Algerien "Hau ab, Bouteflika!"

Nach dem schwersten Erdbeben in Algerien seit mehr als 20 Jahren wächst der Unmut über das Krisenmanagement des Bouteflika-Regimes. Bei der Ankunft des Staatschefs in der verwüsteten Siedlung bei Boumerdès brach die Wut offen aus.

Kräne und Bulldozer rücken an in Boumerdès. Berge von Schutt und Betonbrocken müssen weggeschafft werden. Einer nach dem anderen hören die Spürhunde auf, in den Trümmerfeldern bei Algier nach Überlebenden zu suchen. Hoch im algerischen Norden steigt die Tagestemperatur bei sengender Sonne auf mehr als 30 Grad und beschwört die Gefahr von Seuchen herauf. Angeheizt ist auch der Zorn der Verbitterten auf die "Mördermacht", den Staat: Präsident Abdelaziz Bouteflika musste vor empörten Bürgern fliehen.

"Hau ab. Wir brauchen dich hier nicht." In der verwüsteten Siedlung mit 1200 Billigwohnungen bei Boumerdès bricht die Wut offen aus, als der Staatschef in seiner Wagenkolonne vorfährt, um sich ein Bild von den eingestürzten Häusern zu machen. "Wo ist Wasser? Wo sind Zelte? Wo ist der Staat? Wir haben nichts." Nervöse Sicherheitsbeamte drängen den Staatschef, der 2004 wieder gewählt werden will, rasch in seine Karosse. Sie dient wütenden Steinewerfern dann als Zielscheibe - ein reichlich missglückter "Goodwill"-Auftritt.

Hoffnung auf Überlebende schwindet

Eine Woche nach dem schweren Erdbeben vom vergangenen Mittwoch versiegt die Hoffnung, auch wenn es am Samstag noch ein kleines Wunder gegeben hat - österreichische und polnische Helfer zogen ein zwölfjähriges Mädchen lebend aus dem Schutt. Manche graben immer noch. Könnte sich ein solches Wunder nicht wiederholen?

Die 50 Kilometer lange Straße von der Hauptstadt Algier in das von der Naturkatastrophe gemarterte Gebiet rund um Boumerdès, Thenia und Rouiba ist heillos verstopft. An diesem Wochenende der Staatstrauer sind alle auf den Beinen, Freunde, Verwandte und auch Neugierige, um in die Trümmerstädte zu gelangen. Unterdessen versuchen Überlebende, aus den gefährlich schief ragenden Überresten ihrer früheren Bleibe ein paar Habseligkeiten zu retten. Hier ein Teppich oder ein Kanapee, dort ein Fernseher, die Satellitenschüssel oder Stühle. Abdelaziz Sessi hat zwei Sitzbänke in Zemmouri mitten auf die Straße gestellt - mehr war nicht zu retten. Seine Frau ist unter den rund 2200 Toten. Die Kinder leben. Es sieht aus wie nach einem Bombenangriff.

"Jetzt haben wird wieder alles verloren"

Notdürftig haben sich die Menschen aus Plastik und Stoffresten Unterkünfte gebaut. Die Frauen versuchen, etwas Essbares zu besorgen und im Freien zu kochen. Wasser und Kleidung müssen, so gut es eben geht, organisiert werden. "Wir kommen alle aus Bab-el-Oued", erregt sich eine Frau voller Wut und Resignation. "Die Regierung hatte uns nach den Überschwemmungen dort sichere Wohnungen versprochen. Jetzt haben wird wieder alles verloren. Wir sind auf der Abschussliste."

Wie im November 2001 nach dem verheerenden Erdrutsch und den Überschwemmungen in Bab-el-Oued westlich der Hauptstadt ist auch auf dem Friedhof El-Alia provisorisch ein Leichenschauhaus eingerichtet worden. "Nach Bab-el-Oued jetzt das Erdbeben. Wie viel Unglück wird das Volk noch ertragen müssen", schreit eine Anruferin weinend über den nationalen Radiosender. Aber nicht jeder macht einen "untätigen" Staatsapparat für das Ausmaß dieses Unheils verantwortlich. Tränen nutzen nichts, meinen einige. "Das ist Schicksal, und Gott allein entscheidet", fügt sich die Immobilienhändlerin Farida. In Algerien glauben mittlerweile manche, auf ihrem Land liege ein Fluch.

Baumängel sollen jetzt untersucht werden

Doch scheinbar keimt jetzt auch ein wenig Hoffnung für die Opfer und deren Angehörigen: Die algerische Regierung will eine Untersuchung über Baumängel der eingestürzten Häuser einleiten. Eine Kommission soll in etwa 20 Tagen Präsident Abdelaziz Bouteflika ihren Bericht vorlegen.

Die stark betroffene Stadt Boumerdès wurde am Montag dann noch durch ein Nachbeben der Stärke 4,2 auf der Richterskala erschüttert. Die Nachbeben könnten noch Tage oder sogar Wochen andauern, befürchten die Behörden. Das eigentliche Erdbeben hatte nach algerischen Angaben eine Stärke von 6,2 auf der Richterskala. Es war das verheerendste in der Region seit 1980. In der Region am Mittelmeer leben etwa 20 Millionen Menschen.

DPA
Houria Ait Kaci und Hanns-Jochen Kaffsack