Heute Morgen war ich im Kino. Mitten in der Woche um 9.30 Uhr, Eintritt sechs Euro, Tee und Kaffee für lau. Der Film, #link;http://www.stern.de/lifestyle/ben-stiller-im-interview-von-beruf-tagtraeumer-2078601.html;"Das erstaunliche Leben des Walter Mitty"#, war ganz hübsch, sehr kuschlig, wenn auch etwas schlicht, ein Film also wie Katzenstreicheln, aber um den ging es auch gar nicht. Der Punkt war, mal wieder etwas mit dem vergnügungsförderndsten Gefühl der Welt zu tun: mit köstlich schlechtem Gewissen. Es war wie Schuleschwänzen, am helllichten Tag zur besten Vollbeschäftigungszeit ins Kino zu gehen - und das, obwohl ich wusste, dass man in Hamburg mit trommelnden Fingern auf diesen Text wartet. Nein: weil ich es wusste. Nie habe ich den Ausdruck "diebisches Vergnügen" so gut verstanden wie heute Morgen: Der Genuss nimmt zu, wenn er mit einer Prise Illegalität gewürzt ist, wenn man ihn der Welt abknöpft. Offiziell genehmigter Spaß dagegen - Schützenfest, Weiberfastnacht, Fußball- Endspiel - erfordert bei mir immer eine gewisse Anstrengung, verbunden mit mächtig viel Alkohol, um ihn erst erträglich und am Ende dann doch vergnüglich zu machen.
Meike Winnemuth
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Das bringt uns nahtlos zum großen Volksvergnügen der kommenden Wochen: Der Januar ist ja seit einigen Jahren die sehnsüchtig erwartete fünfte Jahreszeit im Fernsehen. Endlich beginnen wieder die Trash-Festspiele: "DSDS", dann "Dschungelcamp", gefolgt von "Der Bachelor" (eine anstrengende Woche lang muss man alles parallel gucken), etwas später "Let's Dance", stets begleitet von den immer selben Debatten mit den immer gleichen Vokabeln ("menschenverachtend", "mediale Prostitution", "unterste Schublade"). Für mich bedeutet das: mindestens drei Wochen am Stück Komaglotzen von härtestem Stoff und danach eine Woche TV-Methadon zum Runterkommen, eine Staffel "Downton Abbey" etwa oder was anderes zum Entgiften. Wobei: Mit Fernsehen allein ist es ja nicht getan. Zu den lieb gewonnenen Ritualen wie Lagerkoller und Zickenkrieg gehört längst auch die freudige Erwartung des obligatorischen fingerhebenden Bundestagshinterbänklers, die traditionelle "Playboy"-Strecke der jeweils zweitschlampigsten Frau im Camp und anderes wohliges Grundrauschen.
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Für derlei unverantwortlichen Medienkonsum gibt es seit einiger Zeit den schicken Modebegriff guilty pleasure: Man weiß, dass es Mist ist, man gönnt es sich aber trotzdem. Oder gerade. Weil es nun mal jeden Menschen überfordert, immer nur das Richtige zu machen, das Opportune, das Erwünschte, das Gesunde, das politisch Korrekte. Dafür sind wir einfach nicht gemacht, jedenfalls nicht auf Dauer. Es braucht ein Quantum Schädlichkeit, verabreicht in regelmäßigen Dosen.
Schadenfreude, Ekellust
Das Wunderbare am guilty pleasure "Dschungelcamp" ist nun, dass sämtliche niederen Bedürfnisse in einem handlichen Paket bedient werden: Voyeurismus, Schadenfreude, Ekellust, Selbstgerechtigkeit - herrlich, alles darf für diese zwei Wochen mal von der Leine. Das noch Wunderbarere aber ist, dass sich völlig ungeplant auch edle Gefühle regen: Mitleid mit armen Kreaturen wie Georgina oder Sarah Dingens, Bewunderung für unvermuteten Stoizismus und ehrliche Anerkennung für Leute, die eigentlich als Karikaturen gecastet waren, dann aber über sich hinauswuchsen und meist verdient Dschungelkönige wurden. Ross Antony etwa, in Position gebracht als überkandidelte Tunte, klammerte sich erst drehbuchgerecht heulend an seinen Teddy, spielte sich dann aber mit übermenschlicher Menschlichkeit in die Zuschauerherzen ebenso wie Vorjahressieger Joey Heindle - nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber ganz bei sich im Hier und Jetzt. Herrlich wärmend ist das dann immer im meist kalten Januar: Es ist noch Hoffnung für uns alle - für die auf dem Schirm und die davor.