Afghanistan Esel und Kamele retten die Wahl

Viele Regionen in Afghanistan sind per Auto nicht zu erreichen. Daher hat die Wahlbehörde Esel, Pferde und Kamele requiriert, um Wahlmaterial zu transportieren - ein "logistischer Alptraum".

Tage später als geplant kamen die Urnen für die Parlamentswahl in dem entlegenen Dorf an - der Esel, der sie im Auftrag der Wahlbehörde transportieren sollte, war krank geworden und musste sich erst auskurieren. Viele Regionen in Afghanistan sind per Auto oder Lastwagen nicht zu erreichen. Deswegen hat die Wahlbehörde JEMB Hunderte Esel, Pferde und erstmals auch Kamele requiriert, um Wahlmaterial dorthin zu transportieren. Die Wahl am 18. September und ihre Vorbereitung seien ein "logistischer Albtraum", von dem man sich im Westen nicht die geringsten Vorstellungen mache, sagte die Chefin der EU-Wahlbeobachtermission in Afghanistan, Emma Bonino.

Eine gigantische Aufgabe ist es für JEMB, die Menschen überhaupt über die erste Parlamentswahl in Afghanistan seit 35 Jahren zu informieren. In einem isolierten Dorf im Norden des Landes erwarteten die Bewohner von den verblüfften Wahlhelfern, dass sie das Ergebnis der Präsidentenwahl vom Oktober vergangenen Jahres verkünden würden. Der Sieg Hamid Karsais war dorthin noch nicht vorgedrungen, von einer neuen Wahl wussten die Menschen erst recht nichts. In vielen Gegenden gibt es weder Radio- noch Fernsehempfang, geschweige denn Zeitungen: Rund 80 Prozent der Afghanen können weder lesen noch schreiben.

Acht Tage Fußmarsch

Auch für manchen Kandidaten scheinen die logistischen Schwierigkeiten - ganz abgesehen von Sicherheitsproblemen in weiten Teilen des Landes - schier unüberwindbar. Wahlbeobachter berichten von einer schwangeren Frau, die in der nordostafghanischen Provinz acht Tage zu Fuß unterwegs war, um sich in der Hauptstadt Feisabad als Kandidatin registrieren zu lassen. Dort angekommen, merkte sie, dass ihr die Anmeldegebühr und die Unterschriften ihrer Unterstützer gestohlen worden waren. Die Bewohner Feisabads sammelten Geld und neue Unterschriften für die Frau. Sie ermöglichten ihr damit kurz vor Ablauf der Registrierungsfrist, doch noch zur Wahl anzutreten.

Insgesamt bewerben sich mehr als 2700 Kandidaten für die 249 Parlamentssitze. In der Hauptstadt Kabul müssen die Wähler unter knapp 400 Kandidaten jenen auswählen, dem sie ihre eine Stimme geben werden. Der Stimmzettel ähnelt einer Zeitung: Auf sieben Seiten sind die Kandidaten mit ihrem Namen und ihrem Foto dargestellt. Das wiederum birgt Probleme für Kandidatinnen besonders in konservativen Gegenden im Süden und Osten - eine Frau, die ihr Gesicht der Öffentlichkeit zeigt, gilt als unislamisch. Die Qual der Wahl wird durch die zeitgleiche Abstimmung über die Provinzräte noch vergrößert, wo mehr als 3000 Kandidaten um 420 Sitze streiten.

Bilder für Analphabeten

Um den des Lesens oft unkundigen Wählern in dem Kandidaten-Wust etwas Orientierungshilfe zu geben, ist neben dem Namen und dem Foto des Bewerbers ein Symbol abgebildet. Damit die vielen Kandidaten nicht alle auf ähnliche nahe liegende Erkennungszeichen wie die afghanische Flagge oder den Koran zurückgreifen, entwarf die Wahlbehörde leicht wiedererkennbare und vor allem politisch neutrale Symbole - darunter sind etwa ein Hahn, eine Leiter, eine Brille oder eine Tüte Eiskrem. Von drei zufällig ausgewählten Symbolen musste jeder Kandidat eines für seine Kampagne wählen.

40 Millionen Stimmzettel sind in Großbritannien und Österreich mit Namen, Fotos und Symbolen bedruckt worden und wurden mit mehreren Großraumflugzeugen nach Afghanistan geschafft. 140 000 Flaschen nicht abwaschbare Tinte, mit denen der Wähler-Daumen markiert wird, um eine erneute Stimmabgabe zu vermeiden, wurden eingeflogen. 12,7 Millionen Afghanen haben sich als Wähler registrieren lassen. Sie und die Internationale Gemeinschaft warten nun gespannt auf den Wahltag und hoffen, dass bei dem gigantischen Unterfangen zumindest größere Pannen ausbleiben.

Can Merey/DPA