Frau Klöckner, Horst Seehofer und Ulla Schmidt wollen der Fettleibigkeit mit besserer Ernährung und mehr Bewegung den Garaus machen, aber ohne Verbote. Reicht das?
Wir setzen auf Einsicht. Ein Verbot macht vieles erst attraktiv. Wenn man etwa Süßigkeiten verbieten würde, erhöhte dies nur den Reiz. Eine Ampelkennzeichnung - Rot für "schlecht" und Grün für "gut" - ist zu undifferenziert. Es geht um einen ausgewogenen Ernährungs- und Bewegungsansatz. Das geht nicht über Verbote und Regulierung, sondern nur über Orientierung. Deshalb setzen auf Bildung und Ausbildung, um den richtigen Umgang mit Lebensmitteln und mit Bewegung zu vermitteln. Nur auf dieser Grundlage kann jeder einzelne herausfinden, was für ihn der richtige Lebensstil ist.
Zur Person
Die rheinland-pfälzische Abgeordnete Julia Klöckner, 34, ist Beauftragte für Verbraucherschutz der Unionsfraktion im Bundestag. Vor ihrem Einzug in das Parlament im Jahr 2002 war die studierte Politologin unter anderem Religionslehrerin und Chefredakteurin der Zeitschrift "Sommelier Magazin".
Der Verzicht auf eine Ampelkennzeichnung kann dazu führen, dass es gerade bildungsfernen Konsumenten schwer fällt, "richtig" einzukaufen. Weshalb leisten Sie nicht durch eine einfache Kennzeichnung Abhilfe, eben durch eine Ampel?
Weil es keine richtigen oder falschen Lebensmittel gibt, die ich mal schnell in rot oder grün einordnen kann. Es gibt nur einen richtigen oder falschen Lebensstil. Dem einen tut bisweilen ein Stück Schokolade gut, der andere hat gerne seine Butter auf dem Brot. Entscheidend ist das richtige Maß. Was wir brauchen, ist eine klare und verständliche Kennzeichnung. Aber eben nicht diese simple Schwarz/Weiß-Einteilung. Zugegeben: Es hilft nichts, wenn auf der Rückseite einer Schachtel klein gedruckte Nährwerttabellen stehen, mit vielen Abkürzungen, deren Bedeutung sich dem Konsumenten nicht erschließen. Aber ein Mehr an Informationen bedeutet nicht immer auch ein Mehr an Wissen. Deshalb sollten die Kalorienangaben für jedes Produkt deutlicher herausgestellt sein, pro Einheit auf der Vorderseite der Verpackung. Dann kann man die Produkte schnell miteinander vergleichen und einordnen.
Aber gerade bei Konsumenten aus bildungsfernen Schichten fehlt möglicherweise oft genau die Fähigkeit, Informationen richtig einzuordnen, sie zu bewerten. Ist das Ampelsystem nicht viel eingängiger und sinnvoller?
Das ist ein zu einfacher Ansatz. Alle Konsumenten sollten mit Kalorienangaben etwas anfangen können. Zudem könnte es auch zu einer einseitigen Mangelernährung führen, wenn man sich ausschließlich von "grünen" Lebensmitteln, etwa Äpfeln, ernährt. Es ist zum Beispiel klar, dass Butter immer einen roten Punkt hätte. Nein, das Ampelsystem würde dazu führen, dass es nicht um das rechte Maß ginge, sondern darum, Produkte zu verteufeln. Das ist der falsche Weg.
Und was ist der Richtige?
Wir müssen auf mehreren Ebenen aktiv werden. So brauchen wir in den Kindergärten und in den Schulen ein besser vermitteltes Ernährungswissen. Wir brauchen das Unterrichtsfach "Ernährungskunde" in allen Schularten. Dieser Unterricht muss flankiert werden von einem Mehr an Bewegung. Energieaufnahme und Energieverbrauch müssen in die richtige Balance gebracht werden und das kann man erlernen.
Was soll in dem Fach konkret gelehrt werden?
Zum einen sollte man in der Schule auf gemeinsame Essensphasen setzen, zum anderen brauchen die Schüler auch Erläuterungen zu einzelnen Lebensmitteln, auch Hilfestellung bei der Frage, ob was ein reichhaltiges, gesundes Frühstück ist - also Müsli statt Milchschnitte. Was Kalorien sind, welcher Energiegehalt richtig ist, wie wichtig eine ausgewogene Ernährung für die Entwicklung ist, das könnte Inhalt von Ernährungsaufklärung sein. Im Kern müssen wir in der Schule jene Wissenslücken füllen, was manche Eltern versäumt haben: Cola und Snickers zum Frühstück, das muss jedem klar sein, das darf es nicht geben.
Sie setzen auf Prävention und Aufklärung statt auf staatliche Intervention. Ab wann wäre für Sie der Punkt erreicht, an dem der Staat eingreifen müsste?
Der Staat wird ja aktiv und greift in die Entwicklung ein, indem zum Beispiel vorbeugende Maßnahmen gefördert werden. Dies tun auch Krankenkassen mit Bonuspunkt-Systemen für gesundheitsfördernde Ernährungs- und Bewegungsstile, Mitgliedsbeiträge in Fitnessstudios werden kofinanziert. Auch beteiligen sich etliche Unternehmen an den Kosten ihrer Mitarbeiter für Bewegung und Fitnessprogramme. Ich halte allerdings wenig davon, so etwas gesetzlich zu regeln. Ich bin skeptisch, dass der Staat dem einzelnen vorschreiben kann, welche Tagesration er benötigt. Er kann nur die Rahmenbedingungen schaffen - so zu Beispiel auch mit dem Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt", bei dem das Bewegungsumfeld also die Fuß- und Radwege und Sportstätten von Kindern und Jugendlichen gefördert werden.
Aufrufe, besser zu essen und sich mehr zu bewegen, gibt es schon viele. Auch das, was die Bundesregierung jetzt anregt, hat eher den Charakter eines Appells, Druckmittel gibt es keine. Wieso sollte sich jetzt plötzlich etwas verbessern?
Zu einer Bewusstseinsänderung gehört, dass man sich zunächst das Problem vor Augen führt, sensibilisiert und die zahlreichen Aktivitäten endlich koordiniert - auf Bund-, Länder- und Kommunalebene. Das heißt, wir müssen auch die Schulen im Blick haben. Ein Schulmilchprojekt haben wir bereits beschlossen. Zudem gibt es konkrete Anregungen bei den Außer-Haus-Verköstigungen und Bewegungsangeboten. Hier werden in einigen Ländern nun konkrete Projekte umgesetzt.
Wollen sie solche Ansätze auch finanziell fördern?
Wir müssen hinterfragen, warum zwar Mensa-Essen nicht durch die Umsatzsteuer belastet sind, aber Schulspeisungen. Mensen und Studentenwerke, die einem amtlich anerkannten Wohlfahrtsverband angeschlossen sind, sind nämlich von dieser Steuer befreit. Deshalb müssen wir überprüfen, ob und wie eine ausgewogene Ernährung von Kindern in Übermittagsbetreuungen nicht auch zu einem attraktiven Preis realisiert werden kann. Geld fließt übrigens auch in Modell- und Forschungsprojekte rund um das Thema Ernährung, der Bund ist auch an der Plattform Ernährung und Bewegung beteiligt - für Ernährungsaufklärung wird es künftig mehr Geld aus dem Haushalt des Bundesernährungsministeriums geben.