Selten hat eine Tierdokumentation so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wie "Eaten Alive". Vor laufender Kamera lässt sich der Tierfilmer Paul Rosolie von einer Anakonda auffressen. Das zumindest kündigte Discovery Channel im Vorfeld groß an. 20 Millionen Mal wurde der verheißungsvolle Trailer zur Sendung geklickt und über 38.000 Mal wurde zeitgleich eine Tierschützer-Petition gegen die Ausstrahlung unterschrieben. "Hip hip hurra!" dürfte es letzte Woche durch die Redaktionsflure gehallt sein, eine bessere Vorab-Promo kann sich ein Sender kaum wünschen. Als die Sendung am Wochenende in den USA schließlich ausgestrahlt wurde, erfreute man sich der erwartet hohen Quote.
Doch eben so eifrig wie zugeschaltet wurde, machte sich nach kurzer Zeit Häme breit: Rosolie, der sich der Schlange zum Fraß vorgeworfen hatte, brach das Experiment der zweistündigen Sendung überraschend zügig wieder ab. Der Druckschmerz im Arm war dann doch zu stark geworden. Die Zuschauer fühlten sich um die versprochene Sensation betrogen - seither hagelt es im Netz spöttische Kommentare wie "Sensationsgeilheit vs. Mediales Eigentor" oder "Große Worte um etwas wegen Schmerzen im Arm abzusagen". Nach eigenen Angaben soll der 27-Jährige sogar Morddrohungen bekommen haben.
Wir sehen uns in der Pflicht, das zu zeigen
Aller Kritik und des Shitstorms zum Trotz soll "Eaten Alive" auch ins Deutsche Fernsehen kommen. Mit allerbester Absicht natürlich, wie ein Pressesprecher des Tochtersenders DMAX, der seinen Namen nicht nennen wollte, betonte. Rosolie habe mit der Aktion Aufmerksamkeit für den Regenwald schaffen wollen. Genau das habe er nun geschafft. "Als Sender sehen wir uns in der Pflicht, diese Botschaft zu kommunizieren." Dass Discovery Channel seinen Zuschauern über Wochen versprach, ein Mann würde bei lebendigem Leibe von einer Anakonda gefressen, sieht man bei DMAX gelassen. "Hätte man das Experiment von vornherein als gescheitert erklärt, wäre ja die ganze Aufmerksamkeit verpufft und der Tatsache, dass der Regenwald gerodet und Lebensräume zerstört werden, wäre keine Aufmerksamkeit zugekommen", so der Pressesprecher.
Doch was genau hat die Idee, sich von einer Anakonda auffressen zu lassen, eigentlich mit dem Schutz des Amazonasgebiets zu tun? Zunächst wollte Rosolie mit der Aktion Erkenntnisse über den Verdauungsmechanismus der Anakonda gewinnen. Sein Schutzanzug war dazu mit verschiedenen Kameras und Instrumenten ausgestattet, um etwa den Druck, den die Schlange beim Schlucken ausübt, zu messen. "Die zweite Intention des Projekts war, den Zuschauern zu zeigen, dass sich da jemand im Dienste der Wissenschaft und der Umwelt von einer Schlange verschlingen lässt. Und genau das erzielt Aufmerksamkeit für den Regenwald", erklärt der Sender-Sprecher.
Wie weit darf Wissenschaft gehen?
Heiligt der Zweck also die Mittel? Darf sich ein Mensch in einem bissfesten "Kampfanzug" von einer Schlange fressen lassen, um Aufmerksamkeit für ihren bedrohten Lebensraum zu generieren? "Verzweifelte Zeiten, verzweifelte Maßnahmen", rechtfertige Rosolie seine rabiate Aktion in der "New York Post". "Das ist Tierquälerei höchsten Grades und absolut ekelhaft", schrieb dagegen Ben Paramonte, der die Petition gegen die Ausstrahlung initiierte. Doch von Tiermisshandlung will man bei DMAX nichts wissen. Rosolie sei ein ausgewiesener Tierexperte, der Biologie studiert und sich sein Leben lang mit diesen Tieren beschäftigt habe, argumentiert der Sender. "Er würde niemals etwas tun, was den Tieren oder der Umwelt schadet", so der Sprecher.
Die Reptilienexpertin Lisa Powers sieht das anders: "Anakondas sind wundervolle Tiere und haben absolut unsere Aufmerksamkeit, unser Interesse und unseren Schutz verdient, ohne dass man sie dazu bringen muss, einen Menschen zu essen - etwas, was bekanntermaßen wider ihre natürliche Ernährungsweise ist", schrieb sie auf dem Wissenschaftsblog "Red Orbit". Auch der Autor Daniel Lingenhöhl ist der Meinung, dass Rosalie mit dieser Aktion übers Ziel hinausgeschossen sei. Er erreiche mit seinen dramatischen Sequenzen zum Schutz der Anakonda im dümmsten Fall genau das Gegenteil: dass Menschen die Schlange noch mehr fürchteten und töteten. Die Show habe nichts mit der Realität zu tun, so Lingenhöhl.
Auch Power wünscht sich, dass Wissenschafts-Sender wie Discovery Channel aufhören, solche pseudo-wissenschaftlichen, sensationslüsternen Shows wie "Eaten Alive" zu senden. Tatsächlich dürfte die Sendung der Seriosität des amerikanischen Senders und seines deutschen Ablegers wenig zuträglich sein. Zu laut ist der Vorwurf, Quote und Sensation stünden über Wissenschaftlichkeit und ernstgemeintem Umweltschutz. Angst vor einem Gesichtsverlust hat man bei DMAX dennoch nicht. Die Sendung wird wie geplant am 13. Dezember um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Man stehe zu 100 Prozent hinter Rosolies Projekt und blicke dem erwarteten Shitstorm gelassen entgegen, so der Sender. Dass man es nicht allen Recht machen könne, sei schließlich normal.