Attentat auf Trump "Wir sind mehr als am Arsch": So bewerten Demokraten jetzt Bidens Siegchancen

Trump-Anhänger demonstrieren nach dem Anschlag auf den Republikaner vor dem Trump Tower in New York
Trump-Anhänger demonstrieren nach dem Anschlag auf den Republikaner vor dem Trump Tower in New York
© Jakub Porzycki / Imago Images
Welche Folgen hat der Anschlag auf Donald Trump für den Wahlkampf? Viele demokratische Analysten halten Joe Biden jetzt für chancenlos – doch es gibt auch ganz andere Stimmen.

Der missglückte Mordanschlag auf Donald Trump hat unmittelbare Konsequenzen für das Rennen ums Weiße Haus. Nachdem Amtsinhaber Joe Biden seine Attacken auf Trump zuletzt deutlich verschärft hatte, legte das Team des Demokraten die Wiederwahlkampagne wegen des Attentats zunächst auf Eis und stoppte die Ausstrahlung von Wahlwerbespots.

Die Pause wird nicht von langer Dauer sein. Schon an diesem Montagabend (Ortszeit) will Biden dem Sender NBC ein bereits vor den Schüssen auf Trump geplantes Interview geben. Doch während das Gespräch sich ursprünglich vor allem um die Zweifel an der Amtstauglichkeit des 81-Jährigen drehen sollte, dürften nun die Ereignisse in der Kleinstadt Butler in Pennsylvania im Vordergrund stehen.

Dabei wird es wohl auch um die Fragen gehen, wie Biden im weiteren Wahlkampfverlauf auf den Anschlag reagieren will und was die Demokraten für Auswirkungen auf die Stimmung in der Wählerschaft erwarten. Zahlreiche Strategen, Berater und Analysten der Demokratischen Partei haben gegenüber US-Medien bereits Prognosen dazu abgegeben – und die sind überraschend divers.

Bidens Siegchancen sind deutlich gesunken

  • "Wir sind so was von am Arsch", sagte ein langjähriger Insider der Demokraten und merkte an, dass das Bild des blutverschmierten Trump, der seine Faust in die Luft reckt, unauslöschlich sein wird.
  • "Der Präsidentschaftswahlkampf ist gestern Abend zu Ende gegangen", urteilte ein Parteiberater. Jetzt müssten die Demokraten sich darauf konzentrieren, die Mehrheit im Senat zu halten und das Repräsentantenhaus zu gewinnen. "Das einzig Positive, das die letzte Nacht für die Demokraten gebracht hat, ist, dass wir heute nicht mehr über das Alter von Joe Biden sprechen."
  • Ein Stratege der Demokraten, der bei mehreren Wahlkampagnen mitgearbeitet hat, meinte, dass Biden nach dem physischen Angriff auf Trump sein Hauptargument gegen den Republikaner nicht mehr verwenden könne: die Wähler davon zu überzeugen, dass Trump so extrem sei, dass er eine Gefahr für die Demokratie darstelle. "Diese Botschaft ist tot", so der Stratege. Die Kugel, die Trump traf, "rettete wahrscheinlich Bidens Nominierung", indem sie die Forderungen der Demokraten nach seinem Rücktritt einfror, und "weihte seine Wiederwahlkampagne dem Untergang".
  • "Der eindeutige Effekt dieses Attentats ist, dass es Donald Trump offiziell aus der Politik ins Märtyrertum stößt", stellte ein Veteran demokratischer Wahlkampagnen fest. "Sie framen dies als einen Angriff auf Maga (die "Make America Great Again"-Bewegung, Anm.d.Red.) und nicht auf Trump – das ist noch mächtiger. Das ist buchstäblich biblisches Zeug, über das wir hier reden." Die Demokraten wären "nie in der Lage, mit diesem Maß an Begeisterung unter den Stammwählern zu konkurrieren", erklärte der Veteran. "Also ja, wir sind noch mehr am Arsch mit Biden. Und sich darauf zu verlassen, dass Trump ein aufrüttelnder, vereinigender Feind ist, wird auch nicht funktionieren."
  • Mike Murphy, langjähriger Stratege der Republikaner, der Trump allerdings ablehnt, prophezeite für den an diesem Montag beginnenden Nominierungskongress der Republikaner: "Die erhobene Faust wird zum ikonischen Symbol des Parteitages werden." Trump werde in den nächsten Umfragen wahrscheinlich einen Aufschwung erleben, und mehr unabhängige Wähler anziehen. "Es wird ein gutes, altmodisches amerikanisches Mitgefühl für Trump geben."
  • "Stark und falsch schlägt schwach und richtig", erinnerte ein Stratege der Demokraten in Hinblick auf Trumps und Bidens Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit an einen denkwürdigen Satz des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton.
  • "Der Attentatsversuch zementiert Trumps Vorsprung", meinte Hank Sheinkopf, ein erfahrener Berater der Demokraten. "Das ist das Problem, das Biden hat. Wie kann man sich mit einem Märtyrer vergleichen? Denn das ist die Art und Weise, wie die Republikaner Trump darstellen werden."
  • "Trump liegt bereits in Führung. Das Argument, dass wir die Dinge ändern müssen, sollte jetzt nur noch stärker sein", sagte Aaron Regunberg, Mitglied von Pass the Torch, einer demokratischen Gruppe, die Biden dazu bringen will, seine Wiederwahlkandidatur aufzugeben.
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Der Anschlag auf Trump wird die Wahl kaum beeinflussen

