Als Wanda an einem Tag im Oktober nach Amelinghausen in Niedersachsen kam, schwebte sie zwischen Leben und Tod. Ihr Schädel war skalpiert, eine tiefe Wunde klaffte in ihrem Kopf. Ein Mann hatte den Igel in einem Schrebergarten gefunden, sich sofort ins Auto gesetzt und war die 20 Kilometer von Lüneburg aus hergefahren. Antje Fabrizius-Voigt wartete schon. Sie legte den Igel auf den Untersuchungstisch, einen umfunktionierten Schreibsekretär, und behandelte die Wunde mit einer Speziallösung. Dann zog Wanda in ihr neues Zuhause ein.
Antje Fabrizius-Voigt, 51, arbeitet ehrenamtlich für die Kleine Igelhilfe Amelinghausen. Das Hauptquartier des Vereins liegt im Obergeschoss eines Einfamilienhauses, auf Regalböden reihen sich dort Kleintierkäfige aneinander. Auf Zetteln stehen Hinweise zu den Bewohnern: "Husten!" Oder: "Achtung! Kein Trockenfutter." Manche Igel würden mit Bisswunden eingeliefert, sagt Antje Fabrizius-Voigt, seien angefahren worden oder befallen von Parasiten. Andere kämen ausgetrocknet oder abgemagert. Regelmäßig erreichten sie aber auch Igel mit Schnittwunden wie Wanda – verursacht offenbar durch Mähroboter.

Der Igel-Bestand geht seit Jahren zurück
Die Rasen in deutschen Gärten sind für Igel ein gefährliches Terrain. Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin sammelt Meldungen aus dem ganzen Land von Igeln, die wahrscheinlich von Mährobotern verletzt wurden. Mehrere hundert Fälle trugen die Forschenden seit September des vergangenen Jahres zusammen, Tendenz steigend. "Wir gehen zudem von einer sehr hohen Dunkelziffer aus, da viele Tiere erst gar nicht gefunden werden", sagt Anne Berger, Biologin am Leibniz-Institut: "Werden sie von den Robotern überrollt und verletzt, suchen sie – so sie es noch können – lautlos Schutz in Hecken und Büschen". Das könne ihnen zum Verhängnis werden. Die Igelschützerin Fabrizius-Voigt nennt die Mähroboter schlicht "großen Mist".
Die Zahl der Igel in Deutschland ist seit Jahren rückläufig. Im Jahr 2020 wurde er auf der Vorwarnliste der Roten Liste für bedrohte Arten aufgenommen – sein Bestand ist damit noch nicht gefährdet, aber merklich zurückgegangen. Die größte Bedrohung des Igels sind zwar keine Mähroboter, sondern die Zerstörung seines natürlichen Lebensraums, einer Landschaft mit Gehölz, Hecken und nährstoffarmen Wiesen. Doch die automatischen Rasenmäher setzen dem Vorkommen weiter zu – vor allem wenn sie in der Dämmerung oder nachts betrieben werden. Denn dann kommt auch der Igel aus seinem Versteck und sucht nach Futter, nach Schnecken, Käfern, Vogeleiern.
In ihrem Behandlungsraum klappt Antje Fabrizius-Voigt ihren Laptop auf. Sie klickt sich durch Fotos von Igeln, die zur Pflege auf ihre Station gekommen sind. "Schnittverletzung am Hals", sagt sie, zeigt auf das Foto und klickt weiter, "Schnitt ins Bein", "Nasenspitze abgeschnitten" – "und hier war die ganze Hautschicht weg und die Knochen guckten raus". Einen Beleg, dass in jedem Fall ein Mähroboter der Schuldige war, hat Fabrizius-Voigt zwar nicht. Sie stehe jedoch mit den Forschenden des Leibniz-Zentrums über eine Facebook-Gruppe im regen Austausch, und die Schnittmuster seien "eindeutig", sagt sie.

Hersteller von Mährobotern sehen Verantwortung auch bei den Verbrauchern
Fragt man bei großen Herstellern von Mährobotern nach, streitet niemand ein Verletzungsrisiko von Kleintieren wie Igeln grundsätzlich ab. Sie setzen allerdings auf verschiedene Maßnahmen, um dieses möglichst gering zu halten. Der Pressesprecher der Husqvarna Group, zu der auch die Marke Gardena gehört, verweist auf Hebe- und Stoßsensoren, welche die Geräte bei der Kollision mit einem Hindernis sofort zum Stoppen brächten. Zudem sei die Messerscheibe "weit innenliegend" angebracht. Die Marke Worx setzt auf Ultraschall-Sensoren und in neueren Modellen auch auf spezielle Weitwinkelkameras. Dadurch ändere der Roboter "seine Fahrtrichtung, bevor er Tiere berühren kann", schreibt das Unternehmen.
