Wenn von Qualzucht die Rede ist, denken vielen Menschen zuerst an Hunde, die schlecht atmen können, oder denen die Kniescheibe beim Gehen rausspringt oder an Katzen, die gefaltete Ohren haben, die ständig verkleben und sich entzünden.
Qualzucht gibt es aber auch bei Reptilien. Deutschland gilt, wie beispielsweise auch die USA, als ein großer Markt für Schlangen mit spektakulären Farben, oder Echsen, die keine Schuppen mehr haben. Diese Zucht-Trends sind teils sehr umstritten und bringen viele kranke Tiere hervor, weil Gendefekte weitervererbt werden können. Auch die Tierheime spüren den Trend – denn dort landen viele dieser "überschüssigen" Reptilien. Der stern hat darüber mit Danilo Saß gesprochen, einem Tierarzt im Hamburger Tierschutzverein von 1841 e.V.
Herr Saß, Sie sind als Tierarzt im Hamburger Tierheim in der Süderstraße auch für Reptilien zuständig, also auch Schlangen und Echsen. Man hört immer wieder von "Modezüchtungen" dieser Tiere, etwa bestimmte Farben. Wo beginnt die Qualzucht, also das gezielte Vermehren, das für die Tiere körperliche Schäden oder Schmerzen bedeutet?
Die Abgrenzung ist oft nicht so einfach. Die Zucht von Morphen, also von Tieren mit bestimmten Körpermerkmalen, gibt es schon seit vielen Jahrzehnten. Es ist ein ganz normales Werkzeug aus dem Baukasten der Evolution, dass auch mal Tiere aus dem Ei schlüpfen, die ein bisschen anders aussehen und das weckt vielleicht beim Menschen die Neugier, gezielt solche Tiere zu vermehren. Aber in den letzten 20 Jahren hat man das wirklich auf die Spitze getrieben.
Die "Spider"-Form beim Königspython gilt als Qualzucht
Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Zuerst gab es diese Morphen-Zucht vor allem bei Kornnattern, aber inzwischen hat sich die Zucht bei vielen Arten enorm professionalisiert. Inzwischen ist der westafrikanische Königspython die am häufigsten nachgezogene Schlange der Welt. Sie bietet scheinbar einfach durch ihr Genom ein sehr großes Potential. Da gibt es abgefahrene Sachen, wie zum Beispiel die Farbform "Piebald": eine Hälfte der Schlange ist normal gefärbt, die ist andere schneeweiß.
Nicht alle Farbvarianten sind Qualzuchten. Die erste, bei der man von Qualzucht gesprochen hat, ist die "Spider"-Form beim Königspython, wo sich die Zeichnung dünn über den Körper zieht wie ein Spinnennetz. Man hat in der Computertomographie bei vielen solcher Schlangen ein verkrüppeltes Innenohr entdeckt. Das Gleichgewichtsorgan dieser Tiere funktioniert nicht richtig – was zu unterschiedlich starken Einschränkungen führt. Alle Vertreter dieser Farbform zeigen einen in unterschiedlichen Ausprägungen wackelnden Kopf, das sogenannte Wobbler-Syndrom.
Dann gibt es noch den Trend der Schuppenlosigkeit bei Echsen, die ich klar als Qualzucht bezeichnen würde. Das ging im Prinzip los bei den Bartagamen. Diese Echsen haben von Natur aus stark ausgeprägte Hornpapillen auf manchen Schuppen. Inzwischen werden die Tiere so gezüchtet, dass sie sich schöner anfühlen sollen.

