Wellness & Reise Per Zweirad zum Zweigelt

1800 Kilometer Radwege und urige Winzerstuben am Wegesrand - im Burgenland, Austrias östlichstem Bundesland, bekommt man Wein, Wellness und stramme Waden.

Der Radweg trägt die Nummer B 57 und den schönen Namen "Weinidylle". Unten fließt die Pinka gemächlich an der ungarischen Grenze entlang, oben leuchten Kirschbäume in weißer Blütenpracht. Dazwischen ziehen sich Rebzeilen sanft den Hügel hinauf. Der Anstieg ist kurz und knackig. Mein Tacho zeigt 13 Stundenkilometer, ich keuche, und Siggi Bauer bemerkt fröhlich: "Die Leute meinen immer, das Burgenland sei brettleben."

Siegfried Bauer sitzt so entspannt im Sattel wie andere im Sessel. Er fährt im Jahr 17.000 Kilometer Rad und ist amtierender Weltmeister im Wintertriathlon, einem Dreikampf aus Laufen, Skilanglaufen und Mountainbiken. Bauer ist 27 Jahre alt, von drahtiger Figur, dunkle Augenbrauen geben seinem schmalen Gesicht einen markanten Zug. Er stammt aus Niederösterreich, lebt und trainiert aber im Burgenland. "Hier kann ich mir das Gelände aussuchen", erklärt er. Fürs Intervalltraining wählt er Routen wie diese, mit kurzen oder mittleren Anstiegen. Fürs harte Training gibt es richtige Berge, am Geschriebenstein (884 Meter) fährt auch er eine Dreiviertelstunde bergauf. Und die Grundlagenausdauer erarbeitet er sich im Flachen. Das heißt in seinem Fall: sechs Stunden Radfahren bei Tempo 30.

Bei Tempo 80 im Windschatten

Für unsereinen bedeutet das Burgenland: 1800 Kilometer Radwege, vom Neusiedler See im Norden bis zum Dreiländereck mit Ungarn und Slowenien im Süden. Fast alle Radwege sind asphaltiert und an jeder Kreuzung hervorragend ausgeschildert. Dazu kommen die öffentlichen Straßen, von denen viele so wenig befahren sind, dass Siggi Bauer hier sein Motortraining macht. Das heißt: bei Tempo 80 im Windschatten eines Begleitfahrzeugs die hohen Trittfrequenzen fahren.

Mit knapp 278.000 Einwohnern ist dieser schmale Streifen im Südosten das kleinste Bundesland Österreichs. Bis 1921 gehörte er zu Ungarn, bis 1989 lag er im toten Winkel am Eisernen Vorhang. Siggi Bauer mag den hiesigen Menschenschlag: "Die Leute sind so gemütlich. Und halten zusammen, wie es das bei uns in Niederösterreich nicht mehr gibt."

In der Kellergasse von Heiligenbrunn sitzen Männer beim Kartenspiel: mit Hut und Hosenträgern, das leibhaftige Gegenteil der Diät- und Fitnessgesellschaft, "magst' was trinken?". Die Kelterhäuschen am Fuß der Weinberge haben sich seit 150 Jahren kaum verändert: Strohdächer, weiß getünchte Mauern, der Fußboden ist oft noch aus gestampftem Lehm, in eine Weinpresse ist die Jahreszahl 1885 geschnitzt. Das Hügelland ringsum ist kaum zersiedelt, Burgen ungarischer Adelsgeschlechter krönen die Anhöhen und verleiten zu Landschaftsträumerei.

Wein und "Sautanz"

Zu Mittag kehren wir in einen so genannten Buschenschank ein: Auf groben Holztischen im Weinberg serviert der Winzer Wurst und Käse, Paprika und geriebenen Meerrettich. Dazu gibt es herzhaftes Brot und Uhudler. Das ist der roséfarbene Landwein des südlichen Burgenlands, gekeltert aus unveredelten Reben. Bei jedem Winzer schmeckt er anders, meist duftet er nach Erdbeeren. Im Sommer lädt der Wirt jeden Mittwoch zum Sautanz. Dann wird Schweinebraten serviert, der Winzer spielt Ziehharmonika, und die Sonne brennt mit 35 Grad vom Himmel. Dann wird selbst Siggi, der Berufssportler, zum Genießer: "Da kannst du abends um zehn noch im kurzen Leiberl draußen sitzen."

