»Aaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhh...!!« Alle kennen es. Alle haben es schon mal gehört oder gar selbst die Stimmbänder strapaziert. Ältere Generationen belächeln die Jugend dafür, die Teenies lachen zurück - haben manche heute Erwachsene doch das gleiche bereits in den 60ern und 70ern mit den Beatles oder Elvis durchlebt. Bei Konzerten ihrer Idole kreischen sich junge Fans seit Jahrzehnten fast die Kehle aus dem Leib. Warum eigentlich? Die Erklärung halten Psychologen und Jugendforscher bereit: In der Ekstase des Konzerts sorgen nur selten geweckte Urinstinkte für die schrillen Schreie. Und schon wird der Konzertbesuch zur Wissenschaft.
»Warum kreischen sie so rum? Was sehen sie in uns?«, fragte sich 1992 Kurt Cobain, Sänger der US-Band Nirvana. Nach Auffassung des Bielefelder Jugend- und Sozialforschers Klaus Hurrelmann sehen die Jugendlichen in dem Star auf der Bühne ihr Idol - nicht mehr und nicht weniger. »Aber diese hochverehrte Person, die man bisher nur aus glamourösen Inszenierungen der Medien kannte, steht bei einem Konzert plötzlich wirklich vor einem. Das ist für die Fans ein riesiger, überwältigender Moment«, sagt der Professor. Das sei in der Pubertät, für etwa 12- bis 15-Jährige, eine typische Reaktion.
Geschrei ist »so was wie eine Art Blitzableiter«
Besonders Stars wie Sasha oder die Kelly Family sind mit der ohrenbetäubenden Geräuschkulisse wohl vertraut. »Ich fühle mich dann immer wie Odysseus, der an der Lorelei vorbei fährt und die Sirenen hört«, sagt Sänger Udo Lindenberg, den schon mindestens zwei Fan- Generationen bekreischten. Erklären kann sich der Wahl-Hamburger das schrille Geschreie nicht, aber: »Ich höre das ganz gern. Das mischt sich super mit meiner Stimme und sorgt für einen wunderbaren Gesamtsound. Für die Leute ist das bestimmt so was wie so eine Art Blitzableiter.«
»Die Konzertbesucher folgen in der Masse der Darbietung des Idols mit ekstatischer Hingabe«, sagt der Hamburger Professor Gerhard Krebs, Spezialist für tiefenanalytische Gesellschaftspsychologie. Das führe zu einem hypnoseähnlichen Bewusstseinszustand, in dem die Selbstkontrolle ausgeschaltet werde. »Freud nannte das wegen des Abbaus höherer Gehirnfunktionen «Regression», den ursprünglichen Zustand der Triebvorgänge«, erklärt Krebs.
Bei Teenies auf Konzerten kommt heute noch die laute Musik dazu. Nach Ansicht des Experten steigern die Musik und der Rhythmus die Ergriffenheit maximal. »Der Rhythmus dringt in diesem Zustand in die tiefsten emotionalen Sphären vor. Das alles erzeugt einen ungeheuren energetischen Stau, den man wegen des Verlusts der Vernunft durch wilde Bewegungen oder eben durch Schreien oder Kreischen herausstößt und versucht, abzuführen«, sagt der Psychologe.
Die Gründe für die schrillen Schreie der Mädchen, die beim Kreischen ja meist tonangebend sind, liegen nach Angaben des Psychologen in der Urzeit: »Damals blieben die Frauen alleine, wenn die Männer auf die Jagd gingen. Wenn Gefahr drohte, schrien sie in schriller Weise, um ihre Männer zu alarmieren und herbei zu rufen.« Übertrage man diese urtümliche Reaktion auf die kreischenden Mädels, werde klar: »Die schrillen Schreie sind ein unbewusstes Herbeirufen, sie wollen sagen: «Idol, komm? zu mir». Sie bewegen sich in so fundamentaler Weise, dass sie keine Funktionen mehr haben, die diese Reaktion eindämmen können.«
Während Teenies oft kreischend ein Konzert begleiten, haben ältere Generationen sich meist unter Kontrolle. »Die Verehrung der Idole nimmt mit der Zeit stark ab und wird zu einer ganz normalen Wertschätzung«, sagt Krebs. Mit der Pubertät schwindet in der Regel die übertriebene Faszination - und damit der Drang zum Kreischen. Jugendforscher Hurrelmann findet das Schreien gar nicht schlimm: »Es ist eben typisch für das Alter und ich denke, es ist sogar gesund, das durchgemacht zu haben.«