Niederländische Studie Nach 200 Jahren droht der Untergang – wie Staaten altern

Altes Italien
Spuren aus der Vergangenheit. Die Nuraghe Santu Antine, ein bronzezeitlicher Turm, bei Sassaria auf Sardinien
© Angela to Roxel / Picture Alliance
Die Römer hat es erwischt, die Perser auch, die Ägypter sowieso: Ihre Imperien gingen allesamt unter, wenn auch nach Tausenden von Jahren. Eine Studie hat untersucht, wie alt Staaten werden und warum sie irgendwann am Ende sind.

Mitten in Europa gibt es ein Land, welches uralt ist, aber kaum bekannt: San Marino. Seit 1700 Jahren liegt die Minination umgeben von der Emilia-Romagna in der Mitte Italiens. Der winzige Staat von der Größe Bad Nauheims hat noch die letzte Christenverfolgung miterlebt, die italienische Vereinigung überstanden und eine 18-Jährige Herrschaft von Linken und Kommunisten ausgesessen. Auf dem Stiefel haben sie aber auch Erfahrung mit Langlebigkeit: Rom ist nicht umsonst die "ewige Stadt", das dazugehörige Reich existierte mehr als 2000 Jahre lang. Doch rein statistisch dürfte es San Marino schon nicht mehr geben. Seit ungefähr anderthalb Jahrtausenden – genauer gesagt.

Staaten sterben mit 200 Jahren

Dass selbst die größten Imperien irgendwann einmal ein Ende haben, ist der Lauf der Dinge. Nun hat eine Studie von niederländischen Forschern untersucht, wie alt Staatengebilde werden und warum sie dann das Zeitliche segnen. Marten Scheffer von der Uni Wageningen hat die Geschichte von 615 Gemeinwesen aus den vergangenen 3800 Jahren ausgewertet. Ergebnis: Im Alter von 200 Jahren ist die Sterblichkeit am höchsten. Imperien und Königreiche sind dabei am langlebigsten, Dynastien gehen am schnellsten wieder zugrunde.

"Wie Staaten und Großmächte aufsteigen und niedergehen, ist ein faszinierendes Rätsel der Menschheitsgeschichte", schreibt Scheffer. Ähnlich wie auch Menschen und Tiere durchlaufen staatliche Gebilde eine Art Lebenszyklus. Frisch gegründet strotzen sie vor Kraft und Unkaputtbarkeit, doch dann nagen Zeit und Umwelt so lange an der inneren Verfasstheit, bis der Organismus irgendwann am Ende ist und für den nötigen Zusammenhalt keine Kraft mehr hat.

Umweltschäden und Wohlstandsgefälle

Die Studie spricht davon, dass auch Gemeinwesen Resilienz zum Überleben brauchen. "Extremereignisse wie Dürren, Erdbeben und Invasionen hinterlassen deutliche Spuren für Archäologen und Historiker. Im Vergleich dazu ist die Verwundbarkeit schwieriger einzuschätzen", so Autor Marten Scheffer. Den Alterungsprozess und damit die abnehmende Widerstandsfähigkeit führt er auf verschiedene Faktoren zurück. Darunter die Ausbeutung der unmittelbaren Umwelt und den daraus resultierenden Schäden wie Abholzung oder Wasserverschmutzung. 

Ein Warnsignal für alle Gesellschaften ist ein Bevölkerungsrückgang. "Für europäische neolithische Gesellschaften konnte ermittelt werden, das dem Zusammenbruch eine kritische Verlangsamung vor Bevölkerungswachstum vorausging", heißt es in der Studie. Die könnte eine Folge von sozialen Ungleichheiten etwa ein zunehmendes Wohlstandsgefälle sein, wie in den nordamerikanischen Kulturen vor der spanischen Kolonialisierung. Auch komplexer werdende Staatsorganisationen oder schlicht der Egoismus der Führungseliten – wie die sprichwörtliche spätrömische Dekadenz – beschleunigen den Niedergang.

Gelten die gleichen Mechanismen wie früher?

Die Forscher räumen allerdings ein, dass sich ihre Thesen bislang nur auf den eurasischen Raum anwenden lassen, weil nur für ihn ausreichend archäologische Daten vorliegen. Auch moderne Staaten ab dem Jahr 1800 wurden in der Untersuchung nicht berücksichtigt. "Dennoch erscheint es plausibel, dass in der modernen globalisierten Welt noch immer Mechanismen spielen, die denen früherer Zusammenbrüche ähneln", schreibt Scheffer. 

Für die die Beschäftigung mit dem Untergang gibt es mittlerweile ein Schlagwort: Kollapsologie. Dahinter stehen eine Reihe von Forschern aus verschiedenen Disziplinen: Ökologen, Soziologen, Anthropologen, Biologen. Angesichts des sich drastisch verschärfenden Klimawandels haben Wissenschaftler wie der Franzose Pablo Servigne oder der Brite Jem Bendell Hochkonjunktur. 

Auslöschung schon in 20 Jahren

Letzterer hatte vor einiger Zeit das Papier "Wegweiser, um uns durch die Klimakatastrophe zu führen" geschrieben, mit dem er zum obersten Untergangspropheten geworden ist. Seine These: Der durch den Klimawandel ausgelöste Zusammenbruch steht unmittelbar bevor. Vielleicht sogar schon in 20 Jahren. "Hunger, Zerstörung, Migration, Krankheit und Krieg, schlimmstenfalls sogar die vollkommene Auslöschung" stünden nach seiner Ansicht unmittelbar bevor. Es sei an der Zeit aus der kaum mehr abwendbaren Zukunft Konsequenzen zu ziehen, so Bendell. 

Viele Kollapsologen teilen seine Vehemenz und Schwarzmalerei nicht – schon allein deshalb, weil die naheliegende Konsequenz aus Aufgeben bestehen würde. 

Quellen: PNAS, DPA, Klimareporter, JimBedell.com

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