Die Situation im Erdbebengebiet von Haiti ist nach Angaben der Vereinten Nationen ruhig und nicht gewalttätig. "Die allgemeine Lage ist stabil, die Situation ist unter Kontrolle", sagte der amtierende Chef der UN-Mission in Haiti, Edmond Mulet, am Dienstag in einer Videokonferenz aus Port-au-Prince mit dem UN-Hauptquartier in New York. "Ja, es hat so etwas wie Plünderungen gegeben. Aber das waren Menschen, die Nahrungsmittel aus zusammengestürzten Supermärkten genommen haben. Das halte ich angesichts der Situation für verständlich", sagte Mulet.
"Gewalttätige Plünderungen oder eine plündernde Meute gibt es aber nicht", erklärte Mulet weiter. Er bestätigte, dass täglich Menschen mit Schusswunden ins Krankenhaus gebracht würden. "Natürlich gibt es in Port-au-Prince Vorfälle, es gibt Schießereien, es gibt Raub. Aber das gab es vor dem Erdbeben auch", so der UN-Diplomat. Die Patrouillen seien verstärkt worden, statt 2000 seien jetzt 4000 Polizisten in der Hauptstadt unterwegs. "Die Situation ist ruhig, ich möchte sagen: normal." Ein Problem sei allerdings, dass durch das Erdbeben das Gefängnis zerstört wurde: "Einige Häftlinge kamen ums Leben, aber einige der schlimmsten Verbrecher und Bandenchefs konnten fliehen. Das bereitet der Polizei Sorgen."
Spendenkonten
Hunderttausende sind bei dem schweren Erdbeben in Haiti vermutlich ums Leben gekommen. Unzählige sind obdachlos, verletzt und hilfsbedürftig. Wenn Sie für die Opfer der Naturkatastrophe spenden wollen, finden Sie hier eine Liste mit Hilfsorganisationen, die vor Ort die Bedürftigen unterstützen.
Die Hilfsarbeiten laufen nach Mulets Worten jeden Tag besser. "Es war richtig, zuerst die UN-Strukturen wieder aufzubauen. Das ist wie im Flugzeug, wenn die Sauerstoffmasken runterfallen: Helfen Sie erst sich selbst, damit sie anderen helfen können." Eine Woche nach dem Beben würden im Katastrophengebiet 23 Krankenhäuser arbeiten, weitere Feldlazarette seien unterwegs. "Ein Problem ist nach wie vor der Flughafen, der mit nur einer Landebahn der Flaschenhals ist." Sehr viel komme zwar über die Dominikanische Republik ins Land, aber auch das sei begrenzt.
Mehr Blauhelme und Polizisten sollen für Sicherheit sorgen
Zuvor hatte der Sicherheitsrat entschieden, die UN-Truppen in Haiti um 3500 Kräfte zu verstärken. Statt 7000 sollen dann 9000 Blauhelme im Dienst stehen, die 2000 Polizisten werden um 1500 weitere verstärkt. "Sie sollen für Frieden und Sicherheit sorgen und beim Aufbau helfen", erklärte Chinas UN-Botschafter Zhang Yesui. Das Mandat für die Truppe läuft nach dem Beschluss vom Dienstag über sechs Monate, kann aber verlängert werden. Aus welchen Ländern die Männer und Frauen kommen sollen, sagte Zhang nicht.
Die Vereinten Nationen haben bereits jetzt mehr als 10.000 Mitarbeiter in Haiti. Etwa 50 von ihnen sind tot geborgen worden, auch eine Woche nach dem Beben werden aber noch immer Hunderte vermisst. In den Trümmern des eingestürzten UN-Hauptquartiers in Port-au-Prince starben auch der Leiter der Haiti-Mission, der tunesische Spitzendiplomat Hédi Annabi, und seine beiden engsten Mitarbeiter.
Personensuche des Roten Kreuzes
Zahllose Menschen werden seit dem verheerenden Erdbeben in Haiti vermisst. Das Internationale Rote Kreuz gibt auf einer speziellen Web-Site die Möglichkeit, nach vermissten Verwandten und Freunden zu suchen.
Dort sind bisher bereits mehr als 14.000 Vermisste registriert, die Zahl der Einträge steigt weiter.
Washington schickt weitere Truppen
Die USA haben unterdessen ihre militärische Präsenz im Erdbebengebiet massiv ausgeweitet. Amerikanische Truppen übernahmen die Kontrolle über den Präsidentenpalast sowie ein Krankenhaus in Port-au-Prince. Zugleich landeten US-Marineinfanteristen 16 Kilometer südwestlich der Hauptstadt, um von dort aus mit UN-Blauhelmsoldaten zusammenzuarbeiten.
US-Hubschrauber warfen erstmals Hilfsgüter aus der Luft ab. 14.500 Fertigmahlzeiten und 15.000 Liter Wasser seien in ein gesichertes Gebiet nordöstlich der Hauptstadt Port-au-Prince niedergegangen, erklärte eine Sprecherin. Mit der Maßnahme solle ein weiterer Verteilungspunkt entstehen, um schneller an die Bevölkerung heranzukommen.
Insgesamt forderte das Erdbeben in Haiti nach Behördenangaben zwischen 100.000 und 200.000 Menschenleben. Der Präsident der benachbarten Dominikanischen Republik, Leonel Fernandez, schätzt die Kosten für die Unterstützung der Überlebenden und den Wiederaufbau auf zehn Milliarden Dollar in den nächsten fünf Jahren. Am 25. Januar soll in Montreal ein erstes Vortreffen für eine große internationale Geberkonferenz stattfinden.