Schon zu Lebzeiten umwehte den weltweit gesuchten Top-Terroristen Osama bin Laden ein Hauch des Mystischen. Wie ein Phantom meldete er sich mit Videobotschaften scheinbar aus dem Nichts. Immer wieder gab es Gerüchte, dass er schon längst tot sei. Und nun, da ihn Amerika offiziell für ermordet erklärt, kommen neue Zweifel auf.
War es wirklich seine Leiche, die so schnell in der See bestattet wurde? Woher wissen die Amerikaner eigentlich, dass sie tatsächlich Osama bin Laden erwischt haben? Schon wenige Stunden nach dem Angriff hieß es aus US-Regierungskreisen, dass es sich um einen "ziemlich sicheren Treffer" handle. Um die Identität festzustellen, seien "mehrere Methoden" zum Einsatz gekommen.
Indirekte Identifikation
So existieren Aufnahmen der Leiche, bevor diese auf See bestattet wurde. Ob die Fotos veröffentlicht werden, ist bis jetzt allerdings noch nicht klar. Neben Methoden zur Gesichtserkennung - laut CNN wurde ein biometrisches Profil von bin Laden erstellt - soll auch ein Gentest Sicherheit gebracht haben. Dieser habe gezeigt, dass es sich mit einer Sicherheit von 99,9 Prozent um den Top-Terroristen handle.
Details, wie genau der Test bei bin Laden ausgesehen hat, sind bis jetzt nicht bekannt. Doch wie funktioniert so eine DNA-Analyse generell? Und wie sicher ist sie?
Im Prinzip versuchen Rechtsmediziner dabei, eine vom Leichnam genommene DNA-Probe mit einer Referenzprobe zu vergleichen. "Grundsätzlich ist alles zellhalltige Material dafür geeignet", sagt Katja Anslinger vom Institut für Rechtsmedizin der Universität München. Am besten sei eine Blutprobe oder ein Abstrich der Mundschleimhaut, aber auch Haare mit Haarwurzeln oder eine Gewebeprobe können als Referenz herangezogen werden. Daneben können DNA-Spuren des Gesuchten, die sich auf Gegenständen wie einer Zahnbürste, einem Kamm oder einem Rasierapparat finden, hilfreich sein.
Ob die USA solche direkten DNA-Proben von bin Laden besitzen, ist nicht bekannt. Doch um zu schauen, ob der Tote wirklich der Top-Terrorist ist, bleibt ein weiterer Weg: die indirekte Identifikation über DNA-Proben von Verwandten, die im Prinzip ähnlich funktioniert wie ein Vaterschaftstest. "Je näher die Verwandtschaft zwischen den Personen, desto besser ist die Information", sagt Biologin Anslinger. Sprich: Am besten sind DNA-Proben von Verwandten ersten Grades, also von Vater, Mutter, Kindern und Geschwistern. Aber auch das Erbgut von Halbgeschwistern kann wertvolle Hinweise liefern.
Haar- und Speichelproben von Verwandten
Die Zahl der Blutsverwandten von bin Laden ist groß: Mehr als 50 Halbgeschwister sind dem Harem seines Vaters entsprungen, einige von ihnen haben sich laut der "New York Times" seit langem von bin Laden abgewendet und pflegen engen Kontakt zu den USA. Es wird daher angenommen, dass die US-Behörden bereits seit dem Anschlag vom 11. September Haar- und Speichelproben von Verwandten des Top-Terroristen gesammelt haben.
Der US-Fernsehsender ABC News hatte am Sonntag berichtet, dass die Referenzproben, die von Spezialisten herangezogen wurden, um bin Laden zu identifizieren, von einer Halbschwester stammen. Sie war vor einigen Jahren an einem Hirntumor im Massachusetts General Hospital in Boston gestorben. Blut- und Zellproben aus ihrem Gehirn sollen die DNA geliefert haben, die mit dem genetischen Code des Getöteten verglichen wurde. Das Krankenhaus konnte den Bericht allerdings nicht bestätigen, berichtet die "New York Times".
Die Länge macht den Unterschied
Doch wie wird ein Gentest erstellt? Der größte Teil der DNA des Menschen ähnelt sich. Daher nehmen Experten bei einem DNA-Test Abschnitte des Genoms unter die Lupe, die sich unterscheiden. Sie liegen auf der sogenannten Junk-DNA, einem Bereich, der keine genetische Information trägt und außerhalb der eigentlichen Gene zu finden ist. Sie wird auch als nichtcodierende DNA bezeichnet.
"Die Identität eines Menschen kann über sie gut bestimmt werden", sagt Anslinger. Denn innerhalb der "Junk"-DNA liegen wiederum Abschnitte, in denen sich kleine DNA-Stücke - sogenannte Short Tandem Repeats (STR) - in einer bestimmten Reihenfolge wiederholen. "Diese können unterschiedlich lang sein", sagt die Biologin. "Wobei die spezifische Länge vererbt wird." Das heißt: Je näher zwei Personen miteinander verwandt sind, desto ähnlicher sollte das Muster dieser STR sein.
Analyse in ein paar Stunden möglich
Bei eineiigen Zwillingen sollte die Anzahl der Wiederholungen zum Beispiel gleich sein. Eltern und Kind teilen immerhin die Hälfte der Wiederholungen. Bei Geschwistern und Halbgeschwistern wird es schon schwieriger, da die Kombinationen unterschiedlich ausfallen können.
"Aber auch die Untersuchung der DNA von Halbgeschwistern kann zu einer ziemlich sicheren Identifikation führen, vor allem wenn mehrere Halbgeschwister mit einbezogen werden", sagt Anslinger. Bei Osama bin Laden könnten vor allem DNA-Proben seiner Halbbrüder wichtige Hinweise liefern. "Alle männlichen Nachkommen eines Vaters besitzen die gleichen Merkmale des Y-Chromosoms", sagt Anslinger. Frauen hingegen haben kein Y-Chromosom.
Für die Analyse isolieren Forensiker zuerst die DNA aus den Zellen. Mittels der sogenannten Polymerasekettenreaktion werden einige - in der Regel um die zehn bis 15 - Stellen vermehrt, auf denen sich die "Short Tandem Repeats" befinden. Daraus lässt sich ein genetisches Profil erstellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses bei zwei Menschen identisch ist, liegt ungefähr bei eins zu 500 Millionen.
99,9 Prozent sind "praktisch erwiesen"
"Wenn man genügend gutes Material hat und bei relativ nahen Verwandten, ist dies der klassische Analyseweg", sagt Anslinger. Um auch bei schlechtem Material und weniger engen Verwandtschaftsverhältnissen sicher zu gehen, müssten mehrere Personen mit in die Auswertung einbezogen werden. "Eine einfache Analyse ist dabei in einigen Stunden möglich", sagt Anslinger. "Zumal wohl bereits analysiertes Vergleichsmaterial vorlag."
Die von den Amerikanern verkündete Sicherheit von 99,9 Prozent ist dabei auch in Deutschland das Ziel. "Um aussagekräftig zu sein, muss ein Abstammungsgutachten so gestaltet werden, dass diese erreicht werden", sagt Anslinger. Eine hundertprozentige Sicherheit sei rein statistisch allerdings nie möglich, räumt die Biologin ein. "Doch bei 99,9 Prozent gilt das Verhältnis als praktisch erwiesen."