Tierarzt Danilo Saß
Sein Studium der Tiermedizin absolvierte Danilo Saß in Berlin. Von 2018 bis 2020 arbeitete er in der Kleintierklinik Wasbek und hatte dort unter anderem die Leitung der Exotensprechstunde inne.
Seit 2020 ist Saß als Tierarzt beim Hamburger Tierschutzverein von 1841 e.V. tätig – und ist dort zuständig für alle Tiere, aber die Reptilien-Patienten liegen ihm besonders am Herzen. Deshalb betreut er nebenbei auch noch die Reptilien und Vögel im Lübecker Tierschutzverein. "Als Tierarzt verstehe ich mich als Tierschützer und bin daher sehr froh, in einem Tierschutzverein zu arbeiten", sagt der 35-jährige Veterinär.
Doch die sonnenverliebten Echsen brauchen UV-Licht, also die pralle Sonne, damit ihr Knochenstoffwechsel funktioniert und auch für ihr artgemäßes Wohlbefinden. Ohne das lebensnotwendige Licht erweichen ihre Knochen, was zu Verkrümmungen und starken Schmerzen führt. Schuppenlose Echsen haben also ein Riesenproblem. Das gilt für alle Sonnenanbeter unter den Reptilien. Ähnliche Fälle gibt es bei albinotischen Grünen Leguanen. Aufgrund der fehlenden Farbpigmente wird solch ein Tier in der prallen Sonne sehr schnell erblinden.
Bei einem Tier, dessen Kopf ständig wackelt, ist ja leicht zu erkennen, dass etwas nicht stimmt. Kann man bei Reptilien immer gut sehen, wenn sie krank gezüchtet wurden?
Leider nicht – anders als bei einem Säugetier merkt man einer Schlange oft nicht an, dass es ihr schlecht geht. Etwa permanente Übelkeit, wenn das Gleichgewicht gestört ist. Denn eine Schlange kann sich nicht im klassischen Sinne übergeben. Auch, dass sie sich schlechter orientieren kann, lässt sich nicht auf Anhieb erkennen. Letztlich sind viele dieser Tiere mit speziellen Farb-Züchtungen stark körperlich behindert.
Reptilien sind generell Tiere, die nicht so viel von sich zeigen. Schlangen sind in der Regel Lauerjäger und damit die meiste Zeit des Tages inaktiv. Das sieht man schon daran, dass man sie nur alle zwei bis drei Wochen füttern muss. Zur Frage der Qualzuchten wird inzwischen aber wissenschaftlich sehr viel geforscht an Universitäten – man darf also gespannt sein, was in den nächsten Jahren so alles passiert. Ich erwarte deutliche Zuchteinschränkungen bei einigen Morphen beziehungsweise Verbote.
Wenn die Zucht von Morphen derart kranke Tiere hervorbringen kann – ist das denn überhaupt alles legal? Darf jeder einfach so züchten?
Ja und nein. Laut dem Tierschutzgesetz, Paragraph 11b, dürfen keine Tiere so gezüchtet werden, dass bei den Nachkommen erbbedingt Schmerzen, Leiden und Schäden auftreten. Aber es gibt meines Wissens nach bislang keine Gerichtsurteile dazu, und Verstöße werden nicht besonders stark verfolgt.
Dabei ist die Haltung von Exoten nichts für jedermann. Deshalb fordern Terraristikverbände auch, dass künftige Halter ihre Sachkunde nachweisen müssen.
Wie kommt es überhaupt, dass so viele Reptilien bei uns gezüchtet werden?
Ein wichtiger Grund ist sicherlich der technische Fortschritt. Früher galten viele Schlangen und Echsen als unheimlich schwer zu züchten. Nehmen wir beispielsweise wieder den Königspython: Das Klima in seiner Heimat Westafrika besteht aus einer Trockenzeit und einer Regenzeit. Die Regenzeit löst dann die Paarungsbereitschaft aus. Heute in modernen Terrarien kann man die Tiere so halten, dass man als Züchter wenig "Verluste" hat. Und so ein Tier, das früher als heikel in der Haltung galt, lässt sich heute in großen Massen und sehr erfolgreich züchten.
Gezüchtet wird ja nicht nur privat, weil Menschen einfach Freude am Aussehen und am Beobachten der Tiere haben. Sondern auch, weil manche Farbvarianten sehr viel Geld bringen, richtig?
Es gibt Tiere, die Tausende von Euro oder Dollar erzielen, manche Schlangen mit neuen Farbformen sollen sogar für sechsstellige Beträge verkauft worden sein. Doch das Interesse verfällt schnell, sobald es mehr Tiere mit dieser Färbung gibt. Ein Beispiel: Als ich studiert habe, gab es einen Hype nach Pythons mit der Farbe "Banana" – weiß und gelb und mit braunen Sprenkeln drin – eben wie eine Banane. Dafür wurden unglaubliche fünfstellige Summen gezahlt. Inzwischen bekommen Sie solche Tiere bei Ebay-Kleinanzeigen für 50 Euro. Und der Hype ist erst gut zehn Jahre her.
Wir haben jetzt viel über Farbmorphen und Qualzucht gesprochen. Ist auch die Haltung und das Züchten von Reptilien generell eine schlechte Sache?
Nein, ganz und gar nicht. Viele Menschen haben eine ähnliche Beziehung zu Reptilien wie andere zu Hund oder Katze und sorgen sehr gut für ihre Schlangen oder Echsen. Generell gibt es in der Terraristik aber zwei große Strömungen: die eine, die wirklich diesen Zucht-Trends folgt – und die zweite, eher klassische, die die Tiere versucht so zu halten, dass es möglichst nah an der Natur ist. Auch das Bestreben, Exemplare wildlebender Arten zu erhalten, kann ich gutheißen. Das ist der Gedanke, den auch viele Zoos haben: Man erhält eine Art für den Fall, dass sie ausstirbt, damit man sie später wieder in der Natur aussetzen kann.

In welcher Weise ist das Tierheim von den Folgen der Morphen-Zucht betroffen?
Mit Morphen haben wir immer wieder zu tun, gerade mit Königspythons. Wir sind aber derzeit nicht mit diesen Tieren überlastet.
Was man zusätzlich wissen muss: Im Tierschutz sehen wir die Trends immer zeitversetzt. Also, was heute modern ist, kommt wahrscheinlich in zehn Jahren zu uns. Die Tiere, die abgegeben werden oder als Beschlagnahmungen oder Fundtiere zu uns kommen, landen bei uns im Tierheim, wenn der Markt gesättigt ist.
Der ganz große Reptilien-Boom der 90er-Jahre ist allerdings inzwischen vorbei, und während der Corona-Pandemie konnten wir auch viele Schlangen, Echsen und auch Schildkröten vermitteln.
Dann ist doch alles in Ordnung für die Tierheime, oder?
Nein, denn wir befürchten auch, dass wir bald wieder mehr Reptilien aufnehmen müssen, wenn die Menschen nicht mehr so viel im Homeoffice arbeiten. Außerdem könnten die Energiepreise uns treffen. Denn Reptilien sind sozusagen die Stromfresser unter den Haustieren. So ein Terrarium imitiert schließlich in der Regel rund um die Uhr ein tropisches Klima von 30 Grad – wie in Westafrika. Wenn der Strom noch teurer wird, kann das für manche Halterinnen und Halter zum echten Problem werden. Und dann landen diese Tiere doch wieder bei uns.
Herr Saß, vielen Dank für das Gespräch

Sehen Sie ein Video aus unserem Archiv aus Thailand: Eine große Pythonschlange klettert einen Baum hoch. Geschickt klammert sich das Reptil am Stamm fest. Die Technik ist hypnotisierend und faszinierend zugleich.