Kulturtipps

> Schloss Esterházy
Das Wahrzeichen des Burgenlands; am Hofe dieses ungarischen Adelsgeschlechts wirkte Joseph Haydn als Kapellmeister; Schlossführungen und Konzerte im historischen Haydn-Saal: A-7000 Eisenstadt; Tel.: 0043/26 82/71 90
www.schloss-esterhazy.at

> Güssinger Kultursommer


Von Juni bis September gibt es Konzerte und Freilichttheater rund um die markante Burg Güssing. Tel.: 0043/5/90 10 85 10
www.kultursommer.net

B 10. Der Radweg um den Neusiedler See führt durch ein ganz anderes Burgenland. Hier beginnt die pannonische Tiefebene: Hölzerne Ziehbrunnen ragen aus der Puszta, ab und an spitze Schilfhütten, in denen früher die Weinberghüter schliefen. Ein Schild weist den Weg zu einer besonderen Attraktion der Alpenrepublik: zum tiefstgelegenen Punkt Österreichs, 115 Meter über Meereshöhe. An manchen Stellen ist der Schilfgürtel am Ufer mehr als einen Kilometer breit. Das im Winter geschnittene Reet lagert auf den Wiesen, zu zipfelmützigen Depots gebündelt, bis es zum Dachdecken verwendet wird. Wer will, kann auf dem B 10 am Südende des Sees 38 Kilometer durch Ungarn fahren. Wem die komplette Runde mit 133 Kilometern zu lang ist, der nimmt die Radlerfähre von Illmitz nach Mörbisch.

Der Neusiedler See ist nur etwa eineinhalb Meter tief. Aber der Fährmann betont, dass hier regelmäßig Wassersportler ertrinken. Weil der Wind, der fast ständig über die Ebene weht, plötzlich zum Sturm anschwellen kann, der harte Wellen über Europas größten Steppensee peitscht. Im Frühjahr tragen Wind- und Kitesurfer hier ihren Weltcup aus, und wir kämpfen zwischen Rust und Neusiedl heftig mit dem Gegenwind. Die Unesco hat den See und seine Dörfer zum Weltkulturerbe erklärt. Die meisten Häuser sind einstöckig und erzählen von Bescheidenheit.

In Rust sind Gassen und Plätze gepflastert, auf den spitzen Ziegeldächern nisten Störche. Am anderen Ufer, im Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel, sind mehr als 300 Vogelarten zu beobachten. Der Führer zeigt uns durchs Fernglas den Säbelschnäbler und erklärt vom Beobachtungsturm aus, wie das wuchernde Schilf die Uferlinie verändert. Der See wird jährlich kleiner, unzählige Tümpel im Schilfgürtel sind im Frühjahr ein Paradies für Brut- und Zugvögel. "Wenn diese Lacken im Sommer austrocknen und die Zugvögel längst weg sind, dann kommen langsam die Österreicher und wollen Vögel beobachten", spottet der Führer über die Touristen in der Hochsaison.

B 40, der Rotweinradweg

"Der Weinskandal in den 80er Jahren war unsere Rettung", sagt Walter Kirnbauer und hebt ein Glas Blaufränkisch zum Gruß. Der Winzer, 50 Jahre alt, steht auf der Terrasse und schaut über die Rebflächen hinab auf den Weinort Deutschkreutz. Als die glykolgepanschten Billigweine aufflogen, bekamen die Qualitätswinzer im Burgenland eine Chance. Mittlerweile werden am Neusiedler See Süßweine von Weltrang gekeltert, und Rotweine von Kirnbauer haben bei internationalen Proben schon berühmte Bordeaux geschlagen.

