Die Umweltorganisation Greenpeace hat vor einer weltweit steigenden Strahlenbelastung als Folge der Atomkatastrophe von Fukushima gewarnt. Der Plan des Kraftwerkbetreibers Tepco zur Bekämpfung des Unfalls in den kommenden neun Monaten beruhe auf unbekannten Grundlagen, erklärte der Greenpeace-Experte Christoph von Lieven. "Was Tepco hier sagt, ist einfach unseriös", sagte von Lieven am Montag. "Das einzige, was im Moment klar ist, ist, dass weiter Radioaktivität austritt."
Greenpeace hat an insgesamt 263 Messpunkten im weiteren Umkreis um das AKW Fukushima die radioaktive Strahlenbelastung gemessen. In der Stadt Fukushima, rund 60 Kilometer vom Atomkraftwerk entfernt, seien noch bis zu vier Mikrosievert pro Stunde gemessen worden, sagte Greenpeace-Experte Thomas Breuer nach einer Messkampagne am Montag in Hamburg. Ein Mikrosievert entspricht einem Tausendstel Millisievert.
Die Bevölkerung bekomme dort in 14 Tagen die höchste vertretbare künstliche Strahlendosis für ein Jahr ab. In zwei Dörfern der Region seien Werte von 7 bis 48 Mikrosievert pro Stunde gemessen worden, dort erhielten die Bewohner bereits in zwei Tagen die Jahresdosis.
"Wir sind uns nicht sicher, ob wir damit nicht noch Jahre zu tun haben. Und das ist ein weltweites Problem. Wir werden weltweit eine erhöhte Strahlenbelastung haben", sagte Umweltschützer von Lieven. Die sogenannte Hintergrundstrahlung werde weltweit weiter steigen. Auch manche Lebensmittel seien belastet. Das Ausmaß dieser Entwicklung sei noch nicht abzuschätzen, fügte von Lieven hinzu.
"Evakuierungszone muss jetzt ausgeweitet werden"
Dem Stromkonzern Tepco warf der Greenpeace-Fachmann vor, mit der Lage nicht zurande zu kommen. Die radioaktive Strahlung sei trotz der ergriffenen Maßnahmen weiter aus der Atomruine ausgetreten. "Die Evakuierungszone muss jetzt ausgeweitet werden, und zwar wirklich dringend", forderte von Lieven. Dann sollten unabhängige Fachleute nach einer Lösung suchen. "Und das Ganze muss Tepco und der japanischen Regierung, die offensichtlich unfähig sind, das Problem zu lösen, aus der Hand genommen werden von der internationalen Gemeinschaft", meinte der Greenpeace-Mann.
Der Atombetreiber Tepco will die Reaktoren im Atomkraftwerk Fukushima in etwa sechs bis neun Monaten stabilisiert haben. Das sehe die "momentane" Planung vor, sagte Tepco-Manager Tsunehisa Katsumata am Vortag in Tokio. Rund drei Monate wird es demnach allein dauern, die Kühlung der Reaktoren und Abklingbecken zu stabilisieren. Danach werde es wohl noch weitere drei bis sechs Monate dauern, "bis wir die radioaktiven Lecks auf ein sehr geringes Maß zurückfahren können", indem die Temperatur in den Reaktoren und in den Abklingbecken für gebrauchte Brennstäbe gesenkt werde.
Greenpeace-Atomexperte Breuer hat derweil auch die japanische Regierung in die Pflicht genommen: Er forderte, schneller mit der Evakuierung zu beginnen und Schwangere und Kinder zuerst aus den betroffenen Gebieten herauszubringen. Außerdem sprach er sich für eine flächendeckende Lebensmittelüberwachung aus und dafür, Autos und Lkws, die durch kontaminiertes Gebiet fahren, besser zu kontrollieren und bei Bedarf zu dekontaminieren. Spielplätze und Kindergarten sollten vielerorts geschlossen werden. Nicht zuletzt sieht Breuer ein Problem in der mangelhaften Kommunikationspolitik der Regierung: Sie gebe zwar Messwerte bekannt, sagte der Experte, lasse die Bevölkerung aber über die Bedeutung der Daten im Unklaren.