Zudem klären die Hersteller die Nutzerinnen und Nutzer verstärkt auf, beispielsweise in Betriebsanleitungen. Von einem Einsatz der Geräte während der Dämmerung und in der Nacht raten sie ausdrücklich ab, programmieren auch zugehörige Apps entsprechend. In den voreingestellten Mähplänen sei "eine Nachtaktivierung nicht vorgesehen", heißt es beispielsweise von Stihl. Die Verantwortung sehen die Hersteller am Ende allerdings beim Verbraucher, dieser müsse "eine Risikoabwägung treffen", sagt der Husqvarna-Sprecher.
Bald kommen die Jungigel auf die Station
Bei einem Besuch der Igelstation Amelinghausen Ende Juni sind neun Tiere in Pflege. Mähroboter-Opfer habe sie glücklicherweise zur Zeit keine, sagt Antje Fabrizius-Voigt. Einige Tiere wurden tagaktiv gefunden – das sei immer ein Zeichen, dass mit einem Igel etwas nicht in Ordnung sei. Manche Tiere kommen stark abgemagert in der Station an, und müssten erst langsam wieder an die Nahrungsaufnahme gewöhnt werden.
Zwei Helferinnen rühren an diesem Nachmittag die Mahlzeit für die Igel an, vermischen Berge von Katzenfutter mit Mineralien, Trockeninsekten oder etwas Haferflocken. Sobald sie die Teller in die Igelkäfige stellen, kriechen die Tiere aus dem Unterschlupf hervor. Antje Fabrizius-Voigt trägt danach einen ihrer Patienten mit dem Namen Eckhardt zum Behandlungstisch, nimmt ein Wattestäbchen und desinfiziert seine Wunde. "Gut verheilt", attestiert sie ihm. "Ecki" könne schon bald entlassen werden.
Antje Fabrizius-Voigt setzt sich für Tiere ein, seit sie ein Kind ist. Sie erinnert sich, wie sie mit ihrem Opa Kaulquappen aus einem Teich rettete und in einem Aquarium großzog. Einmal brachte sie, zum Verdruss ihrer Eltern, eine verletzte Blindschleiche mit nach Hause, und als sie ungefähr neun Jahre alt war, überwinterte sie im Heizungskeller der Eltern einen Igel. Dem Tierschutz blieb sie neben ihrer Arbeit weiter treu. Wenn ab Ende Juli die Igelbabys geboren werden, wenn in Amelinghausen die Waisenkinder ankommen, dann beginnt für Fabrizius-Voigt eine hektische Zeit. Bedürftige Junge nimmt sie mit nach Hause, steht nachts alle zwei, drei Stunden auf und füttert sie mit der Flasche.
Ein Garten mit Totholzecke und Wildblumenwiese
Vor drei Jahren gründete Fabrizius-Voigt zusammen mit ihrem Mitstreiter Ralph Götting einen Verein und stellte die Igelhilfe in Amelinghausen auf professionelle Beine. Unterstüzt werden sie durch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Umweltschutz, das bedeutet für Fabrizius-Voigt: selbst anpacken. "Wenn man etwas Gutes tun möchte, kann man auch etwas bewegen."
Nicht alle Tiere kann die Igelhilfe retten. Manchmal müssen die Mitglieder schwer verletzte oder kranke Tiere zu einer Tierärztin bringen, die sie einschläfert. Für Wanda, den Igel aus dem Schrebergarten, ging der Unfall gut aus. Die Kopfwunde schloss sich nach einigen Wochen, und Wanda legte sich in den Winterschlaf. Im Mai nahm Fabrizius-Voigt den Igel mit zu sich nach Hause und wilderte ihn in ihrem eigenen Garten aus. Natürlich sei ihr Garten igelfreundlich, erzählt sie, mit einer Wassertränke, einer Totholzecke, einer Wildblumenwiese und Stroh als Nistmaterial.
Was sind die schönsten Momente auf der Igelstation? Antje Fabrizius-Voigt schaut aus dem Fenster in die Ferne, dann sagt sie: "Wenn ich alles für einen Igel getan habe, ihn fast schon fast aufgeben habe – und dann fängt er wieder an zu fressen."