Den Eltern fällt es sichtlich schwer, über den Tod ihres zweijährigen Sohnes zu sprechen. Knapp zwei Jahre ist es her, dass der Junge in einer Gelsenkirchener Mini-Kita erstickt ist. Am Freitag begann der Prozess gegen die beiden Tagesmütter, die laut Anklage ihre Aufsichtspflicht verletzt haben sollen. Doch eine Reihe organisatorischer Probleme und die Urlaubspläne eines ehrenamtlichen Richters ließen den Prozess nach zwei Stunden platzen. Im Oktober soll das Verfahren von vorn beginnen. Für die Eltern beginnt der aufreibende Auftritt vor Gericht dann von vorn.
Was genau damals während der Mittagspause in der Mini-Kita passierte, dazu haben die beiden 38 und 26 Jahre alten Tagesmütter vor Gericht geschwiegen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Junge unten in einem Etagenbett lag und nicht schlafen konnte. Die beiden Tagesmütter hätten durch die geschlossene Tür von draußen sein Quengeln gehört, hätten aber trotzdem nicht nach ihm geschaut. Irgendwann wurde der Junge still. Die Tagesmütter hätten gedacht, er sei eingeschlafen.
Kommunikationsprobleme in Gericht und Kita
Als sie eine Stunde später nach den Kindern schauten, war der Zweijährige erstickt. Den Ermittlungen zufolge hatte der Junge die nicht fest verankerte Bodenplatte des darüberliegenden Bettes hochgedrückt und wurde dann mit seinem Kopf unter der elf Kilo schweren Platte eingeklemmt. Wie das überhaupt möglich war, soll ein Gutachter in dem Prozess klären. Die Stadt Gelsenkirchen hat schon Konsequenzen gezogen: Die Holzbetten, die auch in einer anderen Kita im Einsatz waren, seien nach dem tödlichen Unglück besser verschraubt worden, sagte ein Sprecher auf Anfrage.
Verantwortlich für den Tod des Jungen sind nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft trotzdem die Tagesmütter. Hätten sie besser aufgepasst, hätten sie den Tod des Zweijährigen verhindern können, betonte der Staatsanwalt in seiner Anklage.
Die Kommunikation in der Kita muss schwierig gewesen sein. Das wäre auch dem Verfahren am Gelsenkirchener Amtsgericht fast zum Verhängnis geworden. Die Eltern des Zweijährigen sprechen nur Arabisch – weil das Gericht keinen Dolmetscher bestellt hatte, wäre der Prozess da schon fast vorbei gewesen. Eilig wurde ein Übersetzer herbeitelefoniert. Eine der Tagesmütter spricht nach Angaben ihres Anwalts so schlecht Deutsch, dass sie für Aussagen einen Spanisch-Dolmetscher brauche. Da die Frau aber ohnehin nichts sagen wollte, war das erst mal kein Problem.
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Für Schlagzeilen sorgte im Jahr 2019 ein Campingplatz in Lügde. Über Jahre hinweg sollen hier etliche Kinder missbraucht worden sein. Die Haupttäter Andreas V. (mit Aktenordner vorm Gesicht) und Mario S. wurden Anfang September zu hohen Haftstrafen und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Das Landgericht Detmold verhängte eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren gegen den 56-jährigen Andreas V., der 34-jährige Mario S. erhielt 12 Jahre. Das Gericht ordnete außerdem die anschließende Sicherungsverwahrung für die beiden Deutschen an - zu groß sei das Risiko, dass sie sich nach der verbüßten Haft wieder an Kindern vergehen würden, begründete das Gericht. Auf dem Campingplatz im lippischen Lügde hatten die beiden jahrelang und hundertfach insgesamt 32 Kinder sexuell missbraucht. Andreas V. wurden insgesamt rund 290 Missbrauchstaten zur Last gelegt. Mario S. hatte sich in rund 160 Fällen an Mädchen und Jungen vergangen. Unter den Taten waren insgesamt rund 250 Vergewaltigungen. "Anal-, Oral- und Vaginalverkehr, um es hier mal beim Namen zu nennen", führte die Vorsitzende Richterin Anke Grudda in ihrer Begründung aus. Die jüngsten Opfer waren zur Tatzeit erst vier Jahre alt. Neben der Vielzahl der Fälle, der Dauer des Missbrauchs und seiner Gewalttätigkeit wertete das Gericht die "infame und niederträchtige Vorgehensweise" der Angeklagten strafverschärfend: Beide Männer seien in der Verhandlung als "Kindermagnete" beschrieben worden, schilderte Grudda. Mit Geschenken und Unternehmungen um und im "Kinderparadies" Campingplatz hätten sie sich das Vertrauen der Kinder erschlichen und sich mit Erpressung, Gewaltandrohungen und emotionalem Druck das Schweigen ihrer Opfer gesichert. Zu den Opfern des Dauercampers zählte auch ein Mädchen, das als Pflegetochter bei ihm einzog und als Lockvogel diente, um an weitere Opfer zu kommen. Worte wie "abscheulich, monströs, widerwärtig" reichten nicht aus, das Geschehen zu beschreiben, fasste Grudda zusammen. "Sie haben 32 Kinder und Jugendliche zu Objekten ihrer sexuellen Begierden degradiert und 32 Kindheiten zerstört", sagte Grudda. Immer wieder wandte sich die Richterin direkt an die beiden Angeklagten: "Es ging Ihnen nie um die Kinder, es ging Ihnen immer um sich selbst." Die Kammer habe aufrichtige Reue bei beiden nicht erkennen können.
Prozess soll im Oktober neu aufgerollt werden
Auch in der Kita war die Kommunikation zwischen Eltern und Tagesmüttern wohl kompliziert, wie bei den Zeugenaussagen der Eltern klar wurde. Oft seien Online-Übersetzer im Einsatz gewesen. Ob so alle wichtigen Informationen – etwa, dass der Zweijährige eigentlich schon längst keinen Mittagsschlaf mehr machte – richtig ankamen, blieb offen.
Wie genau ihr Kind gestorben sei, wüssten die Eltern bis heute nicht, sagte ihre Anwältin. Aufklärung erhofften sie sich von der geplanten Aussage des Rechtsmediziners, der ihren Jungen damals obduziert hatte. Doch der kam nicht – er habe dem Gericht mitgeteilt, dass er inzwischen pensioniert sei und nicht kommen wolle, berichtete der Richter knapp. Sein schriftliches Gutachten müsse ausreichen und solle später verlesen werden.
Dann gab es eine kurze Pause. In der erzählte einer der beiden Schöffen, dass er im Mai in Urlaub sei. Bei den anderen Prozessbeteiligten gab es ungläubige Blicke, denn für Anfang Mai war der zweite und zugleich letzte Prozesstag geplant. Trotz einiger Ideen gab es keine Lösung. Ohne den ehrenamtlichen Richter konnte das Verfahren nicht weitergehen, ein Ersatztermin innerhalb der gesetzlichen Frist ließ sich nicht finden.
Der Prozess gegen die beiden Tagesmütter wurde daraufhin abgebrochen und soll im Oktober von vorne beginnen. Die Eltern des Opfers müssen dann noch einmal aussagen.