UN-Klimabericht Zwischen Kindergarten und Diplomatie

Von Mirjam Stöckel, Brüssel
Forscher, die wutentbrannt den Verhandlungsraum verlassen, durchdiskutierte Nächte und ein unrasierter Vorsitzender: Der Weltklimabericht der Vereinten Nationen war heiß umstritten. Aber er warnt vor dramatischen Folgen der Erderwärmung für Mensch und Umwelt.

Der Bericht des Klimarates der Vereinten Nationen (UN) entwirft ein düsteres Szenario: Vor allem die ärmsten Länder der Erde und die sozial schwachen Menschen in den Industrienationen werden die Folgen der Erderwärmung am meisten zu spüren bekommen, heißt es in dem Papier. Milliarden von Menschen werden demnach an Wasserknappheit leiden, Hunderten Millionen werden Lebensmittel fehlen. Infektionskrankheiten werden auch in Europa zunehmen, niedrig gelegene Städte am Meer sind vom Untergang bedroht. Steige die Temperatur weltweit um nur durchschnittlich 1,5 bis 2,5 Grad, sei fast jede dritte Tier- und Pflanzenart vom Aussterben bedroht, warnen die Wissenschaftler.

Auch wenn er nicht rechtsverbindlich ist: Der UN-Bericht gilt als Grundlage für alle weiteren Verhandlungen der internationalen Staatengemeinschaft über den künftigen Klimaschutz – beispielsweise beim Gipfeltreffen der sieben führenden Industrieländer und Russlands im Juni in Heiligendamm. Er dampft den aktuellen Stand der Wissenschaft - einen knapp 1600-Seiten-Bericht, an dem Hunderte Wissenschaftler in den vergangenen Jahren gearbeitet haben - auf 23 Seiten ein.

"Die Welt blickt auf Sie"

Dieser Zusammenfassung, die sich ausdrücklich an die politischen Entscheidungsträger weltweit richtet, wird viel Gewicht beigemessen - und zwar schon lange, bevor die einwöchige Tagung des Weltklimarates in Brüssel überhaupt begonnen hatte. Bei der Eröffnung am Montag hatte EU-Kommissar Stavros Dimas diesen Erwartungsdruck deutlich gemacht – und insbesondere die Amerikaner für ihre Zurückhaltung beim CO2-Sparen stark kritisiert. Und auch der belgische Regierungschef Guy Verhofstadt hatte den Verhandlungspartnern eine klare Ansage mit auf den Weg gebeben: "Die Welt blickt auf Sie."

Hohe Erwartungen also - und dann das: Die Verhandlungen über den Textentwurf liefen alles andere als rund. Zäh seien sie, hieß es von Regierungsvertretern und Wissenschaftlern während der vergangenen Tage immer wieder, viel zäher noch als in Paris. Dort hatte der Weltklimarat Anfang Februar die Zusammenfassung des ersten Teils seines diesjährigen Berichts veröffentlicht – und dabei war die große Debatte an der Frage entbrannt, ob der Klimawandel an sich denn nun menschengemacht sei oder nicht. Mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit sei er das, war schließlich das Fazit des Weltklimarates.

Einige Länder stellen sich quer

Und obwohl diese grundsätzliche Einigkeit also eigentlich längst da war: Auch in Brüssel kreisten die Diskussion immer wieder um die Frage des menschlichen Beitrags zur Erderwärmung. Wie ausdrücklich, wie oft, an welcher Stelle und in welcher Formulierung soll diese Verantwortung auch im aktuellen Bericht wieder erwähnt werden? Wort für Wort und Satz für Satz des Berichtsentwurfs wurden seit Montag an die Wand projiziert und einzeln diskutiert.

Immer wieder setzten sich die Delegationen aus Saudi-Arabien, China und den USA für möglichst wenige Verweise auf die menschliche Verantwortung an der Erderwärmung ein. "Und das mit zum Teil absurden Argumenten", sagt Martin Hiller von der Umweltschutzorganisation WWF, die als Beobachter bei den Diskussionen zugelassen ist.

Mehr als einmal verhärteten sich die Fronten in der Diskussion so sehr, dass Wissenschaftler wutentbrannt ihre Unterlagen auf den Tisch knallten und aus dem Saal stürmten, erzählen Verhandlungsteilnehmer. "Das war eine ganz merkwürdige Mischung aus Diplomatie und Kindergarten", sagt Michael Müller, Staatssekretär im Bundesumweltministerium.

"Es war schwere Arbeit und ein zum Teil schmerzhafter Prozess", räumte heute auch ein übernächtigter, nach eigener Aussage unrasierter Rajendra Pachauri ein. Er hatte den Vorsitz der Runde inne - und damit die Aufgabe, die Verhandlungen zwischen Wissenschaft auf der einen und Politik auf der anderen Seite zu einem Abschluss zu führen. Das gelang ihm zwar letztlich - aber nur mit einiger Verspätung.

Knapp drei Stunden länger als geplant dauerte es, bis der Bericht fertig formuliert war und veröffentlicht werden konnte. Eine Verzögerung, an der sich in der aktuellen Bedrohungssituation keiner der politisch Verantwortlichen ein Beispiel nehmen sollte, findet Bettina Menne, die als Programmleiterin des Bereichs "Globale Umwelt und Gesundheit" im Europabüro der Weltgesundheitsorganisation WHO im Weltklima-Rat sitzt. "Es ist absolut notwendig, dass alle Regierungen weltweit auf die Herausforderungen des Klimawandels reagieren. Und zwar jetzt sofort."

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