In Berlin ermittelt eine Mordkommission des Landeskriminalamtes, nachdem am Wochenende eine Jugendliche im Hauptbahnhof von einem Bundespolizisten angeschossen wurde. Das bestätigte eine Sprecherin der Berliner Polizei dem stern. "Solche Ermittlungen sind im Falle von Schusswaffengebrauch durch Polizisten obligatorisch."
Die Bundespolizei war am Samstagmittag zur Filiale der Drogeriemarktkette Rossmann in einem Zwischengeschoss des Hauptbahnhofes gerufen worden. Der Ladendetektiv des Geschäfts hatte nach Angaben der Bundespolizei die Jugendliche beim Stehlen erwischt und sie bis zum Eintreffen der Beamten in einem Nebenraum festgesetzt (der stern berichtete).
Polizei schießt in Berlin auf mutmaßliche Ladendiebin
Was genau sich in der Rossmann-Filiale abgespielt hat, ist noch unklar. "Das ist Bestandteil unserer Ermittlungen", sagte die Sprecherin der Berliner Polizei. Auch die Staatsanwaltschaft sei eingebunden.
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Die Bundespolizei, deren Beamte für die Sicherheit am Berliner Hauptbahnhof zuständig sind und am Samstagnachmittag bei Rossmann im Einsatz waren, könnte Aufklärung liefern, was dem Schusswaffeneinsatz vorausging. Die einzige Presseinformation, die rund 70 Stunden nach dem Vorfall versendet wurde, enthält jedoch nur spärliche Angaben: "Samstagnachmittag, gegen 14 Uhr, setzten Einsatzkräfte der Bundespolizei die Schusswaffe ein, um einen Angriff mit einem Messer zu stoppen. Eine 15-jährige Jugendliche, die nach einem mutmaßlichen Ladendiebstahl festgestellt wurde, bewegte sich trotz Aufforderung, das Messer fallen zu lassen, mit diesem in der Hand auf die Bundespolizisten zu. Die Jugendliche wurde in Folge einer Verletzung an der Hand ärztlich behandelt." Weitere Auskünfte will die Bundespolizei "aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens" nicht machen.
So bleiben viele Fragen zu dem Einsatz, etwa in welchem psychischen Zustand sich die Jugendliche befunden hat oder ob der Vorfall durch Kameras dokumentiert wurde, für die Öffentlichkeit vorerst im Dunkeln.
Die Berliner Feuerwehr war nach eigenen Angaben mit knapp 50 Einsatzkräften vor Ort. Neben der mutmaßlichen Ladendiebin wurden weitere Personen durch das eingesetzte Pfefferspray verletzt. Die von dem Projektil getroffene Jugendliche wurde laut Polizei auch am Sonntag noch stationär im Krankenhaus behandelt. Wie schwer ihre Verletzungen sind, ist nicht bekannt.
Der Einsatz löste trotz der fehlenden Informationen erneut eine Diskussion über den Waffengebrauch der Polizei in Deutschland aus. Während insbesondere in den sozialen Netzwerken heftige Kritik am Schusswaffeneinsatz gegen eine 15-Jährige geäußert wurde, stellte sich die Gewerkschaft der Polizei hinter den Beamten: "Kein Polizist schießt gern. Unsere Kollegen kommen aber leider auch in derartige Ausnahmesituationen, in denen sie binnen wenigen Augenblicken Entscheidungen treffen müssen und in denen auch der Gebrauch der Schusswaffe als letztes Mittel nicht mehr zu verhindern ist", erklärte ihr Sprecher Benjamin Jendro.
Diskussion über Schusswaffeneinsätze der Polizei
Zuletzt wurde in Dortmund unter anderem Anklage gegen einen Polizeibeamten wegen Totschlags erhoben. Er hatte im August des vergangenen Jahres einen im psychischen Ausnahmezustand befindlichen 16-Jährigen mit mehreren Schüssen aus der Maschinenpistole getötet. Nach Darstellung der Polizei soll der Jugendliche mit einem Messer auf Einsatzkräfte losgegangen sein. Die Dortmunder Staatsanwaltschaft schenkt dieser Version der eingesetzten Beamten keinen Glauben und geht nicht davon aus, dass der Polizist in Notwehr geschossen hat.
Der Hamburger Polizeiwissenschaftler Rafael Behr forderte nach der Anklageerhebung und unabhängig vom jüngsten Berliner Fall im stern-Interview einen anderen Umgang der Polizei mit vermeintlichen oder tatsächlichen Messerangriffen, insbesondere durch psychisch kranke Personen. "Man kann nicht alle Situationen mit maximaler Feuerkraft klären, es muss auch eine Stufe drunter gehen." Er empfahl unter anderem, Polizisten besser für psychische Ausnahmesituationen auszubilden.
Quellen: Polizei Berlin, Bundespolizeidirektion Berlin, Berliner Feuerwehr, Gewerkschaft der Polizei, Nachrichtenagentur DPA