Heimtückischer Frost, Hitzewellen, Niederschläge. Auch im Weinbau ist der Klimawandel mit seinen zerstörerischen Folgen längst angekommen. Die Branche, von der oft nur Spitzenwinzer in Erscheinung treten, steht unter Druck sich anzupassen – in die Zukunft zu investieren. Denn bei ansteigenden Temperaturen reifen Trauben schneller, ihr Alkoholgehalt steigt, Farbe und Aroma leiden, der Charakter kann sich verändern. Weltweit bleiben Winzer nicht untätig. Auch deutsche Weinbauern wappnen sich – etwa indem sie mehr wärmeliebende Rebsorten anbauen, die lange auf südliche Regionen beschränkt waren. Wird Rheinhessen also bald das neue Roussillon-Langedoc?
Dass der Klimawandel die geografische Verteilung von Weinsorten durch wärmere Umgebungen, erratische Niederschlagsmuster und Bodenerosion verändern wird, hatte der Weltklimarat schon vor Jahren vorausgesagt: Weinprodukte und Existenzen ganzer Regionen könnten Wertverluste erleiden. Stand heute zählt der deutsche Weinbau "im Großen und Ganzen noch zu den Gewinnern", beruhigt das Deutsche Weininstitut. Es trat ein, was Wissenschaftler dem Bundestag 2016 vorhersagten: Am nördlichen Ende des Weltweinanbaus werden Winzer "von gestiegenen Durchschnittstemperaturen der letzten Jahre profitieren".
Plus ein Grad Celsius in 30 Jahren – damit erreichen deutsche Weine höhere Reifegrade und bessere Qualität, vor allem die roten. "Doch die zunehmenden Wetterextreme bringen auch immer mehr Risiken für den deutschen Weinbau mit sich," warnt das DWI. Hagelschäden häufen sich, Sonnenbrand an Trauben trocknet Beeren ein, die wiederum in der Rotweinbereitung Bittertöne verursachen können. Der als "Cool-Climate"-Rebsorte geltende Riesling mag keine wachstumsverzögernde trockene Sommer. Die Niederschläge kommen für ihn oft zu falschen Zeiten, oder zu viel auf einmal.
Wein muss für die Zukunft geplant werden
Dennoch wird sich der Riesling mit 24.000 Hektar Rebstockfläche so schnell nicht von seinem Spitzenplatz der hiesigen Weinberge schubsen lassen. Zugleich schlagen Winzer aber neue Richtungen der Anpassung ein, bereiten strategische Entscheidungen vor: Reben haben eine lange Lebensdauer, ein neuer Weinberg benötigt fünf bis sechs Jahre, bis er volle Erträge bringt, und es kann 20 Jahre dauern, bis er Gewinne abwirft. So setzen immer mehr Winzer auch mutig auf Rebsorten, die entweder robuster sind, oder sich eigentlich 200 Kilometer weiter südlich wohlfühlen.
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Das zeigen die neuesten Zahlen des Statistischem Bundesamts. Danach hat sich die Rebfläche für Sauvignon blanc-Trauben in Deutschland von 2012 bis 2022 um knapp 162 Prozent auf gut 1900 Hektar mehr als verdoppelt. Daneben liegen zuletzt weiße Burgundersorten im Trend, deren Flächen schneller wachsen als die von Riesling. Von international bedeutenden Sorten legte der pflegeleichte Chardonnay um 83 Prozent auf gut 2700 Hektar zu, die südländischen Rotweinsorten Merlot um 59 Prozent auf 886 Hektar und Cabernet Sauvignon um 43 Prozent auf 483 Hektar. Letztere machen am gesamtdeutschen Weinbau noch unter zwei Prozent aus, so das Weininstitut. Doch Winzer wagen auf der Fläche Neues, experimentieren sogar mit Sorten wie Shiraz/Syrah, Cabernet Franc oder dem spanischen Tempranillo.
Sie müssen für die Zukunft planen – ein Weinberg steht im Durchschnitt rund 25 Jahre. Zugleich reagieren Weintrauben unter den Früchten am sensibelsten auf klimatische Veränderungen. Das Problem später Fröste, das ganze Lagen im Austrieb stören kann, hat in Frankreich 2022 zu großen Verlusten beigetragen. Je früher die Rebblüte, desto höher das Schadensrisiko, weil die Fröste sich zeitlich kaum verschieben. Schnell steigende Temperaturen beschleunigen zu vorzeitigen Reifephasen. Zu starke Hitze kombiniert mit erhöhter Strahlungsintensität verursacht Sonnenbrand. Reben unter Trockenstress können gezielt bewässert werden – aber eine nachhaltige Lösung für ein Luxusprodukt ist das nicht.
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Sie sind reich an Proteinen, solange sie aus sauberen Gewässern stammen. Denn Muscheln filtern das Wasser, in dem sie wachsen. Weil Muscheln sich von Phytoplankton ernähren, benötigen sie nur einen Bruchteil des Ökosystems, um ihr Protein herzustellen. Kein anderes tierisches Eiweiß ist demnach nachhaltiger.
