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Mehr als 6000 Tote Heute vor 28 Jahren: Die Erdbeben-Katastrophe von Kobe

Kobe: Luftaufnahme zeigt mehrere Brände
Durch umgeknickte Strommasten und lecke Gasleitungen kam es nach dem Erdbeben in Kobe in meist dicht bebauten Vierteln mit alten Holzhäusern zu mehreren Bränden
© Imago Images
Vor 28 Jahren ereignete sich in Japan ein schreckliches Erdbeben. Nahe der Stadt Kobe kamen innerhalb weniger Sekunden mehr als 6000 Menschen ums Leben. Hunderttausende wurden obdachlos.

Als am Dienstag, den 17. Januar 1995, die ersten Nachrichtenmeldungen über das Erdbeben in der Region Osaka im Südwesten Japans erscheinen, ist das ganze Ausmaß der Katastrophe noch nicht abzusehen. Zunächst ist die Rede von drei Toten und 20 Verletzten. Doch nahezu stündlich korrigieren die Behörden die Anzahl der Opfer nach oben. 112 Tote, mindestens 597 Tote, dann mehr als 1800 Tote. Am zweiten Tag steigt die Zahl immer weiter an. Am Mittwoch ist bereits von mehr als 3000 Toten die Rede, am Donnerstag von wahrscheinlich 4000. Rund eine Woche nach der Katastrophe ist die Zahl der Toten auf mehr als 5000 gestiegen, rund 100 Menschen gelten da immer noch als vermisst. Am Ende kommen insgesamt 6434 Menschen bei der Katastrophe ums Leben, mehr als 36.000 werden verletzt.  Mehr als 100.000 Häuser werden zerstört, 400.000 weitere Gebäude beschädigt.

Japan ist eines der aktivsten Erdbebengebiete. Unter dem Inselstaat treffen vier große Erdplatten aufeinander. Jedes Jahr erlebt das Land mehrere Tausend Erdbeben. Daher sind die Wissenschaftler im Erdbebenobservatorium von Osaka, rund 30 Kilometer östlich vom Zentrum der Hafenstadt Kobe, auch nicht beunruhigt, als es am Tag vor der Katastrophe zu kleineren Erdstößen kommt. Der Erdbebenexperte Toshio Arimoto, der an jenem Abend Dienst hatte, erinnert sich später in einer TV-Doku: "Es war ein nationaler Feiertag und ich fühlte mich, als hätte ich Urlaub. Niemand erwartete etwas Ungewöhnliches." Doch gegen 18.26 Uhr wird sein ruhiger Dienst und der seines Kollegen plötzlich unterbrochen. Ein Erdbeben der Stärke 3,6 lässt die Sensoren der Messgeräte aktiv werden. 23 Minuten später gibt es erneut ein Erdbeben mit einem Wert von 2,5. Das Epizentrum liegt 15 Kilometer südlich von Kobe entfernt. Es folgt ein weiteres. Dieses misst 1,5 auf der Richterskala. Um 23.49 Uhr erschüttert ein viertes Beben die Region. Dann herrscht mehrere Stunden Ruhe. Bis zum nächsten Morgen.

Um 5.46 Uhr bebte in Kobe die Erde

Gegen 5.46 Uhr kommt es dann auf der nicht weit vom Festland entfernten Insel Awajishima in der Bucht vor Kobe und Oska erneut zu einem Erdstoß. Doch diesmal ist das Ausmaß deutlich größer. Das Epizentrum misst 7,2 auf der Richterskala. Die Erschütterungen sind heftig. Was niemand ahnt: Nachdem das Erdbeben die Nordspitze der Insel trifft, reißt ein zuvor unbekannter Graben in der Nähe auf. Entlang dieses Grabens breitet sich das Beben mit 9000 km/h aus und rast auf das rund 15 Kilometer entfernte Kobe zu, wo der Graben direkt unter der Stadt bricht. Wie Experten später herausfinden, entspricht die Wucht der einer Kilo 65 schweren Atombombe. Häuser und Straßenbrücken stürzen ein. Nahverkehrszüge entgleisen. Mehr als 170 Brände werden durch umgeknickte Strommasten und lecke Gasleitungen ausgelöst. Ganze Straßenzüge gehen in Flammen auf. Die 20 Meter breite Hanshin-Stadtautobahn, die auf einer Länge von rund 160 Kilometern auf Betonstelzen steht und über mehrere Kilometer durch das Stadtgebiet von Kobe führt, gerät ins Schlingern. Schließlich bricht sie über eine Länge von etwa 500 Metern völlig zusammen. Der Fahrer eines Reisebusses, vor dem plötzlich die Straße wegbricht, erinnert sich: "Ich dachte mir, dass wir jetzt hinunterfallen würden und ich war starr vor Angst." Die Vorderräder hängen über einem 15 Meter tiefen Abgrund. Der Fahrer hilft den drei im Bus sitzenden Passagieren heraus und bringt sich in Sicherheit.

