Er ist die große Hoffnung des Westens. Ein Friedens-Nobelpreisträger, bis vor zwei Jahren Chef der Atomenergiebehörde, Diplomat, Muslim, Ägypter. Ein distinguierter älterer Herr, der klug über die Weltpolitik zu parlieren weiß und alle wichtigen Staatsmänner der Welt persönlich kennt. Aber er ist vor allem die Hoffnung der westlichen Öffentlichkeit, weil die eigentlich nur zwei Ägypter kennt: Husni Mubarak, den Noch-Präsidenten, und eben den älteren Herrn, Mohamed ElBaradei .
Und das genau ist das Problem: Ein Leben lang haben wir uns kaum für Ägypten interessiert. Solange der Präsident Husni Mubarak den Friedensvertrag mit Israel nicht aufkündigte und sich als letztes Bollwerk seines Landes gegen den Islamismus gerierte, war es unseren Politiker herzlich egal, wohin die 1,3 Milliarden Dollar Hilfe aus den USA wirklich flossen.
Die Realpolitik genannte Ignoranz ist gescheitert
Es interessierte niemanden, dass der ägyptische Präsident sein Land seit 30 Jahren mit einer Notstandsverordnung regierte und noch jede Wahl so lange manipulieren ließ, bis die von ihm gewünschten Kandidaten im Parlament saßen. Und wir haben so getan, als gäbe es diese Millionen von Analphabeten nicht, die von Hungerlöhnen lebten, während sich die Clique um den Präsidenten mit Tourismus-Projekten, Immobilien-Deals oder durch schlichte Korruption die Taschen füllten. Nun reiben wir uns die Augen, weil diese Realpolitik genannte Ignoranz gescheitert ist.
Und während sich viele Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo wie Wochen zuvor in Tunis fragen, wie ehrlich es der Westen meint, wenn er von Freiheit und Demokratie predigt, sind wir dabei, den nächsten Fehler zu begehen: zu glauben, dass Mohamed ElBaradei die Lösung des Problems sein könnte.
Zu westlich und zu weltoffen
Natürlich würde man ein solch erfahrenen, klugen Menschen gern an der Spitze eines großen Landes sehen. Nur ist ElBaradei erstens kein Politiker, der große Reden hält und Menschen hinter sich zu scharen weiß. Und zweitens ist der Rückhalt für ihn im eigenen Land gering, weil aus ihm in 30 Jahren Abwesenheit ein Mann geworden ist, der seinem Volk fremd bleibt. So westlich, so weltoffen, wie wir uns das wünschen mögen. Aber zu westlich und weltoffen für ein so konservatives gottesgläubiges Land wie Ägypten.
Darum hat der aus dem fernen Katar via al Dschasira predigende ägyptische Mufti Jusuf al Karadawi sicher mehr Einfluss, wenn er seine Landsleute zum Widerstand aufruft, das Militär zum "Schutz des Volkes" ermuntert und Millionen vor den Bildschirmen erklärt "Mubarak schlachtet sein Volk ab".
Vermitteln, erklären, formulieren
Dennoch ist es gut, dass ElBaradei sich schon seit einer Weile für mehr Demokratie in seinem Land engagiert und westliche Politiker lange vor der demokratischen Revolution der letzten Tage an ihre Pflichten wie an ihr Versagen erinnert hat. Er steht darüber hinaus in enger Verbindung zur einzig wirklichen Opposition im Lande, der Muslimbruderschaft. Wenn es ihm gelingt, mit den vielen klugen und gemäßigten Leuten dieser Bewegung zusammenzuarbeiten und im Hintergrund Brücken zu bauen zwischen den Muslimen und dem Westen, zwischen den Muslimen und den Generälen im Lande - dann könnte er den Job machen, den er dreißig Jahre so gut beherrscht hat: vermitteln, erklären, formulieren. Er könnte vor allem Vertrauen schaffen. Das wäre womöglich einen zweiten Friedensnobelpreis wert.