Am Vorabend der entscheidenden Abstimmung über seine Gesundheitsreform hat US-Präsident Barack Obama die Demokraten im Repräsentantenhaus am Samstag auf das Votum eingeschworen. "Es ist an der Zeit, die Gesundheitsreform für Amerika zu verabschieden, und ich bin mir sicher, dass ihr das morgen tun werdet", appellierte Obama an die Abgeordneten. Laut Mehrheitsführer Steny Hoyer haben die Demokraten genügend Stimmen zusammen.
"Es liegt in Euren Händen (...) Lasst es uns zu Ende bringen", sagte Obama kämpferisch. Die Reform sei das Produkt eines "schwierigen Prozesses", räumte er ein und ging auf zahlreiche Streitpunkte ein wie die Sorge vieler konservativer Republikaner und Demokraten wegen einer möglichen staatlichen Kostenübernahme für Abtreibungen und den Vorwurf einer Einmischung in das Privatleben. "Tut es nicht für mich. Tut es nicht für die Demokratische Partei. Tut es für das amerikanische Volk", appellierte Obama im Cannon House Office Building des Kongresses.
Die Gesundheitsreform ist das innenpolitische Kernvorhaben des Präsidenten. Sie soll 32 Millionen unversicherten US-Bürgern zu einem Schutz im Krankheitsfall verhelfen, scheiterte aber bisher stets am Widerstand der Republikaner und einiger Abgeordneter aus dem eigenen Lager. "Wir sind uns sicher, dass wir genügend Stimmen haben", um das Reformprojekt zu verabschieden, sagte der demokratische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Hoyer, am Samstag vor einem Treffen mit dem Präsidenten.
Obama braucht mindestens 216 Stimmen im Repräsentantenhaus. Durch ein gesetzgeberisches Manöver wollen die Demokraten den Widerstand der Republikaner umgehen: Nach Angaben des Abgeordneten Chris Van Hollen wird das Repräsentantenhaus zunächst über die Regeln für die Debatten abstimmen, dann über einen Änderungsentwurf zu einem bereits vom Senat im Dezember verabschiedeten Reformentwurf. Erst dann werde über den bei vielen Abgeordneten ungeliebten Senatsentwurf selbst abgestimmt. Der Änderungsentwurf geht dann als "Reconciliation Bill" in den Senat, der ihn durch eine Sonderregelung mit einfacher Mehrheit verabschieden kann und somit die Sperrminorität der Republikaner umgeht.
Auf ein anderes, weitaus umstritteneres Manöver verzichteten die Demokraten, wie Van Hollen weiter mitteilte. Dabei hätten die Abgeordneten gleich über das Änderungsgesetz ("Reconciliation Bill) abgestimmt und den wenig beliebten Ausgangsentwurf des Senats impliziert verabschiedet, ohne wirklich für ihn stimmen zu müssen.
Das Weiße Haus versuchte bis zuletzt, skeptische Parteimitglieder auf Kurs zu bringen. Viele Abgeordnete befürchten, bei den Kongresswahlen im November abgestraft zu werden, wenn sie für das Vorhaben stimmen. Obama sprach ihnen Mut zu: Das Repräsentantenhaus habe einige der "schwersten Entscheidungen in der Geschichte des Kongresses" getroffen - "weil es der Wahrheit, nicht dem Sieg, verpflichtet ist."
Vor dem Kapitol demonstrierten tausende Gegner des Reformvorhabens. In Anspielung an einen Action-Thriller skandierten sie "Kill the Bill" (tötet das Gesetz). Auf Spruchbändern bezeichneten sie den Präsidenten und sein Reformvorhaben als "sozialistisch". Der republikanische Minderheitenführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, sagte, für die Demokraten in Washington sei es höchste Zeit, auf die Stimme des amerikanischen Volkes zu hören.