In der Kantine gibt es mal wieder nur Sülze oder Grützwurst? Das Pausenbrot ist mit der ollen Leberwurst bestrichen, die Sie noch nie mochten? Dann gehen Sie doch einfach mal vor die Tür und suchen sich dort Ihr Mittagessen zusammen! Die Natur hat eine Menge zu bieten, was den Magen füllen kann - sogar in der Stadt.
Klee zum Beispiel ist ein guter Eiweißlieferant, der auf fast jeder Wiese wächst. Genau wie Schafgarbe. Dazu etwas Spitzwegerich vom Wegesrand als geschmacklicher Pilzersatz. Oder Sie lassen wie in Kindertagen ein paar Springkrautschoten platzen. Die Samen, die herauspurzeln, schmecken nach Walnuss. Und zum Nachwürzen besorgen Sie sich im nächsten Gebüsch Knoblauchsrauke, auch ihre Samen enthalten jede Menge Eiweiß, schmecken wie Senföl - und wenn Sie sich ratschen, während Sie durch die Büsche krabbeln, können Sie die Wunde gleich mit der antiseptisch wirkenden Pflanze versorgen.
Überlebenstraining in Wald und Flur
Sind sie auf den Geschmack gekommen? Möchten sie vielleicht sogar wissen, wie man nicht nur ohne Kantine überlebt, sondern auch ohne Tisch, Bett, Herd, Kühlschrank, Wasserhahn, Feuerzeug und Handy? Und das alles mitten in der Natur? Dann sind Sie in guter Gesellschaft. Die Survivalbranche floriert. Immer mehr zivilisationsmüde, abenteuerlustige oder einfach nur naturbegeisterte Städter zieht es zum Überlebenstraining in Wald und Flur.
Dazu tragen auch die Survival-Shows im Fernsehen bei. Allein auf dem Spartensender DMAX laufen ein Dutzend Varianten dieser Sendungen, deren bekanntester Star der britische Abenteurer Bear Grylls ist. In unsicheren Zeiten hätten die Menschen Angst vor Terror, Klimakatastrophen oder um den eigenen Job, zitiert die "Rhein-Neckar-Zeitung" den Mediensoziologen Rainer Winter. Deshalb erscheine ein Überlebenskampf durchaus als etwas, was den Menschen passieren könne. "Der Zuschauer möchte wissen: Was geschieht, wenn so eine Situation eintritt? Welche Kompetenzen brauche ich?" Sich auf diese Weise vorzubereiten, wirke auf die eigenen Ängste beruhigend, erklärt Winter.
Dass das, was im perfekt inszenierten Survival-TV gezeigt wird, manchmal eher zum Übergeben als zum Überleben geeignet ist, kann man von Detlef Kamerau lernen. Der ehemalige Bundeswehrsoldat mit Spezialverwendung ist Inhaber der Outdoor/Survival-Schule Malente in Schleswig-Holstein. "Wenn Bear Grylls vor der Kamera einen Käfer isst, sieht das zwar spektakulär aus, ist aber nicht zur Nachahmung zu empfehlen", warnt Kamerau. Käfer seien als Nahrungsmittel völlig ungeeignet. Die Verdauung ihres Chitinpanzers verbrauche mehr Energie, als dem Körper durch den Verzehr des Insektes zugeführt werde, erklärt der Expeditionsleiter und Abenteuerreisende.
Beim Survival-Training stirbt so mancher Irrglaube
Kamerau bietet gemeinsam mit seiner Ehefrau Nicole Adler, einer Berufssoldatin und Rettungssanitäterin, Survival-Training in der Holsteinischen Schweiz an. Sein Motto: "Passen Sie auf sich auf! Ich zeige Ihnen, wie das geht." Was der hauptberufliche Überlebenslehrer damit meint, erfährt man am besten in einem seiner Survival-Grundkurse. Innerhalb von zwei Tagen vermittelt Kamerau den Teilnehmern nicht nur wie man ohne Kantine satt wird, sondern auch wie man Feuer macht, Wasser gewinnt, Unterkünfte und Schlafstätten baut, Jagdwaffen herstellt, gegen Wildschweine kämpft, sich in der Wildnis orientiert und einen stinkenden Tümpel überquert, ohne hineinzufallen.
In seinem mit viel Begeisterung, Fachwissen und Humor gespickten Kurs räumt Kamerau nebenbei mit so manchem Irrglauben auf. Oder hätten Sie gedacht, dass weder Früchte noch reines Regenwasser als Durstlöscher geeignet sind? Die einen enthalten zu viel Zucker und entziehen den Körperzellen deshalb Flüssigkeit und das andere muss erst mineralisiert werden - mit Steinen, Sand oder notfalls auch den eigenen Socken.
Und wussten Sie, dass man nur etwas essen darf, wenn man ausreichend Wasser zur Verfügung hat? Verdauen verbraucht nämlich nicht nur Energie, sondern auch Flüssigkeit. Deshalb – mag der Appetit darauf auch noch so groß sein – Hände weg von Klee und Sprinkrautsamen, wenn das sockenveredelte Regenwasser ausgegangen ist.
Selbst das Schlafen am Lagerfeuer will gelernt sein. Während sich der unerfahre Städter gern bäuchlings Richtung Flammen bettet, rät Kamerau zum Umdrehen. "Die Vorderseite ist der am besten isolierte Teil des Körpers", klärt der Survival-Profi auf. Deshalb sei es besser, dem Feuer den kälteanfälligeren Rücken zuzukehren. Außerdem durchscheine das flackernde Licht der Flammen die Augenlider – für den Körper ein Warnsignal, das Adrenalin freisetzt und so das Einschlafen erschwert.
Bis zu 30 Überlebenswillige nehmen jeden Monat an Kameraus Survival-Grundkurs teil, von der Teenagerin bis zum Rentner. Das zweitägige Training kostet 155 Euro. Benötigt werden lediglich zweckmäßige Kleidung, ein Messer, eine Wasserflasche und ein Feuerstahl. Für Kinder bieten der 48-Jährige und seine Frau, die zugelassene Pflegeeltern sind, zusätzlich erlebnispädagogische Kurse an. Darüber hinaus kann man in Malente auch lernen, wie man im Sumpf, der Wüste, bei Schiffbruch oder völlig ohne zivilisatorische Ausrüstung überlebt - für alle, die mit richtig großen Schwierigkeiten rechnen.