Acht Stunden lang liegt der 46-jährige Mann auf dem Operationstisch. Sein rasierter Kopf ist in einer Art Schraubzwinge justiert, darüber wölbt sich im Halbrund ein spezielles Röntgengerät. Der Patient ist lokal betäubt, aber bei vollem Bewusstsein, als ihm der Arzt zwei kleine Löcher in die Schädeldecke bohrt und anschließend millimetergenau zwei winzige Elektroden weit ins schmerzunempfindliche Gehirn schiebt. Deren Ziel liegt im inneren Pallidum, einem wichtigen Teil der Bewegungssteuerung. Dort herrscht bei dem Mann seit Jahren Chaos: Er leidet an unwillkürlichen Muskelkrämpfen der linken Körperhälfte, einer so genannten Dystonie. Doch Hirnschrittmacher versprechen zumindest einem Teil der Betroffenen Besserung.
Der Impulsgeber wird in der Bauchhöhle implantiert
"Das Einsatzspektrum für Hirnschrittmacher hat sich mittlerweile stark verbreitert", berichtet der Neurologe Andreas Kupsch, der an der Berliner Charité seit Jahren derartige Operationen durchführt. Nicht nur Dystonie-Erkrankten, vor allem auch Menschen mit der Schüttellähmung Morbus Parkinson oder mit Multipler Sklerose im fortgeschrittenen Stadium kann mit Medikamenten allein oft nicht mehr geholfen werden. Hier sind die feinen Elektroden eine Alternative: Verbunden mit einem Impulsgeber, der in der Bauchhöhle implantiert wird, setzen sie feine Stromsignale in den betroffenen Hirnregionen frei und blockieren auf diese Art das Signalchaos der Nervenzellen, das zu Dauerzittern oder Muskelkrämpfen führt.
Allein in Deutschland wurden bislang rund 500 solche Operationen durchgeführt. Der weitaus größte Teil davon in Köln, wo Prof. Volker Sturm den bundesweit einzigen Lehrstuhl für Stereotaxie innehat. Routine ist dieser Eingriff damit noch lange nicht. Denn nicht alle Patienten kommen dafür in Frage. "Doch ist die Indikation einmal sicher gestellt, liegt die Erfolgsquote bei 90 Prozent", sagt Sturm. Er schätzt, dass mindestens zehn Prozent der 240 000 Parkinson- Kranken in Deutschland mit einem solchen Eingriff geholfen werden könnte.
Bei Epilepsie stellt sich der Erfolg oft erst nach Monaten ein
Wesentlich verbreiteter ist bereits die so genannte Vagusnerv- Stimulation bei Epileptikern, die seit Jahren an der Bonner Universitätsklinik durchgeführt wird. Hierbei werden die Elektroden nicht direkt in das Hirn geschoben, sondern setzen an dem seitlich am Hals herablaufenden Vagusnerv an. "60 Prozent der Betroffenen sind danach auf Dauer anfallsfrei, 30 Prozent geht es zumindest deutlich besser", berichtet Christian Hoppe von der Klinik für Epileptologie. Allerdings sei hier ebenfalls wie bei den Hirnschrittmachern klar: "Jede medikamentöse Alternative muss ausgereizt und der Leidensdruck der Betroffenen sehr hoch sein, bevor sie sich einer solchen Operation unterziehen." Denn in beiden Fällen kann es nach dem Eingriff viele Monate dauern, bis sich die Erfolge einstellen: Vorsichtig müssen zunächst die passenden Strompulsfrequenzen zwischen 130 und 185 Hertz herausgefunden werden.
Das könnte auch die Achillesferse einer Studie sein, mit der Sturm an der Uniklinik in Köln zurzeit die Tür zu weiteren Behandlungsfeldern aufstoßen will: Erstmals wird darin die Wirksamkeit der Tiefen-Hirnstimulation bei psychischen Erkrankungen wie Zwangs- und Angststörungen in einer Doppelblindstudie untersucht. "Die ersten Testoperationen der vergangenen Jahre lassen eine gute Prognose zu", sagt Sturm, der kürzlich eine junge Patientin mit Waschzwang operierte. Sechs Monate nach der Implantation soll bei den 20 Probanden, die zunächst weiterhin medikamentös und psychotherapeutisch behandelt werden, der Erfolg des Eingriffs überprüft werden. "Wir hoffen, dass die Phase der Tiefen-Stimulation dann lange genug gedauert hat und die richtige Frequenz gefunden wurde", sagt Sturm.
Zeigt dies Erfolge, so können in einem weiteren Schritt möglicherweise auch Menschen mit Depressionen auf Hilfe durch Neuroschrittmacher hoffen. Die Vagusnerv-Stimulation hat sich auch dafür nach Angaben der Universität Bonn dort in ersten Studien bereits bewährt. Ein Problem der neuen Verfahren sind allerdings die Kosten, wie Kupsch betont: "Die Krankenkassen übernehmen die 15 000 Euro pro Implantat bislang nicht - das müssen alles die Kliniken tragen und dieses Geld fehlt dann an anderer Stelle."
Andrea Barthélémy, DPA