Afghanistan-Strategie Obama setzt auf Risiko

Erst massive Truppenaufstockung, ab Juli 2011 der Abzug: US-Präsident Barack Obama will den Erfolg in Afghanistan erzwingen, doch seine Strategie fußt auf einem riskanten Fundament.

Niemals zuvor in Barack Obamas junger Amtszeit war die Einsamkeit des höchsten Staatsamts so deutlich zu spüren. Als der US-Präsident am Dienstagabend in der Militärakademie West Point ans Rednerpult trat, lagen Monate der Beratung über den Fortgang des unpopulären Einsatzes in Afghanistan hinter ihm. Die Entscheidung über die Neuausrichtung hatte Obama ganz alleine zu treffen, und er verkündete sie in dem Wissen, dass den meisten Wählern längst der Glaube an den Sinn dieses Kriegs abhanden gekommen ist. Der Präsident gab sich entschlossen, den Zweiflern zu trotzen und einen Erfolg zu erzwingen. Der Krieg in Afghanistan ist nun Obamas Krieg.

Der Präsident war nach West Point gekommen, um seine neue Strategie für Afghanistan vorzustellen. "Als Oberkommandierender schulde ich Ihnen eine Mission, die klar definiert und Ihres Einsatzes würdig ist", sagte er vor den Kadetten. Die Rede freilich galt nicht in erster Linie dem Soldaten-Nachwuchs, der den Oberbefehlshaber pflichtgemäß mit Hochrufen begrüßte. Obama wandte sich vielmehr über die Köpfe der jungen Leute in Uniform hinweg direkt an die kriegsmüden Bürger daheim am Fernseher. "Ich treffe diese Entscheidung nicht leichtfertig", beteuerte er - und warnte, in Afghanistan und Pakistan würden "neue Anschläge geplant, noch während ich hier spreche".

2011 soll der Abzug beginnen

Der Skepsis setzte Obama eine Missionsbeschreibung mit klar definierten Zielen entgegen. Die Strategie fußt freilich auf einem riskanten Fundament, dessen Tragfähigkeit noch nicht getestet wurde. Anfang 2010 will Obama rund 30.000 weitere US-Soldaten nach Afghanistan schicken. Die US-Truppe am Hindukusch wird dann auf etwa 100.000 Soldaten anschwellen. Neu ist, dass die militärische Eskalation mit Verfallsdatum versehen ist, denn schon im Juli 2011 soll der Abzug beginnen. Den verstärkten Truppen bleiben also nur 18 Monate, um einen Einsatz zu retten, der seit acht Jahren nicht zum Erfolg führte.

"Unser Truppenengagement in Afghanistan kann nicht endlos dauern", sagte Obama; "Die Nation, deren Aufbau mich am meisten interessiert, ist unsere eigene." Der Präsident weiß, dass er mit seiner Truppenverstärkung die Geduld seiner Basis aufs Äußerste auf die Probe stellt. Noch während er nach West Point flog, kündigten Abgeordnete seiner Demokraten im Kongress Widerstand gegen die Militäroffensive an. Obama versuchte den Kritikern die Munition zu nehmen, indem er in seiner Rede selbst unangenehme Wahrheiten aussprach.

"Afghanistan ist nicht verloren, aber seit einigen Jahren macht es Schritte zurück", kritisierte der Präsident. Er erwähnte Korruption und Wahlbetrug. Auch die Kosten wolle er nicht vertuschen, sagte Obama: Die Truppenaufstockung werde allein im laufenden Haushaltsjahr mit 30 Milliarden Dollar (20 Milliarden Euro) zu Buche schlagen. Der Präsident präsentiert eine ernüchternde Bilanz: "Um es kurz zu sagen: So wie es ist, kann es nicht bleiben."

Keine Rede mehr von Demokratisierung

Um sein Ziel in Afghanistan zu beschreiben, nutze Obama einen argumentativen Kniff: Es senkte die Hürde so weit herab, dass sie leichter zu überspringen ist. Von einer Demokratisierung Afghanistans war keine Rede mehr. Nicht einmal von einem Sieg über die radikalislamischen Taliban sprach Obama, sondern nur davon, dass diese geschwächt und am Sturz der Regierung in Kabul gehindert werden müssten. Für das Terrornetzwerk El Kaida dürfe Afghanistan nicht mehr als Unterschlupf dienen. Die afghanische Regierung und die Streitkräfte müssten gestärkt werden.

Mehr als alle bisherigen Vorhaben Obamas wird die Entscheidung zu Afghanistan das Durchsetzungsvermögen des Präsidenten auf die Probe stellen. Obama, den vor einem Jahr eine Woge öffentlicher Zuneigung ins Amt getragen hatte, steht in der Innenpolitik im Kreuzfeuer der Kritik. Sein außenpolitisches Renommee wird davon abhängen, inwieweit die NATO-Verbündeten in den kommenden Wochen seiner Bitte nach weiteren Soldaten für Afghanistan entsprechen.

AFP
Peter Wütherich/AFP