Seit drei Tagen kämpft der Energiekonzern Total gegen ein Leck auf der "Elgin"-Bohrinsel, die 240 Kilometer östlich vom schottischen Aberdeen gelegen ist. Seitdem strömt ungehindert giftiges und hochexplosives Gas in die Nordsee. Wo genau sich das Leck befindet, ist noch unklar. Betreiber Total schätzt, dass bis jetzt rund 20 Tonnen Gas ausgetreten sind. Auf der Meeresoberfläche hat sich bereits ein Film gebildet, der dem Konzern zufolge sechs Seemeilen (elf Kilometer) lang ist. Ein Flugzeug stehe bereit, um bei Bedarf Chemikalien zum Auflösen des Gaskondensates zu versprühen. Doch der Energiekonzern geht davon aus, dass das Gas von selbst verdunsten werde und "keine große Gefahr für die Umwelt" darstelle.
Das sieht der Biologe und Ölfachmann Jörg Feddern von der Umweltschutzorganisation Greenpeace anders. "Für uns gehört das Klima genauso zur Umwelt wie das Meerwasser", sagt er stern.de. Bei dem Unfall trete ein Gasgemisch aus, dessen Hauptbestandteil Methan sei. "Das Gas ist viel klimaschädlicher als CO2. Gelangt es in die Atmosphäre, heizt es den Klimawandel weiter an."
Um sich ein Bild von der Lage zu machen, hat Greenpeace ein Flugzeug mit zwei Kameraleuten und einem Experten an Bord in die Region geschickt. Doch momentan ist es schwierig, zur Plattform zu gelangen. Wegen der Explosionsgefahr hat die Küstenwache eine Zwei-Meilen-Sperrzone für Schiffe und eine Drei-Meilen-Zone für Flugzeuge eingerichtet. Auch die umliegenden Plattformen wurden aus Sicherheitsgründen geräumt. Für Feddern ein Zeichen, dass große Mengen Methan austreten.
Warnung vor Explosionsgefahr
Wie gefährlich ein solcher Austritt für das Klima werden könne, zeige ein Bohrloch ganz in der Nähe der aktuellen Unglücksstelle. "Dort hat der Ölkonzern Exxon Mobil Anfang der 90er Jahren nach Öl gesucht und ist dabei auf eine Gasblase gestoßen, die nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen war", sagt Feddern. "Seitdem sprudelt dort Gas in so großen Mengen an die Oberfläche, dass Großbritannien es in den Klimaverhandlungen angeben und Zertifikate kaufen müsste."
Der Gasaustritt auf der "Elgin"-Plattform könne ähnliche Dimensionen haben - und schlimmstenfalls auch nicht unter Kontrolle zu bekommen sein, befürchtet Feddern. Um das Leck abzudichten, erwägt Total, Schlamm in den lecken Bohrschacht zu pumpen. Auch eine Entlastungsbohrung wie bei dem Unglück der "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko könnte in Frage kommen. "Bis diese realisiert werden kann, würde es Monate dauern", sagt Feddern. Monate, in denen wohl weiter ungehindert Gas austritt. Denn die Möglichkeit, dass das Feld von selbst versiegt, hält Feddern für gering.
Experten warnen unterdessen davor, dass die Plattform explodieren könnte - wenn das Gas mit der an der Spitze der Förderplattform brennenden Fackel in Kontakt komme. Mit dieser Flamme wird normalerweise nicht genutztes Gas über der Plattform verbrannt. Wegen der Explosionsgefahr ist es derzeit nicht möglich, ein Team zu der Anlage zu schicken, um die Fackel zu löschen. Ein Sprecher des Energiekonzerns Total trat den Bedenken entgegen: Angesichts der Windrichtung und der Zusammensetzung des ausströmenden Gases bestehe nicht die Gefahr, dass sich das Gas entzünde.
Doch auch Feddern befürchtet: Ein kleiner Funke könnte reichen, um die Förderplattform in die Luft zu jagen. "Die Situation dürfte dann nur schwer unter Kontrolle zu bringen sein."
Drohen also wieder Bilder von unzähligen verendeten Meerestieren wie bei der Katastrophe der "Deepwater Horizon"? "In dem Gasgemisch befindet sich wahrscheinlich auch hochgiftiger Schwefelwasserstoff", sagt Feddern. "Gelangt er ins Meer, schädigt er die Unterwasserwelt. Wo er hingelangt, ist alles tot." Doch noch sei nichts über das Ausmaß dieser Gefahr bekannt. In dem Gebiet leben unter anderem Haie, Rochen und der große Tümmler, sagt Meeresschutzexperte Stephan Lutter von der Umweltstiftung WWF. Außerdem lägen dort wichtige Nahrungsgründe für Seevögel.
Aktuell keine Gefahr für Küsten
Doch, so makaber es auch klingen mag, für die Meereswelt ist Gas weniger schlimm als Rohöl. Nach jetzigem Stand dürften die Auswirkungen auf die Tiere und Pflanzen im Meer lokal begrenzt bleiben, vermutet Greenpeace-Experte Feddern. Zwar sei bereits auf der Wasseroberfläche das sogenannte Gaskondensat sichtbar, doch noch handle es sich dabei um geringe Mengen. Und tatsächlich würden diese leichtflüchtigen Öle, wie von Total angenommen, schnell verdunsten - "wenn das Wetter so bleibt, wohl innerhalb weniger Tage", so Feddern.
Eine Gefahr für die Küsten sieht der Greenpeace-Experte zunächst nicht. Das hochgiftige Methan und der Ölfilm dürften ihm zufolge das Ufer nicht erreichen.