Corona-Kurs der Kanzlerin Angela Merkel will die Verantwortung für den Lockdown nicht alleine tragen

Die Ministerpräsidenten der Länder haben sich wieder mal gegen den Corona-Kurs der Kanzlerin durchgesetzt und wollten sie so ihr die Grenzen ihrer Macht zeigen. Doch Angela Merkel spielt den Ball gekonnt zurück. 

Eines macht Angela Merkel bei ihrer Regierungserklärung ganz klar: Sie will die Verantwortung dafür nicht alleine tragen, dass die Menschen seit Monaten unter den Corona-Beschränkungen leiden und dass wegen aggressiver Virus-Mutanten eine dritte Infektionswelle droht. Die Kanzlerin sagt am Donnerstag immer "Wir",  wenn es um die Lehren ging, die aus der Krise gezogen werden müssten. Und mit diesem "Wir" meinte Merkel vor allem: die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten.

Immer wieder haben die Regierungschefs der Länder die Kanzlerin bei ihrem Kurs im Kampf gegen das Virus ausgebremst. Seit Beginn der Pandemie ist es in erster Linie das Thema Bildung, an dem sich Kanzlerin und Länderchefs entzweien. Erst am Mittwoch kam das wieder zu Tage: In der jüngsten Videorunde kann Merkel sich nicht damit durchsetzen, wegen der wohl wesentlich ansteckenderen Virus-Varianten wenigstens noch zwei Wochen mit dem Öffnen von Kitas und Grundschulen zu warten.

Angela Merkel gibt die Verantwortung ab

Merkel also machtlos? Als sie am Mittwoch nach der Runde mit den Länderchefs zusammen mit Berlins Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vor die Kameras tritt, entschließt sie sich zu einem ungewöhnlichen Eingeständnis. Sie habe "bestimmte eigene Vorstellungen gehabt", aber im Föderalismus zähle nun mal die Kultushoheit. "Da ist es ganz einfach nicht möglich, dass ich als Bundeskanzlerin mich so durchsetzen kann, als hätte ich da ein Vetorecht." In den Worten liegt auch eine Botschaft: Nun haben andere die Verantwortung, wenn es schiefläuft.

Nur ein paar Stunden später im Bundestag wird Merkel dann noch deutlicher. Kurz blickte sie auf den Sommer zurück, in dem man nach der ersten Corona-Welle wieder leichter habe leben können, "bei Inzidenzen, die heute traumhaft erscheinen". Nur drei oder vier Ansteckungen über sieben Tage auf 100.000 Einwohner. Aktuell sind es im Schnitt gut 64. Den Höchststand gab es am 22. Dezember mit fast 198.

Doch "dann waren wir nicht vorsichtig genug und nicht schnell genug", sagt sie. "Wir haben auf die Anzeichen der zweiten Welle und die Warnungen verschiedener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hin nicht früh und nicht konsequent genug das öffentliche Leben wieder heruntergefahren." Das klingt so, als räume Merkel Fehler ein. Doch da ist wieder dieses "Wir". Sie selbst beziehe sich bei ihren Forderungen ja immer auf den Rat der Experten, schwingt in dem Satz mit. Wer will, kann ihn auch als Vorwurf in Richtung der Länder verstehen. 

Kein direkter Vorwurf aus Merkel Mund

Bei ihrer vorigen Regierungserklärung habe man Wochen dramatischen exponentiellen Wachstums der Infektionszahlen hinter sich gehabt, erinnert Merkel an die Zeit Ende November. Zwar habe man das steile Wachstum beenden können. Aber noch bis in den Januar habe sich das Virus "viel zu schnell und viel zu unkontrollier" verbreitet. "Eine Folge, dessen bin ich sicher, von zögerlichem Vorgehen ausgangs des Sommers und im Herbst." Zögerliches Vorgehen - auch dies dürfte auf die Länder-Regierungschefs gemünzt sein.

Doch ein direkter Vorwurf ist aus Merkels Mund nicht zu hören. Sie wirbt stattdessen in ihrer Regierungserklärung dafür, auch die jüngste Verlängerung des Lockdowns mitzutragen - auch wenn bei Bürgern die Ungeduld und in der Wirtschaft die Angst vor Insolvenzen wächst. Keinen einzigen Tag vergesse sie, was die Maßnahmen bedeuteten, sagt sie. Und weil Merkel um die Kritik der  Opposition an mangelnder Beteiligung des Bundestags weiß, fügt sie hinzu, alle Maßnahmen seien nach demokratischen Regeln beschlossen worden. "Aber ich weiß sehr wohl: Als Demokratie sind wir auch verpflichtet, diese Einschränkungen keinen Tag länger aufrecht zu erhalten als nötig. Und sie aufzuheben, wenn ihre Begründung entfällt." Genau das sei das Ziel der Bundesregierung.

Erwartbare Kritik von der Opposition im Superwahl

Was dann in der Aussprache kommt, ist weitgehend erwartbar. Manches klingt nach Superwahljahr. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel hält Bundesregierung und Ministerpräsidenten verfassungswidriges Treiben vor: "Eine von der Verfassung nicht vorgesehene Kungelrunde beschließt im Hinterzimmer weitreichende Eingriffe in das Leben und die Freiheit der Bürger." Worauf der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich zurückkeilt, wenn jemand gegen die Verfassung verstoße, dann jene, die die Gefahren kleinredeten.

FDP-Fraktionschef Christian Lindner wiederholt die Klage, die Bund-Länder-Runde übergehe das Parlament. Auch Grünen-Kollegin Katrin Göring-Eckardt argumentiert in diese Richtung. Lindner kritisiert, viele hätten sich "mehr erwartet als einen frischen Haarschnitt". Doch so sehr er sich müht, die Aufmerksamkeit der Kanzlerin zu erringen - Merkel wischt auf ihrem Handy herum und schaut nur geradeaus. Zwischendurch tauscht sie sich mit Finanzminister Olaf Scholz aus - es wirkt, als würden sich Kanzlerin und SPD-Kanzlerkandidat gut verstehen.

Eine in den eigenen Reihen viel beklatschte Rede hält der CDU/CSU-Fraktionschef. Ralph Brinkhaus lobt einerseits in Richtung Merkel, Deutschland stehe bei den Infektionszahlen international sehr gut da. Zugleich wirft er Lindner vor, die Krise parteipolitisch auszuschlachten. Dann kritisiert er die Regierung doch noch indirekt, als er bemängelt, das Land sei nicht ausreichend auf die nächste große Katastrophe vorbereitet. Die Mixtur kommt gut an bei vielen in den Unionsreihen.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch hält Merkel dann noch vor, sie habe "auch heute wieder null Selbstkritik“ geäußert. "Diese Papst-Attitüde der Unfehlbarkeit, die ist in dieser Situation unangebracht." Merkel wird die Bemerkung kaum beeindruckt haben. Spätestens in knapp drei Wochen, am 3. März, muss sie mit den Ministerpräsidenten erneut beraten, wie es mit dem Lockdown weitergeht. Wer weiß, ob die Regierungschefs ihr dann wieder zeigen, wo die Grenzen ihrer Macht liegen. Für unfehlbar halten sie die Kanzlerin jedenfalls nicht.

DPA
ilk/Jörg Blank/Jennifer Weese

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