Neue Therapie Gelähmte Ratten lernen wieder laufen

Eine spezielle Stimulation bringt Ratten mit Querschnittlähmung dazu, ihre Hinterbeine bewusst bewegen zu können. Antrieb erhalten die Tiere durch Chemikalien, Strom - und Schokolade.

Trotz Querschnittslähmung wieder laufen können - das wünschen sich viele Betroffene. Bei Ratten ist dies gelungen. Mit einer neuen Methode haben Wissenschaftler gelähmten Ratten das Laufen beigebracht. Die Nager gewannen die bewusste Kontrolle über ihre Bewegungen zurück und konnten mithilfe einer Halterung sogar rennen, Treppen steigen und Hindernissen ausweichen. Die Forscher planen, das Verfahren in ein bis zwei Jahren auch an Menschen zu testen.

Kernstück des Neuro-Rehabilitationsverfahrens der Schweizer Forscher um Grégoire Courtine vom Swiss Federal Institute of Technology (EPFL) ist die Stimulierung derjenigen Nervenzellen im Rückenmark, die keine Informationen mehr aus dem Gehirn erhalten, wenn das Rückenmark schwer verletzt oder vollständig durchtrennt ist. Die Testratten hatten wegen einer solchen Verletzung gelähmte Hinterbeine. Die Wissenschaftler aktivierten die Nervenzellen mit einem anregenden Chemikalienmix und elektrischen Stößen, berichten sie im Fachmagazin "Science".

Neue Nervenverbindungen entstehen

Die Forscher konnten dabei auf frühere Erfahrungen zurückgreifen. Bereits vor drei Jahren gelang es ihnen dank dieser Stimulierung, dass gelähmte Ratten auf einem Laufband vorwärtsgehen konnten. Anders als heute vermochten die Tiere ihre Bewegungen aber nicht bewusst zu steuern - die Nervenverbindungen zwischen Hinterbeinen und Gehirn blieb getrennt.

Nun bauten die Wissenschaftler einen robotergesteuerten Apparat, der die Ratten auf den Hinterbeinen hält und sie auffängt, sobald sie das Gleichgewicht verlieren. Das gibt den Ratten das Gefühl, eine gesunde Wirbelsäule zu besitzen, erklären die Forscher. Nach der chemisch-elektrischen Stimulation absolvierten die Tiere gestützt von dem Geschirr ein Lauftraining - vorwärts gelockt mit einem Stückchen Schokolade.

Nach zwei bis drei Wochen Training machten die Ratten ihre ersten selbstständigen Schritte und schon bald legten sie eine Strecke von 21 Metern in drei Minuten zurück. Die Tiere trugen dabei ihr Körpergewicht allein und bewegten ihre Beine mit Absicht. Denn: Durch das spezielle, willensbasierte Training entstanden neue Nervenverbindungen im Rückenmark. Diese bildeten sich um die verletzten Bereiche herum und knüpften neue Verbindungen zwischen dem Gehirn und den Hinterbeinen - das gab den Ratten die bewusste Kontrolle über ihre Beinbewegungen zurück.

Ansätze für die Therapie von Querschnittsgelähmten

Als ein "tolles Zeichen" und klinisch sehr relevant, beurteilt Dietmar Fischer von der Neurologischen Klinik der Universität Düsseldorf den neuen Ansatz. Er betont jedoch, dass Studien an Ratten nicht ohne weiteres auf Menschen übertragbar seien, da zum Beispiel ihre Nervenfasern anders verliefen.

Bereits heute können jedoch einige Patienten, bei denen das Rückenmark nicht vollständig durchtrennt ist, mithilfe von langwierigem Training auf einem Laufband lernen, ihre Beine oder Arme zumindest wieder etwas zu bewegen. Das kombinierte Verfahren von Courtine sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu modernen Therapien, sagt Jan Schwab von der Abteilung Experimentelle Neurologie an der Charité Berlin. Zudem verbessere es das Verständnis der erstaunlich robusten Regenerationseffekte im stimulierten, verletzten Rückenmark. Lange dachten Wissenschaftler, das Rückenmark könne sich nach Verletzungen nicht erholen. In jüngerer Zeit hätten einige Studien gezeigt, dass diese Annahme falsch gewesen sei, berichtet Schwab.

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maj/DPA

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