltet, als Richterin Birgit Wiegand das Strafmaß verkündete. Der 28-jährige muss für den Mord an der Ägypterin Marwa el-Sherbini eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen. Gleichzeitig erkannte die Schwurgerichtskammer des Dresdner Landgerichts auf die besondere Schwere der Schuld. Das heißt, dass auch eine theoretisch mögliche vorzeitige Haftentlassung des Russlanddeutschen nach 15 Jahren praktisch ausgeschlossen ist.

Die Tat, die der im sibirischen Perm geborene W. am 1. Juli im kleinen Sitzungssaal 10 des gleichen Gerichts begangen hatte, erfüllt laut Richterin Wiegand nicht nur die Mordmerkmale der Heimtücke und der niederen Beweggründe. "Der Fremdenhass zieht sich wie ein roter Faden durch Ihr Leben in Deutschland", sprach die Kammervorsitzende den Angeklagten direkt an. Erschwerend komme hinzu, dass W. die ausgebildete Pharmazeutin erstens gezielt an einer Engstelle des Gerichtssaals und zweitens vor den Augen ihres Mannes und ihres damals zweijährigen Sohnes mit einem 18 Zentimeter langen Messer angegriffen hatte.

"Marwa el-Sherbini hatte keine Chance", sagte Wiegand. Mehr als 15 "schnell und mit großer Wucht ausgeführte Stiche" trafen die zum damaligen Zeitpunkt schwangere Frau. Einer der ersten davon durchstach den Herzbeutel. "Das ist eine Verletzung, die Sie praktisch nur überleben können, wenn Sie Ihnen quasi direkt neben dem Operationstisch zugefügt wird", sagte Wiegand. Die weniger als fünf Minuten, die es dauerte, bis die ersten Retter vor Ort waren, reichten nicht. Selbst als W´s Verteidiger damals im Chaos im Gerichtssaal versucht habe, eine Bank zwischen den Täter und sein Opfer zu schieben, habe der 28-Jährige gezielt weiter auf die Frau eingestochen.

"Eine Tat im Affekt kommt nicht in Betracht"

"Ihr Handeln, das Einschmuggeln des Messers in den Gerichtssaal, das Abwarten des günstigen Angriffszeitpunkts war dermaßen planvoll, dass für die Kammer auch eine Tat im Affekt nicht in Betracht kommt", sagte Wiegand. Zumal W. auch bis zum Angriff - die Verhandlung war fast abgeschlossen - in keiner Form aggressives oder aufgebrachtes Verhalten habe erkennen lassen. Lediglich durch verbale, im ruhigen Ton oder schriftlich vorgetragene, aber "inhaltlich indiskutable und abstoßende" Ausfälle gegen Ausländer und insbesondere Muslime sei W. in den vorhergehenden Runden des Beleidigungsprozesses aufgefallen.

Das Verfahren hatte el-Sherbini wegen einer Auseinandersetzung auf einem Spielplatz gegen den drahtigen Mann angestrengt. W. hatte die gläubige Muslima wegen ihres Kopftuchs unter anderem als "Islamistin" und "Terroristin" beschimpft und ihr angedroht, ihren Sohn "zu Tode zu schaukeln". Dabei, so Richterin Wiegand, sei der Anlass "nichtig" gewesen: Die Ägypterin hatte W. freundlich gebeten, eine von zwei Schaukeln für ihr Kind freizugeben.

In ihrer fast zweistündigen Urteilsbegründung hielt Wiegand dem Angeklagten zudem vor, Verantwortung für Fehler immer nur bei anderen zu suchen. Habe er noch in Russland vom Neustart in Deutschland geträumt, sei ihm nach seiner Aussiedlung das Leben dort als "Multikultischeiße" vorgekommen. W., der von Bekannten, aber auch dem psychiatrischen Gutachter Stephan Sutarski als eigenbrötlerisch und kontaktscheu beschrieben worden war, sei der Meinung gewesen, dass Ausländer ihm die Arbeit wegnähmen - und im Zweifelsfall auch potenzielle Freundinnen ausspannten. "Zu konkreten Beispielen haben Sie sich aber nicht geäußert", stellte Wiegand fest.

Bescheinigung ohne Nutzen

Ähnlich deutlich verwarf sie auch die Strategie von W's Pflichtverteidiger Michael Sturm, der bei seinem Mandanten für eine verminderte Schuldfähigkeit plädiert hatte. Als 20-Jähriger sei W. wegen einer "nicht spezifizierten Schizophrenie" aus dem Armeedienst entlassen worden, hatte Sturm betont.

Dass eine entsprechende Bescheinigung aus Russland vorlag, nützte dem Angeklagten wenig. Erstens, so Richterin Wiegand, gehe aus dem Papier hervor, dass er sich schon in Russland einer freiwilligen "Therapie-Diskussions-Gruppe" hätte anschließen können. Das aber habe W. ebenso wenig getan wie er bei seiner Eingliederung und seiner Berufsausbildung in Deutschland auf Hilfsangebote einer Sozialarbeiterin eingegangen sei. Und zweitens hätten weder die Kammer noch der psychiatrische Gutachter im Umgang mit W. Hinweise oder Signale einer schizophrenen Störung wahrnehmen können. "Und die Kammer hat mit solchen Symptomen durchaus Erfahrung", betonte Wiegand.

Verteidiger deutet Revision an

Kennzeichnend für den Angeklagten sei viel eher, dass er sich auch in den Sitzungen mit dem psychiatrischen Gutachter eher damit beschäftigt habe, dass er mit der Tat sein Leben "versaut" habe, als über andere Folgen nachzudenken. "Einen Gedanken daran, was Sie in der Familie Ihres Opfers angerichtet haben, scheint es nicht gegeben zu haben", sagte Wiegand. Wirkliche Reue sehe anders aus.

W., der auch diese Schluss-Sentenz der Urteilverkündung ohne sichtliche Regung über sich ergehen ließ, hat jetzt eine Woche Zeit, Revision gegen das Urteil einzulegen. Nächste Instanz wäre dann der Bundesgerichtshof, der die Fakten und das Urteil allerdings nicht mehr inhaltlich prüft, sondern die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bewertet. W's Verteidiger Michael Sturm kündigte bereits unmittelbar nach der Verhandlung auf dem Gerichtsflur an, darüber mit seinem Mandanten "jetzt sehr intensiv nachzudenken".

PRODUKTE & TIPPS