  • Der Meinungsforscher und frühere Berater von Barack Obama, Cornell Belcher, erwartet vor allem bei den in den Schlüsselstaaten so wichtigen Wechselwählern keine dramatischen Verschiebungen. "Wird die gemäßigte Mutter aus den Vorstädten, die sich Sorgen macht, wie sie das College für ihre Tochter bezahlen soll und ob ihre Tochter in ihrem Leben so viele Rechte haben wird, wie sie selbst in ihrem Leben hatte – wird sie nach der Schießerei sagen: 'Oh mein Gott! Ich werde Trump wählen!'? Nein!"
  • Ein Biden-Verbündeter mutmaßte, der gescheiterte Mordversuch werde Trumps Basis weiter festigen, ohne ihm neue Wähler zu bringen. Zudem beweise Biden in chaotischen Zeiten beständige Führungsstärke.
  • Ein Mitarbeiter der Demokraten mit viel Erfahrung im Präsidentschaftswahlkampf prognostizierte, dass es bei bestimmten demografischen Gruppen einen "leichten sofortigen Schub" für Trump geben werde. "Aber grundsätzlich denke ich, dass das Rennen dort bleibt, wo es schon immer war. Und wir haben noch viel Zeit vor uns, so verrückt das auch erscheinen mag."

Biden könnte vom Trump-Attentat profitieren

  • Auf den ersten Blick habe er den Eindruck gehabt, dass die Schüsse Trump einen Vorteil verschaffen würden, dann sei er aber zu einer anderen Ansicht gekommen, erzählte ein weiterer altgedienter Stratege der Demokraten. "Politisch gesehen ist die Vorstellung, dass das Trump helfen wird, ein Irrtum. Ich denke, es erinnert daran, dass er ein Chaosmacher ist", so der Stratege. "Genau dann brauchen wir jemanden, der uns zusammenführt." Er glaube, dass die Republikaner ein politisches Risiko eingehen, wenn sie auf dem Parteitag Trumps frühere Rufe nach Vergeltung wiederholen sollten, anstatt ihre Rhetorik zu dämpfen.
  • Ein weiterer Stratege meint, dass es für Biden kurzfristig vorteilhaft sei, als derjenige gesehen zu werden, der die amerikanische Öffentlichkeit beruhigt und dabei vorübergehend den Wahlkampf und die Differenzen mit Trump beiseite schiebt. "Es hilft Bidens Argumenten. Er steht für Stabilität. Er managt eine Krise. Und in gewisser Weise antwortet er auf den Streit über seine geistige Schärfe. Und das schafft einen Kontrast zu Trump."
  • Und Rob Casey, Politikberater beim Strategieunternehmen Signum Global Advisers, konstatiert: "Der Silberstreif für Biden in diesem Fall ist, dass wir nicht mehr über sein Alter und seinen Scharfsinn und die Möglichkeit seines Rücktritts sprechen."