Leidende Rebsorten im Süden
Vor allem in Zonen wie Italien, dem mit 19,3 Prozent der weltweiten Produktion führenden Weinland. Mit Frankreich und Spanien füllen die drei Länder die Hälfte des globalen Weinsees. Alle drei verzeichnen zunehmend warme Winter und Wassermangel. Die traditionellen Sorten, die den südlichen Mittelmeerraum prägen, sind zwar ziemlich hitzetolerant. Weinkenner erwarten, dass ihr Anbau wegen des Temperaturanstiegs und einer anderen Verteilung der Niederschläge tendenziell nach Norden wandern wird.
Der in Italien führende Sangiovese – wie Montepulciano heute in ganz Mittelitalien verteilt – gilt als sensibel gegenüber Umweltbedingungen und wenig anpassungsfähig. Ähnlich dem Nebbiolo im Piemont. Statt eines schwierigen Sortenwechsels experimentieren Winzer mit Unterlagsreben, die dank ihres Wurzelwerks Trockenstress besser ertragen können. Wohl mindern die Nähe zum Meer und zu Seen die Effekte der Erdwärmung auf den Weinbau etwas ab. Aber extreme Luft- und Wassertemperaturen und mangelnder Regen machen Probleme.
Während die Sorten Cabernet und Chianti besser reifen, wandern Pinots in größere Höhen. Ganz im Süden fallen Neubestockungen als Gegenstrategie dagegen weitgehend aus, da bereits die hitzebeständigsten Weinsorten angebaut werden. In Sizilien etwa leidet die Merlot-Traube unter mangelnder Feuchtigkeit, Winzer sind gefordert, Laubwerk und Boden zu verbessern.
Sortenidentität auf dem Spiel
Schlimmstenfalls kann ganzen Regionen der Verlust der Sortenidentität drohen, warnt der Klimaexperte unter Deutschlands Weinprofessoren, Hans Reiner Schultz, von der führenden Wein-Hochschule Geisenheim, in einer mitverfassten Studie. Treibende Kräfte des Klimawandels können die regionale Eignung einer Weinregion verschieben, Tages- und Nacht-, Sommer- und Wintertemperaturen, Wasserhaushalte, all das beeinflusse Austrieb, Blütezeit und Reifephasen. "Winzer müssen heute auf das reagieren, was sie in 25 und 50 Jahren erwartet", mahnt er in einem Interview.
Ein Warnruf, in den auch das nationale Weininstitut Frankreichs (INRAE) einstimmt: Was heute in der von Trockenheit geplagten Weinregion Languedoc-Roussillon geschehe, sei wie ein Labor und "könnte in zehn Jahren die Realität im Rhone-Tal sein". So bleiben besonders die Spitzenregionen nicht untätig. Da Bordeaux-Weine sich aber schlecht weiter nördlich produzieren lssen, schwenken Winzer etwa auf die spätreifende Sorte Petit Verdot ein. Zur Anpassung ließ sich der Weinbaurat nach zehnjähriger Forschung mit Klimaszenarien behördlich sechs zusätzliche Rebsorten genehmigen.
Die roten Trauben Touriga, Arinarnoa, Castets und Marselan sowie die weißen Alvarinho und Liliorila gelten als hitzetauglich und dürfen nun zunächst spärlich mit angebaut werden. Die Herkunftsregularien sind streng. Wenn Winzer im Burgund stellenweise Obstbäume pflanzen, um für Rebstöcke Schatten und Feuchtigkeit zu gewinnen, muss jeder einzelne beantragt werden. Dazu ist das Herkunftsgebiet noch als Kulturerbe geschützt.
Viel auf dem Spiel steht auch für den Weinexportweltmeister Spanien und seine Milliardenindustrie. Der Sommer 2022 war der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen. Winzer im Mittelmeerraum wie Katalonien suchen kühlere Höhen am Fuß der Pyrenäen. Im Rioja-Gebiet, das ein Fünftel der Weine produziert, wurde in vier schwierigen Jahren wegen hohem Ausschuss bis zu 10 Prozent weniger gekeltert. Forschungsinstitute beleben ein Dutzend bis zu 100-jähriger Rebsorten wieder, die es dank ihrer genetischen Vielfalt besser mit Dürren aufnehmen können.

Der Bedarf an resilienteren Sorten steigt sogar in der kontinentalen Mitte Spaniens, wo in Kastilien-La Manche nicht nur Manchego-Käse sondern fast die Hälfte des Weins entsteht – zu 40 Prozent bewässert. Im übrigen gilt, wie überall, Böden so zu kultivieren, dass sie mehr Wasser halten, Blattkleider so gestalten, dass sie mehr Schatten spenden, und Rebstockreihen klimaverträglicher ordnen. Über die südlichsten mediterranen und trockenen Zonen wie Analusien oder Murcia streiten Experten, ob der Weinbau durch anbautechnische Veränderungen zu retten ist.
