Egal ob in Deutschland, den USA oder im Vereinigten Königreich – die dramatische Lage in Afghanistan beschäftigt Politiker in der ganzen Welt. Die Regierungen, die ihre Soldaten aus dem Land abgezogen haben, müssen sich vorwerfen lassen, die Situation unterschätzt zu haben. Auch im britischen Unterhaus war die Eskalation in Afghanistan Thema.
Als Kabul in die Hände der Taliban fiel – die Machtergreifung in Bildern

Während die meisten Politiker Afghanistan nur aus Berichten oder höchstens kurzen Besuchen kennen, weiß Tom Tugendhat, Abgeordneter der konservativen Partei, genau, wovon er spricht. Tugendhat war als Soldat selbst in Afghanistan stationiert, später arbeitete der 48-Jährige zudem als Zivilist in dem Land, bevor er ins britische Parlament gewählt wurde. Dort hielt er in dieser Woche eine emotionale Rede zum Vormarsch der Taliban, seinen persönlichen Erlebnissen in Afghanistan und den Versäumnissen des Westens.
Britischer Veteran erinnert sich an Zeit in Afghanistan
Die Ereignisse der vergangenen Tage habe er mit "Ärger, Trauer und Wut" verfolgt, sagte der Veteran in seiner Ansprache. Diese Woche habe "Wunden aufgerissen", so Tugendhat in Gedanken an seine gefallenen Kameraden: "Ich habe gute Männer unter die Erde gehen sehen, die einen Teil von mir und einen Teil von uns allen mitgenommen haben." Für ihn und viele andere, die dort während des Konflikts gearbeitet hätten – etwa humanitäre Hilfskräfte oder Journalisten – sei Afghanistan kein fernes Land.
Er habe erlebt, wie groß die Freude von Familien gewesen sei, als ihre Töchter in die Schule gehen durften. Wirklich verstanden habe er das erst, als seine eigene Tochter eingeschult wurde. Ein anderes Bild aber verfolgt Tugendhat auch nach Jahren noch: ein Vater, der sein totes Kind verzweifelt zu den Soldaten brachte. "Das ist ein Bild, zu dem dieser ewige Krieg, der gerade neu entzündet wurde, wieder führen könnte", warnte der sichtlich bewegte Abgeordnete. Das Gefühl, nicht helfen zu können, habe sich für ihn damals wie eine Niederlage angefühlt – ebenso wie nun zuschauen zu müssen, wie die Taliban wieder die Macht in Afghanistan übernehmen.
Scharfe Kritik an US-Präsident Joe Biden
Harte Kritik übte Tugendhat an US-Präsident Joe Biden, der den Mut der afghanischen Armee infrage gestellt hatte. Das sei "beschämend", sagte der Veteran, während er mit den Tränen zu kämpfen schien: "Wer nicht selbst für ihre Fahne gekämpft habt, sollte vorsichtig sein, diejenigen zu kritisieren, die das getan haben." Biden hatte in einem Interview gesagt: "Es schien einfach unmöglich, dass sich 300.000 Soldaten kampflos ergeben."
Im House of Commons herrschte während Tugendhats Rede betretenes Schweigen. Am Ende jedoch reagierten einige Abgeordnete mit einer ungewöhnlichen Geste: Sie applaudierten Tugendhat. Im britischen Parlament ist Applaus für eine Rede extrem selten und nach den Regeln des Hauses eigentlich nicht erwünscht.