Bei einem schweren Erdbeben im Norden Pakistans sind am Samstag nach ersten Angaben hunderte Menschen getötet worden. Ein Sprecher des pakistanischen Präsidenten sprach von vielleicht mehr als 1000 Toten. Nach Angaben der Polizei starben allein in der Grenzprovinz Nordwest (NWFP) mehr als 100 Menschen. Dem Innenministerium zufolge wurden ganze Dörfer zerstört.
In der Hauptstadt Islamabad stürzten zwei große Gebäude ein begruben ihre Bewohner. Auch aus den indischen Teilen Kaschmirs wurden Tote gemeldet. Das Beben mit einer Stärke von 7,6 war bis nach Kabul und Neu-Delhi zu spüren und war eines der schwersten in der Region seit Jahrzehnten.
Wegen zerstörter Telefonleitungen und überlasteten Handy- Netzen wurde Einzelheiten am Samstag erst langsam bekannt. "Es wird eine hohe Zahl von Opfern geben", sagte der Sprecher von Pakistans Präsident Pervez Musharraf. Die Zahl der Toten könne deutlich über 1000 liegen. Ein NWFP-Polizeisprecher sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Zahl der Toten könne "sehr, sehr hoch" werden. "Uns liegen Berichte vor, wonach etliche Dörfer ausgelöscht wurden", sagte Innenminister Aftab Ahmed Khan Sherpao im Fernsehen.
Das Beben ereignete sich um 5.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Sein Zentrum lag etwa 95 Kilometer nordöstlich von Islamabad, nahe der Grenze zu Indien. Vier der ersten Nachbeben erreichten eine Stärke zwischen 5,4 und 5,9.
Seismologe
Mit deutlichen Schäden durch das schwere Erdbeben in Südasien muss nach Ansicht des Leiters der Seismologie am Geo- Forschungsinstitut in Berlin, Jochen Zschau, noch in 200 bis 300 Kilometer um das Epizentrum gerechnet werden. "Das Beben hat einen Bruch von 100 Kilometer Länge aufgeworfen", sagte Zschau am Samstag. "Längs dieses Bruchs können überall schlimme Dinge passiert sein." Auch wenn das Epizentrum in einer kaum besiedelten Gebirgsregion liege, könnten doch in den entfernteren Dörfern Tausende von Menschen zu Tode gekommen sein.
Die südasiatische Region ist besonders oft von Erdbeben betroffen, da sie an der Nahtstelle zweier geologischer Platten liege. "Die indische Platte schiebt sich hier mit einer Geschwindigkeit von acht Zentimetern pro Jahr auf den asiatischen Kontinent", so der Forscher. Das Beben liege an der Nordspitze der indischen Platte. Dort türme sich in Asien das Hindukusch-Gebirge auf.
Ein Sprecher des indischen Innenministeriums sagte, in Jammu und Kaschmir seien 16 Tote gemeldet worden. "Es gibt auch unbestätigte Berichte aus anderen Gebieten", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Betroffen seien die Distrikte Uri, Baramullah und Kupwara, wo es zu Erdrutschen gekommen sei. In Afghanistan wurde nach Behördenangaben ein junges Mädchen getötet, als eine Mauer einstürzte. Eine Sprecherin des afghanischen Roten Halbmondes sagte, die Auswirkungen des Bebens seien offenbar vergleichsweise gering. "Es ist sehr schwer, schnell an Informationen zu kommen, denn unsere Kommunikationssysteme sind nicht robust genug", sagte sie ein.
Verzweifelte Einwohner von Islamabad versuchten Betontrümmer der zwei eingestürzten zwölfstöckigen Gebäude mit ihren bloßen Händen zu räumen. "Ich kann nicht sagen, wie viele Leute noch da drunter sind", sagte ein Sprecher der örtlichen Regierung. "Mehr als 75 Wohnungen sind betroffen, also geht die Zahl der Menschen in die Hunderte."
Reuters-Mitarbeiter sahen mindestens drei Leichen, die aus den Trümmern geborgen wurden, aber auch sechs Menschen, die verletzt gerettet wurden. Die Bewohner der Hauptstadt achteten besonders auf Krähen. Ihnen wird nachgesagt, unmittelbar vor einem Beben zu verstummen.
Das Gebiet nördlich von Islamabad ist geologisch sehr aktiv. Experten hatten schon länger ein größeres Erdbeben in der Region erwartet. Das bislang schwerste Beben in Südasien fand am 31. Mai 1935 statt und hatte ein Stärke von 7,5 auf der Richter-Skala. Damals wurde Quetta zerstört und schätzungsweise 30.000 bis 60.000 Menschen getötet.