Prozess gegen Kneipenwirt Wettsaufen bis zum Tod

  • von Uta Eisenhardt
45 Gläser Tequila binnen einer Stunde: So viel becherte Schüler Lukas W., bis er das Wettsaufen gegen einen Kneipenwirt verlor. Dass sein Gegenüber nur Wasser trank, merkte Lukas nicht. Und auch sein Rückzieher kam zu spät, der 18-Jährige starb nach zwei Tagen Koma im Krankenhaus. Nun urteilen Richter über die Schuld des Wirts.

Es war ein unfairer Kampf. Vor zwei Jahren verabredete sich ein Barbetreiber zu einem Wetttrinken mit einem 16-Jährigen. Doch während Aytac G. vor allem Wasser trank, konsumierte sein minderjähriger Gegner innerhalb von 30 bis 60 Minuten mindestens 45 Gläser Schnaps. Als Stunden später die Feuerwehr in der Bar eintraf, sahen sie einen jungen Mann mit blau angelaufenem Gesicht. Er saß zusammen gesackt auf einer Bank. Ein Puls war nicht mehr fühlbar, Lukas W. war bereits klinisch tot. Und hätten die Rettungssanitäter dem Notarzt nicht mitgeteilt, es habe "schon mal Kreislauf zwischendurch" gegeben, hätte der den Patienten sofort aufgegeben. So aber brachte ihn der Arzt mit Adrenalin und Atropin wieder zum Atmen. Fünf Wochen lag der Gymnasiast im Koma, bevor er starb.

Heute nun muss sich der 28-Jährige Aytac G. vor dem Landgericht Berlin wegen Körperverletzung mit Todesfolge verantworten. Zudem wirft ihm Staatsanwalt Reinhard Albers 174 Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz vor, weil der Betreiber der "Eye T"-Bar zur Steigerung seines Gewinns Alkohol an über 30 Kinder und Jugendliche ausgeschenkt habe. Außerdem soll der Angeklagte falsche eidesstattliche Versicherungen abgegeben haben sowie andere überredet haben, solche abzugeben.

In jener Februarnacht sei er Gast auf einer Privatparty gewesen, die in seiner Bar stattfand, lässt der Deutschtürke mit dem kurzen lockigen Haar und dem runden Gesicht seine Verteidigerin Stefanie Schork vortragen. Er habe auf dieser Party bereits etliche Cocktails getrunken, als die Feier gegen 2 Uhr endete. Zwei Stunden später sei überraschend Lukas W. aufgetaucht. Die SMS "Hey, ich komm gegen vier. Lukas" will der ehemalige Wirt nicht gelesen haben. Lukas habe ihm dann das Wetttrinken vorgeschlagen. "Ich war damals schlecht ernährt, ziemlich müde und rechnete mit nicht mehr als zehn Gläsern Tequila", gibt der Angeklagte an.

Er selbst habe sich nicht in der Lage gefühlt, noch etwas zu trinken. Er habe sich deshalb von seinen jugendlichen Aushilfen Wasser einschenken lassen. Als es zwischen der 25. und 30. Runde zu einer Verwechslung der Gläser kam, habe der Schüler lautstark protestiert. "Der Geschädigte nahm das Wasser nicht zum Anlass aufzuhören", heißt es in G.'s Erklärung.

Zwischendurch seien die beiden Männer einmal zur Toilette gegangen - gemeinsam, damit sich einer nicht heimlich übergibt. Da habe ihm Lukas W. gesagt, er sei sturzbetrunken, aber er werde durchhalten. Aytac G. habe daraufhin fünf Gläser hintereinander getrunken, "um ihn zum Aufhören zu bewegen". Doch sein Gegner trank weiter - bis er nicht mehr konnte. Er habe Lukas dann mehrfach gefragt, ob es ihm gut gehe. Lukas W. habe stets bejaht, beteuert der Angeklagte. Anschließend habe er sein Lokal verlassen und seinen Aushilfen gesagt, sie sollen sich um den Betrunkenen kümmern.

