Anhörung zum Irak "Schlamassel" zum Erfolg erklärt

  • von Katja Gloger
Einer von ihnen wird bald übers Vorgehen im Irak entscheiden: Die US-Präsidentschaftskandidaten McCain, Clinton und Obama konnten David Petraeus, den Oberkommandierenden im Irak, befragen. Doch von Kreuzverhör keine Spur. Und Petraeus wies Forderungen nach einem Zeitplan für den Truppenabzug zurück.

Schon um sieben Uhr morgens hatten interessierte Bürger um Plätze im Raum SD-106 des US-Senats angestanden, um sich darüber zu informieren, was ein gewisser Barack Obama später als "Schlamassel" bezeichnen würde. Über die Lage im Irak nämlich, im Jahr sechs des Krieges. Auch die Frauen von "Code Pink" waren früh da. Sie hatten schwarze Trauerschleier mitgebracht und Theaterschminke, mit denen sie sich in der Senatstoilette todesweiße Gesichter malten. Dazu trugen sie kleine Plakate, auf denen die Namen getöteter irakischer Kinder standen. So saßen die Kriegsgegnerinnen gestern über Stunden, eine Mahnwache, scharf beäugt von der "Capitol Police", die streng darauf hinwies, dass Plakate maximal in Brusthöhe zu halten seien - um die Sicht Anderer nicht zu stören. Schließlich muss es im US-Senat auch mit dem Protestieren seine Ordnung haben.

Anhörungsraum SD-106 war pickepackevoll, Dutzende Journalisten quetschten sich an enge Tische. Allerdings hatte der Andrang weniger mit dem leidigen Thema zu tun, als vielmehr mit den Stars der gestrigen Politshow. Mit dem Oberbefehlshaber General David Petraeus und US-Botschafter Ryan Crocker war schließlich das militärisch-politische "Dream Team" aus Bagdad angereist, um sich von vielen Vertretern des Volkes gleich zwei Tage lang über die Lage im Irak befragen zu lassen. Und weil es der Zufall will, dass gleich drei potentielle Oberbefehlshaber in den beiden zuständigen Senatsausschüssen für Streitkräfte und Außenpolitik sitzen, geriet die Anhörung der Männer aus Bagdad gestern auch zu Wahlkampfauftritten der Kandidaten Hillary Clinton, Barack Obama und John McCain.

Wann können die USA mit einem Truppenabzug beginnen?

Was also, wollten die Senatoren wissen, hat die viel kritisierte Erhöhung der US-Truppen um 20.000 Mann gebracht, die Bush im vergangenen November entschied, beinahe zu spät, als das Land in einen Bürgerkrieg rutschte? Helfen weit mehr als 100.000 US-Soldaten und Milliarden-Unterstützung wirklich, die irakische Regierung zu stabilisieren? Und vor allem: Wann können die USA mit einem Truppenabzug beginnen? Und über allem schwebte auch gestern wieder die große Frage, die sich niemand zu beantworten traut: Hat dieser Krieg Amerika wirklich sicherer gemacht?

Am Ende eines langen Tages waren die erschöpften Beobachter auch nicht schlauer als zuvor. Denn irgendwie wird zwar alles ein bisschen besser, doch irgendwie auch wieder nicht. Der eloquente Vier-Sterne-General Petraeus benutzte natürlich andere Worte, um die desolate Lage zu skizzieren: "Wir sehen erste Erfolge. Doch sie sind jederzeit umkehrbar. Wir sehen noch kein Licht am Ende des Tunnels." Weniger Tote, weniger Angriffe, weniger Autobomben - ist dies ein Erfolg der US-Militärstrategie? Die so genannten "Söhne des Irak", vornehmlich sunnitische Bürgermilizen, die von den USA mit monatlich rund 16 Millionen Dollar bezahlt werden - gelten die als Garanten der Stabilität? Warum sind die vornehmlich von den USA finanzierten 500000 irakische Sicherheitskräfte nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen? Und überhaupt, die Milliardensubventionen. Da zitierte der Demokrat Carl Levin, Vorsitzender des Streitkräfteausschusses, ebenso wütend wie fassungslos einen irakischen Offiziellen, der sagte: "Warum sollten wir unser eigenes Geld ausgeben, solange die USA bereit sind, zu zahlen?"

Keine echten Erfolge

Glasklar vertrat General Petraeus seine Einschätzung: Die Erfolge sind brüchig, ein Wendepunkt bislang nicht erkennbar, ein fester Zeitplan für einen Truppenabzug sei falsch. Der momentane Teilabzug der Truppen um 30.000 Mann solle im Juli für mindestens drei Monate gestoppt werden, dann werde man neu überlegen. Wie lange? "Bis man Empfehlungen geben kann." Und in der Zwischenzeit verhandeln die USA und der Irak über einen Vertrag zum Status der Truppen, der das zum Jahresende auslaufende Uno-Mandat für den Irak ersetzen solle. Damit sollen die USA ohne zeitliche Begrenzung dazu ermächtigt werden, auch weiterhin Militäreinsätze im Irak führen zu können.

