AFGHANISTAN Nordallianz marschiert in Kundus ein

Die radikal-islamischen Taliban haben die nordafghanische Stadt Kundus an die Truppen der Nordallianz übergeben. Die Nordallianz soll bereits 70 Prozent der Stadt besetzt halten.

Die afghanische Nordallianz ist am Sonntag in Kundus einmarschiert, der letzten Bastion des Taliban-Regimes im Norden des Landes. Beim Einrücken der Vorhut von General Atta Mohammed ergaben sich nach Angaben eines Allianzsprechers stetig Taliban-Soldaten und ihre ausländischen Verbündeten. Die afghanische Nachrichtenagentur AIP meldete, 2.500 Soldaten des Nordallianz-Generals Raschid Dostum seien von Westen her bis zur Stadtmitte vorgerückt. Eine Bestätigung dafür gab es zunächst nicht.

»Es ist gerade passiert - unser Kommandeur Mir Alam ist jetzt in der Stadt eingerückt«, meldete Allianz-Sprecher Aschraf Nadim per Satellitentelefon aus Masar-i-Scharif, das westlich von Kundus liegt. Mohammed und Dostum haben dort ihr Hauptquartier. Alam gehört zu Mohammeds Truppen. Ein weiterer Sprecher, Sahir Wassik, sagte im Interview direkt am Stadtrand: »Viele Taliban ergeben sich. Sie kommen stetig zu uns. Es wird nicht gekämpft.«

In der Nacht war der Belagerungsring um die seit zwölf Tagen belagerte letzte Taliban-Festung in Nordafghanistan enger gezogen worden, nachdem sich nach Allianz-Angaben 900 weitere Kämpfer der Taliban und ihrer ausländischen Verbündeten ergeben hatten. Bis zum Einbruch der Dunkelheit am Samstag waren 1.100 kapitulierende Verteidiger gezählt worden. Die afghanischen Kämpfer wurden von den Allianz-Soldaten wie Brüder mit Umarmungen und Küssen empfangen. Einige Taliban schlossen sich der Allianz an. Ihre Kommandeure hatten bereits am Freitag die Kapitulation ausgehandelt. Unklar blieb das Verhalten der ausländischen Söldner

Ausländer - Araber, Tschetschenen und Pakistaner - wurden entwaffnet und sollten in Internierungslager gebracht werden, um vor Gericht gestellt zu werden. Vor allem soll ihre Verbindung zum mutmaßlichen Terroristenführer Osama bin Laden ermittelt werden. Ein ausländischer Söldner zündete am Samstag kurz vor seiner Entwaffnung eine Handgranate und riss sich und zwei seiner Kameraden in den Tod. Ein Allianz-Offizier wurde schwer verwundet.

Vor Beginn der Belagerung der Stadt am 12. November war geschätzt worden, dass sich 10.000 Taliban- und 3.000 ausländische Kämpfer in Kundus verschanzt haben. Nordallianz-General Daud Khan bekräftigte in Talokan, das am Sonntag das Ultimatum für die Verteidiger von Kundus ablaufe, sich zu ergeben. Falls nicht, werde es zur Entscheidungsschlacht kommen.

Ranghoher Taliban-Überläufer greift Bin Laden und Omar an

Der bislang ranghöchste Taliban-Überläufer, der frühere stellvertretende Innenminister Mullah Mohammed Chaksar, hat Bin Laden und den Taliban-Hardlinern die Schuld am Niedergang des Landes und des radikalislamischen Regimes zugewiesen. Vor Journalisten in Kabul sagte Chaksar am Samstag, er habe Taliban-Anführer Mohammed Omar gewarnt, er solle »den Terroristen befehlen zu gehen« oder diese »würden unser Land zerstören«. Omar sei aber immer stärker unter den Einfluss Bin Ladens geraten. »So lange die internationalen Terroristen in unserem Land sind, wird kein Friede sein«, sagte er. Chaksar blieb nach eigenen Angaben in Kabul, als die afghanische Hauptstadt am 13. November von der Nordallianz eingenommen wurde.

Nahe der Hauptstadt Kabul gingen die Kämpfe zwischen Nordallianz und Taliban-Truppen auch am Samstag weiter. Aus US-Regierungskreisen verlautete, es werde auch ein Nordallianz-Vormarsch auf die Taliban-Hochburg Kandahar im Süden erwartet. Die Taliban-nahe Nachrichtenagentur AIP meldete Kämpfe aus der Region. (AP)