Die rissige Haut an Kirnbauers Fingern zeugt von handfester Arbeit, sein Bauch von Genuss, sein Lachen von Lebensfreude. Vergangenen Sommer hat er sein neues Weingut eingeweiht. Der Bau verbindet die klare Formensprache des Designers mit der Wärme des Genießens. Eine breite Treppe führt hinunter in den Schaukeller mit 530 Barrique-Fässern.

Balance zwischen den Rebsorten

Zur Weinprobe am Eichentisch serviert Frau Kirnbauer ofenfrische Salzstangerl aus Hefeteig. Ihr Mann erzählt derweil, wie die ganze Familie zu Weihnachten an den Probiergläsern schnüffelt und süffelt, um für die Cuvée "Phantom" die ideale Balance zwischen vier Rebsorten zu finden: Blaufränkisch, Merlot, Cabernet Sauvignon und als Schmeichler dem Zweigelt.

Eine Halbetappe weiter stoßen wir wieder auf die burgenländische Moderne. In der so genannten Thermenregion trumpft das Burgenland mit Übergrößen auf: In Lutzmannsburg lockt die längste Indoor-Wasserrutsche Europas (211 Meter) Kinder und Familien in die "Sonnentherme". In Stegersbach werden Hotelklötze mit 1000 Betten aus dem Boden gestampft, abgerundet durch Golfplätze mit 50 Loch. In Bad Tatzmannsdorf ist es ein erhebendes Gefühl, auf dem Rennrad die breite Auffahrt zur Therme zu nehmen, die für Stretchlimousinen dimensioniert ist. Wir rollen um das neu angelegte Rondell, und über uns ragt ein Designerhotel in den Himmel. Eine halbe Stunde später liegen wir im Thermalwasser und träumen in die Weite der Wellnesswelt aus Glas und Ahorn.

Service

Von April bis Oktober bietet das Burgenland gute Bedingungen für Radfahrer; im Juli und August wird es allerdings bis 35 Grad warm.
Als "fahrradfreundlich" klassifizierte Unterkünfte bieten Werkzeug und Gepäcktransport.

Weitere Informationen:

Burgenland Tourismus, Schloss Esterházy, A-7000 Eisenstadt www.TIScover.at/burgenland

Hoteltipps Hotel Lagler:

Brennereihotel in den Obstplantagen, Wellnessanlage, ÜF ab 49 Euro pro Person/DZ, A-7543 Kukmirn 137, Tel.: 0043/33 28/320 03 www.lagler.cc

Thermen- und Vitalhotel Bad Tatzmannsdorf:

ÜF ab 97 Euro pro Person, Elisabeth-Allee 2, A-7431 Bad Tatzmannsdorf, Tel.: 0043/33 53/82 00-72 01 www.kuren.at/thermen-vitalhotel

B 62. Am Apfelradweg revanchieren wir uns beim Weltmeister: Mitten in den Obstplantagen des südlichen Burgenlands steigen wir im Brennereihotel Lagler ab. Die Familie besitzt seit Maria Theresias Zeiten das Recht zum Schnapsbrennen, ihre Edelbrände gehören heute zu den besten Österreichs. Vor zwei Jahren hat Kurt Lagler neben der Destille ein Hotel eröffnet. Das Abendessen beginnt mit Gänseleber zwischen glacierten Apfelspalten, und zu jedem der fünf Gänge gibt es einen anderen Burgenländer Wein.

Siegfried Bauer nippt nur am Glas - am Sonntag hat er ein schweres Rennen, und in den nächsten Wochen will er sich für die Olympischen Spiele in Athen qualifizieren. Nach dem Dessert stellt der Hausherr eine kupferne Brennblase auf den Tisch: Wir dürfen unser eigenes Kirschwasser destillieren. Einer muss die Temperatur überwachen, der Zweite Kühlwasser nachgießen, der Dritte mit der Nase im Glas die Aromen prüfen. Am Ende bleibt in der Brennblase ein tief roter Kirschsirup zurück. Der habe nur ein halbes Prozent Alkohol, erklärt der Hausherr. Da spottet unser Kühlwasseradjutant: "Den Saft kriegt der Siggi."

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Johannes Schweikle

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