Studien zufolge befinden sich weltweit etwa 60 Prozent der Weinbauregionen in halbtrockenen Regionen wie dem Mittelmeerraum, wo die Erderwärmung die historische Trockenlandwirtschaft in ihrer wirtschaftlichen Nachhaltigkeit bedroht. Der Anteil der bewässerten Rebflächen nimmt stetig zu. Doch auch im australischen Weinbau wird inzwischen dringlich diskutiert, auf hitzetolerantere Sorten umzusteigen, die ohne Bewässerung auskommen – darunter Italien-Klassiker wie Nero D'avola, Sangiovese oder die hochwertigen Nebbiolo, Barbera und Dolcetto. In Südaustralien weichen Winzer mit Sorten, die traditionell gemäßigte Zonen lieben – Riesling, Chardonnay oder Pinot Noir – auf höhere Lagen aus. Andere experimentieren mit aufstrebenden Sorten, die durch verzögerte Reife oder dickere Haut widerstandsfähiger sind.
Weinbautechnik der Zukunft
Die Tröpfchenbewässerung zum Ertragserhalt auf bedrohten Lagen nahm zuletzt auch hierzulande zu. In diesem Jahr konnte aber sparsam gehandelt werden. Die Wasserversorgung war in den meisten Weinregionen ausreichend, und es steht eine deutlich bessere Ernte bevor als im Durchschnitt der fünf Jahre davor, ließen die Bundesstatistiker dieser Tage wissen. Bei stabiler Anbaufläche werden knapp 9,9 Millionen Hektoliter Wein und Most erwartet – ein Zuwachs um neun Prozent und etwa ein Fünftel der Menge Italiens. Im Zuge der Erderwärmung ist Wein inzwischen in allen Flächenländern im Bund zuhause: 2020 kam er auch in Niedersachsen an. Betriebe, die auf hohe Qualität setzen, brauchen für die Rebe mehr Terroir. Manche wachsen gen Norden.
Hört man Professor Schulz aus Geisenheim, dann sorgt er sich dennoch um das Tempo der Anpassung an den Klimawandel im deutschen Weinbau. Denn Szenarien von Klimasimulierungen für einen Durchschnittsjahrgang 2050 seien schon 2018 real geworden. Ein Sprecher des Weininstituts zeigt sich zuversichtlich: "Wir sehen die deutsche Weinbranche gut auf die Herausforderungen vorbereitet, die der Klimawandel mit sich bringt." Ein Strukturwandel sei nicht über Nacht zu erwarten. Veränderte und reifeverzögernde Kulturmaßnahmen, neue Klone von Rebsorten oder neue robuste Sorten könnten den Anbau auch der traditionellen Reben gewährleisten. Ergänzt durch vermehrt pilzresistente Rebsorten seien 2022 etwa drei Prozent der bewirtschafteten Weinberge "mit robusten Sorten bestockt" gewesen.
Das kann sicher nur der Anfang sein. Aber die Umstellungen finanziell zu stemmen, fällt besonders kleineren Erzeugern schwer. Ohnehin nimmt deren Zahl kontinuierlich ab. Sie werden von größeren Weingütern mit mehr als zehn Hektar übernommen, die sowohl in der Fläche als auch zahlenmäßig wachsen. "Um heute erfolgreich am Markt zu agieren und wirtschaftlich effizient zu arbeiten, benötigt man eine gewisse Größe", so das DWI. Im Durchschnitt würden wohl auch weiterhin nur etwa 2-3 Prozent der Weinberge in Deutschland neu angelegt. Denn das koste pro Hektar heute 40-50.000 Euro. Viele Winzer experimentierten stattdessen mit Standortveredelung, die den Sortenwechsel ohne Rodung in einem Jahr erlaubt – auch das eine Möglichkeit dank gestiegener Temperaturen.
Die verleihen derweil auch dem Weinanbau in Nordeuropa neuen Elan. So wandelt sich der schwedische Weinbau von einer überwiegend von kleinen Amateuren betriebenen Branche zu einer Industrie mit heeren Zielen. Die Voraussetzungen sind stabiler geworden: Laut dem Schwedischen Institut für Meteorologie und Hydrologie stiegen die Temperaturen in Südschweden in den vergangenen 30 Jahren um etwa zwei Grad Celsius, verglichen mit den 30 Jahren davor. Die Vegetationsperiode verlängerte sich um etwa 20 Tage.
Die meisten schwedischen Weingüter kultivieren die in Deutschland entwickelte Rebsorte Solaris, die ein kühleres Klima mag. Während die Rebfläche dort mit unter 200 Hektar noch winzig ist, sagen Experten dem Vereinigten Königreich in den nächsten zehn Jahren eine Verdoppelung voraus. Manche Regionen in der nordfranzösischen Champagne leiden unter zu viel Feuchtigkeit, zugleich hat die Klimaerwärmung den Süden Englands in eine ergiebige Weinbauregion verwandelt. Die Winzer dort – darunter auch Ableger aus der Champagne – bedienen nun die wachsende Nachfrage nach britischen Schaumweinen.