In der Stadt Nishinomiya, nur wenige Kilometer von Kobe entfernt, hängt ein Reisebus auf der Hanshin-Stadtautobahn rund 15 Meter über dem Abgrund, nachdem das Erdbeben die Fahrbahn zerstörte
In der Stadt Nishinomiya, nur wenige Kilometer von Kobe entfernt, hängt ein Reisebus auf der Hanshin-Stadtautobahn rund 15 Meter über dem Abgrund, nachdem das Erdbeben die Fahrbahn zerstörte
© Keiichiro Watase / Picture Alliance

Das Erdbeben bringt viele Wasserleitungen zum Bersten. Die Feuerwehr steht dem Feuer hilflos gegenüber. Die Einsatzkräfte müssen das Wasser direkt aus dem Meer pumpen, was frustrierend lange dauert. In den nächsten Tagen entstehen immer neue Brände in der nun in Trümmern liegenden Stadt. Die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser wird weitgehend unterbrochen und das öffentliche und das Geschäftsleben in der Region sind praktisch lahmgelegt.

Erdbeben von Kobe dauert 20 Sekunden

Die Kansai-Region mit den Millionenstädten Osaka, Kyoto und Kobe ist nicht nur das zweitgrößte Ballungszentrum Japans, sondern auch der industrielle Motor der asiatischen Wirtschaftsmacht. Doch jetzt bleiben dort zahlreiche Einzelhandelsgeschäfte und Warenhäuser in den kommenden Tagen und Wochen geschlossen. Auch die Stahl-, Auto-, chemische und elektronische Industrie in Osaka, Kobe und anderen Orten sind betroffen. Der Autobauer Daihatsu muss vorläufig die Produktion einschränken. Kobe-Stahl stellt unmittelbar nach dem Beben drei Hochöfen ab. Kawasaki-Stahl muss den Betrieb in seinen Werken in Kobe und Nishinomiya mangels Strom einstellen. Aus demselben Grund steht ein Werk von Nippon Stahl still. In der Brauerei Kirin werden 120.000 Kisten Bier, die Hälfte des Lagerbestandes, durch das Beben zerstört. Der Verlust entspricht etwa zehn Prozent des täglichen Umsatzes. Die Produktion wird ausgesetzt. Beim Reifen- und Gummihersteller Sumitomo-Rubber in Kobe sind drei von fünf Werks-Gebäuden eingestürzt. Mitsubishi-Electric kann wegen der Schäden in fünf Betrieben nicht arbeiten. Matsushita Electric Industrial Co. stellt mangels Strom die Herstellung von Spiele-Geräten in Kobe ein. Der völlige Stromausfall legt außerdem im Zoo im Aquarium die elektrischen Regler für Wassertemperaturen sowie die Sauerstoffzufuhr in den Fischtanks lahm. 1500 südamerikanischen Piranha-Raubfische sterben, Haie und Rochen finden ebenfalls den Tod. Auch in der alten Kaiserstadt Kyoto richten die Erdstöße an Tempeln, Buddha-Statuen und anderen nationalen Kultur- und Kunstschätzen etliche Schäden an.