"Ich bedauere und bereue das Wetttrinken", so Aytac G. "Ich bin verantwortungslos mit dem noch jungen Geschädigten umgegangen. Mein Tun war nicht zu rechtfertigen. Es war falsch, ohne Wenn und Aber." Ein halbes Jahr zuvor habe er schon einmal mit einem damals 18-Jährigen um die Wette getrunken. Die beiden Kontrahenten seien damals nüchtern gewesen, hätten vorher gegessen und bis zur Entscheidung etwa 19 bis 20 Tequila getrunken. Bei dem Wettkampf mit Lukas W. habe er "nie gedacht, dass jemand so viel Alkohol konsumieren kann". Moralisch fühle er sich verantwortlich für den Tod des Schülers. Ob er strafrechtlich schuldig sei, müsse das Gericht entscheiden.

An dieser Stelle wendet sich der Vorsitzende Richter Peter Faust an das zahlreich erschienene Publikum. Er sagt, in einem Strafprozess gehe es immer um die individuelle Schuld des Angeklagten. "Wir werden mit diesem Prozess keine gesellschaftlichen Probleme lösen können und auch nicht klären können, warum Jugendliche sich betrinken, wie Eltern das verhindern können oder der Senat die Gaststätten besser kontrolliert." Im übrigen sei er skeptisch, was "das Einwirken des Strafrechts auf die öffentliche Moral angeht."

Die Freiheit, sich tot zu saufen

Dennoch wird der Prozess Rechtsgeschichte schreiben. Denn nie zuvor wurde jemand wegen einer solchen Tat vor Gericht gestellt. Allerdings sprechen die rechtskräftigen Urteile der jugendlichen Aushilfen, die den Wirt bei seinem Betrug unterstützten, für die Auffassung des Staatsanwaltes: Zwei der vier Jugendlichen, die dem Wirt damals als Kellner und Schiedsrichter halfen, wurden von einer Jugendkammer wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zur Teilnahme an einem 70-stündigen sozialen Trainingskurs verurteilt. Einer der beiden Jugendlichen beantragte Revision gegen das Urteil. Sein Verteidiger stellte sich auf den Standpunkt, es stehe in diesem Land jedem frei, aus dem Fenster zu springen oder sich eben zu Tode zu trinken. Doch der Bundesgerichtshof verwarf die Revision und gab damit ein wichtiges Signal für die Verurteilung von Aytac G.

Die abgeschlossenen Verfahren gegen die vier Jugendlichen bringen der Staatsanwaltschaft nun wichtige Zeugen für den Prozess gegen den ehemaligen Wirt. Die Aushilfen hätten sonst mit dem Hinweis auf das gegen sie gerichtete Verfahren vor Gericht schweigen dürfen. Doch deren Aussagen sind sehr wichtig, denn nach dem Tod von Lukas W. erzählte der Wirt viele Versionen zum Verlauf des Abends und bat Freunde, ihm mit falschen eidesstattlichen Erklärungen beizustehen. In diesen sollten sie wahrheitswidrig versichern, der Wirt würde keinen Alkohol an Jugendliche ausschenken. Seine Verschleierungsversuche gibt Aytac G. heute auch zu. Er habe Freunde gebeten, ein falsches Zeugnis abzulegen, weil für ihn seine berufliche Perspektive als Gastwirt auf dem Spiel stand, die er nun verloren habe, sagt er dem Gericht.

"Ist ja ein Gift"

Seine Verteidigung setzt jetzt darauf, dass für Aytac G. die tödliche Gefahr des Wetttrinkens nicht erkennbar gewesen sei. Diese Meinung bestärkt der Oberarzt der Intensivstation, der in seiner 30-jährigen Karriere maximal fünf Alkoholtote behandelt habe. Einer seiner Patienten habe sogar 13,6 Promille Alkohol überlebt. "Der hat zweieinhalb Tage gebraucht", sagt der Arzt dem Gericht. Fatal für Lukas W. sei der Atemstillstand gewesen, den die jugendlichen Aushilfen erst bemerkten, als sich sein Gesicht bereits bläulich verfärbte.

"Wussten Sie, dass Tequila-Wetttrinken gefährlich ist", will der Angeklagte deshalb auch von dem jungen Mann wissen, mit dem er ein halbes Jahr vor Lukas` Tod um die Wette trank. Er habe das gewusst, antwortet der Zeuge überraschenderweise. "Ist ja ein Gift!" Über die Antwort ist auch der Richter erstaunt. Wo er das gehört habe, will er von dem Zeugen wissen. "In der Schule", lautet die Antwort. "Da haben wir darüber geredet, was für den Körper nicht gut ist."

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