Verdacht auf Vergiftung Auch Vater von deutscher Familie stirbt in Istanbul

  • von Ayça Balcı
Taksim-Krankenhaus in Istanbul
Im Taksim-Krankenhaus in Istanbul wurden die Touristen nach Vergiftungserscheinungen behandelt
© Mirjam Schmitt / DPA
In Istanbul sind eine Hamburger Mutter und ihre Kinder gestorben – nun auch der Vater. Die Ermittlungen laufen weiter, elf Verdächtige wurden festgenommen. Eine Rekonstruktion.

Nach dem Tod einer Hamburger Mutter und ihrer zwei Kinder ist nun auch der Vater in Istanbul gestorben. Das teilte der Chef der Istanbuler Gesundheitsdirektion, Abdullah Emre Güner, auf X mit. Die Ermittlungen zur Ursache der Todesfälle halten an. Elf Verdächtige wurden laut Medienberichten inzwischen festgenommen.

Nachdem Spekulationen über eine Lebensmittelvergiftung der Familienmitglieder laut wurden, wurde in den türkischen Medien das gesamte Wochenende darüber diskutiert, wie gefährlich der Verzehr von Lebensmitteln ist, die im Straßenverkauf angeboten werden. Kumpir, Kokoreç und gefüllte Muscheln – wovon auch die Familie gegessen haben soll, bevor sie plötzlich erkrankte – gehören in der Türkei zu den Street-Food-Klassikern.

Allerdings geriet nun das Hotel der Familie stärker ins Visier von Ermittlungen und Medienberichten, nachdem bekannt geworden war, dass zwei weitere Hotelgäste aus Italien und Marokko wegen Übelkeit und Erbrechen im Krankenhaus behandelt werden mussten.

Laut eines Berichts von "Oksijen" haben das Gesundheitsamt sowie das Land- und Forstwirtschaftsamt des Bezirks Fatih das Hotel inspiziert. Dabei wurde bekannt, dass am 11. November – einen Tag bevor die Familie erkrankte und im Krankenhaus behandelt werden musste – ein Zimmer im Erdgeschoss des Hotels mit Chemikalien behandelt worden war. Laut Angaben des Hotelmanagements soll das eine Routinemaßnahme zur Desinfektion gewesen sein.

Dem Gesundheitsamt zufolge seien jedoch auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Bettwanzen unternommen worden, bei der unter anderem Chemikalien wie Aluminiumphosphid verwendet worden seien, die für die menschliche Gesundheit gefährlich sein könnten und unter anderem in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Noch bleibt allerdings offen, ob die verwendeten Substanzen möglicherweise mit den Todesfällen in Verbindung stehen könnten. Dem "Oksijen"-Bericht zufolge wurden bei der Inspektion Proben entnommen, die nun untersucht werden. Außerdem berichtet die Online-Zeitung, dass die Familie im ersten Stock wohnte, die anderen zwei Touristen im vierten.

Hotelbesitzer in Istanbul weist Anschuldigungen von sich

Der Hotelbesitzer Orhan Oğlak äußerte sich bisher nur einmal in einer öffentlichen Stellungnahme vor der Presse: "In unserem Hotel wird nur abgepacktes Wasser angeboten, einen anderen Service von Lebensmitteln gibt es nicht." Außerdem gab er an, dass das Hotel regelmäßig desinfiziert werde. "Wir sind überzeugt von unserem Hotel", fügte er hinzu und wies alle Anschuldigungen von sich.

Der Presseagentur Anadolu zufolge nahmen die Behörden im Hotel unter anderem auch Proben des Trinkwassers. Inzwischen ließen die Behörden das Hotel evakuieren und vorübergehend schließen. Elf Personen wurden festgenommen, darunter vier Streetfood-Verkäufer, der Hotelbesitzer und auch zwei Mitarbeiter der Firma, die im Hotel die Desinfizierung durchgeführt hatte.

Diverse Medien berichten, dass sowohl der Hotelbesitzer als auch der Straßenverkäufer, bei dem die Familie gefüllte Muscheln kaufte, mehrfach vorbestraft seien. Der Hotelbesitzer unter anderem wegen Körperverletzung, der Verkäufer wegen Betrugs. Zudem habe sich bei den Ermittlungen herausgestellt, dass die Mitarbeiter der Schädlingsbekämpfungsfirma, Zertifikate, die für solche Maßnahmen nötig seien, nicht vorweisen konnten.

Ob vollständig geklärt werden kann, ob es nun tatsächlich die Lebensmittel waren, oder doch die Desinfektionsmaßnahmen im Hotel, die zur Vergiftung führten, ist unklar. Auch die Obduktionsergebnisse geben hierzu keine eindeutigen Hinweise.

"Beispiel für den Zustand der heutigen Türkei"

Die Journalistin Nevsim Mengü weist auf ihrem Youtube-Kanal jedoch darauf hin, dass der Fall der Familie nicht der einzige Vergiftungsfall in der Türkei in jüngster Zeit war. Sie zählt nur eine Reihe von Lebensmittelvergiftungen auf, über die berichtet wurden: In Kayseri waren es 80 Schülerinnen und Schüler, die im Krankenhaus mit Lebensmittelvergiftungen behandelt werden mussten, nachdem sie auf einem Schulfest Sucuk gegessen hatten. In Rize 94 Personen, die Essen aßen, das auf einer Gebetsveranstaltung verteilt wurde. 28 Studenten, die in Kayseri Döner aßen, elf Arbeiter in Bursa, die nach dem Mittagessen im Krankenhaus landeten. 

Sie zählt noch weitere Fälle auf. "Und das ist alles in den letzten zehn Tage passiert", betont Mengü. Woher kommen all diese Lebensmittelvergiftungen? Die Journalistin sieht den wesentlichen Grund in der extremen Inflation im Land und der daraus resultierenden Preissteigerungen. "Inflation macht unmoralisch", kommentiert sie. Aufgrund der Preissteigerungen würden Restaurants und andere Verkäufer sparen, indem sie Lebensmittel von schlechter Qualität oder gar Zutaten verwenden, die verdorben seien.

Menschen hätten immer größere Angst, draußen etwas zu essen. "Wir führen ein Leben, das qualitativ immer schlechter wird, gleichzeitig aber auch immer teurer." Zuletzt berichteten Studierende immer wieder in den sozialen Medien von Vergiftungen durch das Essen in Universitäts- und Wohnheimkantinen.

Ece Üner, eine Nachrichtensprecherin, die für ihre kritischen Worte bekannt ist, fasste die Situation in einer Livesendung von Halk TV so zusammen: "Die Lebensmittel sind verdorben, der Handel ist verdorben, das Gesundheitssystem ist verdorben. Diejenigen, die all das kontrollieren sollten, sind ebenfalls verdorben. In diesem Land scheint gerade nur eines richtig zu funktionieren und das sind die Bestattungsdienste. Der Fall der Familie aus Deutschland sei von "A bis Z ein Beispiel für den Zustand der heutigen Türkei."

Hinweis: Dieser Artikel wurde mehrfach aktualisiert.

mit Material der Nachrichtenagentur DPA

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