Gigantische Überschwemmungen hier, gewaltige Erdrutsche dort – seit nunmehr fast zwei Wochen werden wir täglich mit Meldungen über Naturkatastrophen konfrontiert. Aus Australien, Sri Lanka, Brasilien und auch aus Deutschland.
Wir lesen von den Milliardenschäden und auch von den Hunderten von Opfern, die diese Naturkatastrophen fordern. Und trotzdem bleiben uns die Tragödien oft eher fremd, hinterlassen uns mitunter sogar teilnahmslos, weil all die Bilder und Zahlen den Schrecken doch nicht richtig transportieren können – bis wir von einer Geschichte wie dieser hier erfahren.
Es geschah am vergangenen Montag in Toowoomba, einer kleinen Siedlung 80 Kilometer westlich der Millionenmetropole Brisbane, also jener Gegend im australischen Bundesstaat Queensland, die besonders stark vom Hochwasser betroffen war.
Zuerst reicht das Wasser nur bis zur Felge
Als Warren McErlean, so erzählt er es der Zeitung "Brisbane Post", das Auto mit der Frau und den beiden rotblonden Jungen zum ersten Mal sieht, reicht das Wasser, das durch die Straßen der Ortschaft strömt, erst bis zur Felge. Trotzdem hat sich das Auto festgefahren. "Ich habe gedacht, ich schiebe es einfach ein bisschen rückwärts raus", erzählt McErlean, "doch als ich die zwanzig Meter zum Wagen geschafft hatte, war das Wasser schon bis zur Windschutzscheibe gestiegen".
Eine Springflut rast durch den Ort. Und in dem Auto sind Donna Rice und ihre beiden Söhne Jordan (13) und Blake (10) eingeschlossen. McErlean erkennt die Dramatik der Lage. Er schnappt sich ein Seil, bindet es zunächst um einen Laternenpfahl, dann um seine Hüfte. Er will zu dem Auto, in dem die Lage für die Insassen immer gefährlicher wird. Doch die nun zum Strom angeschwollenen Wassermassen reißen ihn selber weg.
Ein anderer Helfer eilt herbei, ein "großer kräftiger Kerl namens Chris", wie McErlean sich später nur noch erinnert. Chris zieht zuerst McErlean in Sicherheit, dann schnappt er sich das Seil und schwimmt zu dem Auto.
"Nimm erst meinen Bruder"
Chris will Jordan, den 13-Jährigen, aus dem Auto ziehen. Es muss jetzt alles sehr schnell gehen, doch Jordan wehrt den Rettungsversuch mehrfach ab: "Nimm erst meinen Bruder", schreit er gegen das Getöse der Wassermassen an. Später wird sein Vater erzählen, dass Jordan in diesem Moment selber wahnsinnige Angst gehabt haben muss: Er hat nie schwimmen gelernt.
Chris schnappt sich den zehnjährigen Blake, kämpft sich an dem Seil halb zurück zu McErlean und drückt ihm den Jungen in den Arm. Dann macht er kehrt, um wieder zum Auto zu schwimmen.
Doch in diesem Moment schießt wieder eine gewaltige Welle durch die Straße, drückt McErlean und Blake unter Wasser. Sekunden später ist Chris wieder da, rettet die beiden endgültig.
Mutter und Sohn verschwinden in den Fluten
Doch für Jordan und seine Mutter ist es zu spät. Eine nächste Welle schleudert das Auto umher und reißt es endgültig mit. Chris muss Jordans Hand loslassen. Er fliegt durch die Luft, kann sich erst Dutzende Meter später an einem anderen Laternenpfahl festklammern. Das Auto ist verschwunden. Und mit ihm Donna Rice und ihr Sohn.
Die Springflut von Toowoomba fordert an diesem Tag insgesamt 16 Menschenleben. Jordan Rice, der starb, weil er als allererstes seinen kleinen Bruder retten wollte, wird zu einem Symbol der Tragödie, die die Wassermassen von Queensland ausgelöst haben. Fernsehen, Zeitungen, Radiostationen berichten über seine "Heldentat". "Er ist der Champion aller Champions", sagt sein Vater. Auf einer Facebookseite, die ihm gewidmet ist, trauern über 200.000 Menschen um ihn.