Zerstörte Häuser in Kobe
Eine vom Erdbeben zerstörte Straße in Kobe
© Getty Images

Etwa rund 20 Sekunden dauert das schwere Erdbeben von Kobe, doch diese reichen aus, um die Stadt in Schutt und Asche zu legen. Durch die schweren Schäden der Infrastruktur kommen die Aufräumarbeiten schwer voran. Eisige Regenfälle erschweren zusätzlich die Suche nach Vermissten. Hinzu kommt, dass die Stadt als Folge der Katastrophe im Müll zu versinken droht, da von den fünf Müllbeseitigungsanlagen nur noch eine arbeitet. Auch rund eine Woche nach dem Beben haben mehr als 800.000 Haushalte immer noch kein Wasser und Gas. Vor allem die Schäden auf Port Island, einer künstlich aufgeschütteten Insel vor Kobe, sind enorm. Weil gerade hier im Hafen der Boden dramatisch abgesunken ist und die Betonmauern der Docks auf einer Strecke von neun Kilometern ins Meer gerutscht sind, werden die wichtigen Hafenanlagen besonders stark zerstört und müssen für zwei Jahre stillgelegt werden. Die Verluste im für die Stadt lebenswichtigen Handelsbereich belaufen sich auf etwa 40 Milliarden US-Dollar.

In den traditionell bebauten Vororten und Stadtvierteln von Kobe ist die Anzahl der Todesopfer am größten. Hier sterben fast 5000 Menschen. Die japanischen Holzbauten die mit schweren Dachziegeln auf einfachen Streben gebaut und deren Wände aus Gips und Bambus sind, fallen in sich zusammen wie Kartenhäuser. Für die Bewohner, von denen sich die meisten zu dieser frühen Uhrzeit darin aufhalten, werden sie zur tödlichen Falle. Nach Schätzungen sterben zehn Prozent der Opfer, weil sie eingeschlossen und verletzt zu lange auf Hilfe warten müssen.

Mehr als 300.000 Menschen nach Erdbeben obdachlos

Mehr als 300.000 Menschen müssen zeitweise in Notunterkünften in Schulen, Sporthallen, öffentlichen Gebäuden und Zeltstädten untergebracht werden. Auch drei Jahre nach dem Beben leben trotz aller Wiederaufbauanstrengungen immer noch rund 45.000 Menschen in der Region in Notunterkünften.

Die Hanshin-Autobahn kollabierte auf einer Länge von 500 Metern
Die Hanshin-Autobahn kollabierte auf einer Länge von 500 Metern
© Keiichiro Watase / Picture Alliance

Regierung und Behörden wird später vorgeworfen, viel zu langsam und unzureichend gehandelt zu haben. Kommunikationsprobleme führten laut Fachleuten dazu, dass unter anderem das Militär erst sehr spät am Unglücksort eintraf. Enorme Probleme bereitete auch die Koordinierung der Hilfsbemühungen. Dem widerspricht jedoch eine Studie, die später vom Gesundheitsamt der japanischen Präfektur Hyogo veröffentlicht wird und die sich auf Autopsien an 3649 Todesopfern stützt. Sie belegt, dass mehr als 70 Prozent der Opfer das schwere Erdbeben keine fünfzehn Minuten überlebten. Sie erstickten unter Trümmern oder wurden von Möbelstücken, Decken- und Dachkonstruktionen ihrer einstürzenden Häuser tödlich verletzt. Am späten Abend des ersten Tages waren demnach 95,9 Prozent der Verschütteten nicht mehr am Leben.

Insgesamt verursacht das Erdbeben einen geschätzten volkswirtschaftlichen Schaden in Höhe rund 110 Milliarden US-Dollar. Zum Wiederaufbau der Stadt verwenden die Behörden die neueste erdbebensichere Technik. Allein der Hafen wird für 6,8 Milliarden US-Dollar neu gestaltet, wobei die Seitenwände der Docks viel tiefere Fundamente erhalten. Die traditionellen Holzhäuser werden durch moderne mit stabilen Wänden und leichten Dächern ersetzt und die erhöhten Schnellstraßen für drei Milliarden US-Dollar mit stahlverstärkten Pfeilern gesichert. 

In Gedenken an die Opfer des schweren Erdbebens wird in jedem Jahr in Kobe ein Lichterfest abgehalten, zu dem etwa vier Millionen Menschen kommen.

Mond-Wohnanlagen mit künstlicher Schwerkraft – sieht so die Zukunft aus?

Sehen Sie im Video: Es sind Bilder, die an Science-Fiction-Filme erinnern: Eine gewaltige , rotierende Konstruktion thront auf der Mondoberfläche. Ein Team der Universität Kyoto und eine japanische Baufirma haben Pläne für Wohnanlagen auf dem Mond veröffentlicht.

Quellen: National Geographic, ETH Zürich, FAZ-Archiv, mit Archiv-Material von DPA

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