Im Klartext: Auch zu den Präsidentschaftswahlen Ende des Jahres werden immer noch mehr als 100.000 US-Soldaten im Irak stationiert sein. Und echte Erfolge wird man immer noch nicht nachweisen können.

Keine guten Nachrichten für die drei Präsidentschaftskandidaten, die sich gestern vorsichtig durch das politische Minenfeld "Irak" tasteten. "Für sie ist es wie ein Drahtseilakt über den Grand Canyon", sagte der ehemalige Senator Alan Simpson der New York Times.

"Realistischer Idealismus

Natürlich zeigte sich Kriegsheld John McCain zufrieden mit den winzigen Erfolgen der Truppenverstärkung. "Wir schauen nicht mehr in den Abgrund." Schließlich hatte er schon früh eine massive Truppenerhöhung gefordert, gar sein politisches Schicksal mit Fortschritten im Irak verknüpft. Und will sich jetzt als Präsident der Nationalen Sicherheit präsentieren, als "realistischer Idealist", der die Welt im Kampf gegen islamistische Extremisten sieht. Dies betrachtet er als entscheidende Herausforderung für das 21. Jahrhundert. "Forderungen nach einem unverantwortlichen Truppenabzug müssen abgelehnt werden" sagte er mit einem Seitenhieb auf die beiden Konkurrenten um den Job im Weißen Haus. "Dies würde ein Scheitern unserer politischen und moralischen Führungskraft bedeuten. Wir müssen uns entscheiden, gewinnen zu wollen."

Doch keinesfalls darf John McCain zu optimistisch oder zu kriegerisch klingen. Also beeilte er sich mit einer Packung Kritik: Die Operationen der irakischen Armee im Süden des Landes vergangene Woche, bei denen mehr als 1000 Soldaten erst gar nicht zum Kampfeinsatz gegen Schiiten-Milizen erschienen, seien ja wohl eine "Enttäuschung" gewesen, monierte er. Jawohl, antwortete ihm der General pflichtgemäß.

Drei Stunden und ein Dutzend Senatoren später war sie dann endlich dran, Hillary Clinton, die Frau, die sich ihren Wählern als Oberkommandierende präsentiert, die "schon am ersten Tag bereit ist." Sie wiederum musste sich zwar kritisch, aber zugleich patriotisch-verständnisvoll zeigen. Und so schäkerte und lächelte sie mit dem General Petraeus zur Begrüßung, was das Zeug hielt, berührte gar seinen Arm - wie gut, dass ungefähr 30 Fotografen zur Stelle waren, um diesen PR-Moment festzuhalten. Sie musste schließlich Einiges gutmachen: noch vor sechs Monaten hatte sie dem General öffentlich vorgeworfen, man müsse schon "alle Zweifel bewusst ausschalten", um an einen Erfolg im Irak zu glauben.

Sechs Minuten Redezeit für Hillary Clinton

Zunächst aber musste sie drei Stunden die gestrenge Hierarchie des Senats einhalten. Hier geht es streng nach dem Senioritätsprinzip zu - wer am längsten dabei ist, darf zuerst reden. Da saß sie, müde und abgekämpft von ihrer Dauerschlacht um die Nominierung, kaute heftig auf Kaugummi, um wach zu bleiben, kramte ihre Lesebrille hervor, dann bekam sie endlich ihre sechs Minuten Redezeit. "Es kann auch unverantwortlich sein, die Truppen nicht abzuziehen", schoss sie gegen John McCain - der allerdings hatte zu diesem Zeitpunkt den Raum schon verlassen. Doch ihre Kritik klang verhalten, wie schallgedämmt. Sie äußerte Zweifel am Erfolg der Truppenerhöhung, forderte einen irgendwie "geordneten Abzug" aus dem Irak, dann verließ Hillary Clinton den Raum, und vor der Tür warteten die Reporter, die sie zum Wahlkampf im Bundesstaat Pennsylvania befragen wollten.

Am späten Nachmittag dann, im außenpolitischen Ausschuss, war auch noch Junior-Senator Barack Obama dran. Auch er hatte einige Stunden geduldig warten müssen, kaute Kaugummi (Nikotinkaugummi, weil er sich das Rauchen abgewöhnen musste). "Wir wollen eine erfolgreiche Lösung im Irak erreichen", versicherte er den bereits ermatteten Zuhörern, auch er forderte den Beginn des Truppenrückzugs. Und dann lieferte Obama seine ganze eigene, vielleicht die einzige wirklich realpolitische Definition von "Erfolg" im Irak: "Ein Schlamassel" zwar, aber wenigstens keine weitere Verschlechterung mehr. Dieser "Erfolg" würde einen Truppenrückzug ermöglichen: "Unsere Mittel sind begrenzt, unsere Ziele müssen moderat sein. Ich will zu einem Endpunkt kommen."

Nicht nur er. Zehn Stunden Anhörungen gestern, das Publikum verließ ermattet den Saal. Heute geht es weiter, vor den Abgeordneten des Repräsentantenhauses auf der anderen Seite des Capitols.