Bankensterben in der USA Tod in der Provinz

Von Sebastian Bräuer
Während an der Wall Street wieder Milliarden gescheffelt werden, gehen in den kleinen Städten Amerikas die Geldhäuser reihenweise pleite. Eine Reise an einen vergessenen Ort der großen Geldschmelze.

Am Arbeitsplatz von Joe Brannen ist die Krise noch nicht angekommen. Der Chef des Bankenverbands von Georgia residiert in einem säulenverzierten Prachtbau im Zentrum von Atlanta, Marmorwände und Teppichboden in der Eingangshalle, Kronleuchter an der Rezeption. Seinen Schreibtisch und sein Büro zieren kostbare goldene Briefbeschwerer und antike Skulpturen.

Doch der Verbandschef hat ein Problem. In keinem US-Bundesstaat sind seit Beginn der Finanzkrise so viele Banken kollabiert wie in Georgia. 23 Institute mussten seit Anfang 2008 dichtmachen, davon 18 in diesem Jahr. Mehr als ein Fünftel der US-Banken, die in der Krise in Konkurs gingen, hatten ihren Sitz in Georgia. Und das Schlimme: Es wird noch eine Weile so weitergehen. Hier, fernab der Börsenzentren, kämpfen Dutzende Banken ums Überleben. Immer noch.

Während an der Wall Street bereits wieder Milliardengewinne eingefahren werden, während sich die Bankenplätze London und Frankfurt zusehends erholen, setzt sich die Krise abseits der Zentren ungebremst fort. 416 Regionalbanken stehen auf einer internen Todesliste des amerikanischen Einlagensicherungsfonds FDIC, viele davon kommen aus Georgia.

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...aus der aktuellen Ausgabe der Financial Times Deutschland

Wieso ausgerechnet Georgia?

Die Frage an den obersten Sprecher der taumelnden Branche lautet also: Warum haben sich ausgerechnet hier so viele Institute verzockt? Brannen holt weit aus. Er erinnert daran, dass es in Georgia 30 Jahre immer nur aufwärtsging. "Es gab keinen Grund zu glauben, dass das nicht so weitergehen würde", sagt er. Niemand habe doch die Krise in ihrer vollen Schärfe vorhergesagt. "Die Banken hatten also keinen Grund, sich anders zu verhalten."

Bis zur Mitte des Jahrzehnts war der Großraum Atlanta eine Boomregion. Die ansässigen Großunternehmen wie Coca-Cola , Delta Air Lines oder CNN expandierten, den mittelständischen Firmen ging es prächtig. Die Zahl der Einwohner stieg von Juli 2000 bis Juli 2005 um 15 Prozent. In dieser Zeit entstanden 315.000 neue Häuser, mehr als in allen anderen US-Metropolen. Atlanta, die Olympiastadt von 1996, erlebte ein regelrechtes Wirtschaftswunder.

Und in diesem Umfeld geriet der Bankensektor aus allen Fugen. In Georgia passierte im Kleinen, was sonst auch im Großen geschah - nur geballt auf engstem Raum. Die Hoffnung, über die Vergabe von Krediten am Bauboom teilzuhaben, führte zum Exzess: Seit 2000 wurden in Georgia 112 neue Banken gegründet, Ende 2008 operierten in dem Bundesstaat, der nicht einmal 10 Millionen Einwohner hat, 334 Institute - die Vertretungen der Großbanken nicht mitgerechnet. Viele der Häuser konzentrierten sich auf wenige Geschäftsbereiche, sie vergaben Darlehen an bauwillige Unternehmen oder an einkommensschwache Haushalte. Das war hochriskant. Aber an eine Krise dachte damals niemand.

Banken ziehen sich gegenseitig in den Abgrund

Die Georgian Bank, das fünftgrößte Institut des Staates, saß zuletzt auf Immobilienkrediten, die mehr als sechsmal so viel wert waren wie das gesamte Eigenkapital. Ende September musste die Bank Zahlungsunfähigkeit anmelden, die FDIC kostete das 892 Mio. $. Die ersten Pleiten lösten eine Kettenreaktion aus. Während des Booms hatten sich die kleinen Häuser zusammengetan, sie unterstützten sich gegenseitig bei Großkrediten. Die Verflechtung diente als Risikoabsicherung, jetzt ist sie fatal: Die Banken ziehen sich gegenseitig in den Abgrund.

Seelenruhig sah man in der Provinz jahrelang der Entwicklung zu. Keiner gebot Einhalt. Das Department of Banking and Finance in Atlanta steht der dreistelligen Bankenzahl mit gut 60 Mitarbeitern gegenüber. Selbst der Einlagensicherungsfonds schaute lange weg: "Die FDIC hat jede einzelne der Neugründungen genehmigt", sagt Brannen. "Es war nicht schwer, eine Lizenz zu bekommen."

Jede Bankenpleite belastet die FDIC, die Sparguthaben bis 250.000 $ absichert. Intern rumort es gewaltig: Im Juli wurde der ehemalige Regionaldirektor Mark Schmidt zusammen mit drei weiteren Führungskräften aus Atlanta abgezogen. Schmidts Nachfolgerin Doreen Eberley verweigert am Telefon jeden Kommentar.

Brandbrief von der FDIC

Inzwischen greift der Regulierer zu drastischen Maßnahmen, um die Lage in den Griff zu bekommen. Auch stabilere Banken werden in Georgia inzwischen hart rangenommen. Sie müssen faule Kredite abschreiben, höhere Eigenkapitalquoten erreichen, ihre Broker-Einlagen reduzieren, die Kreditvergabe und die Ausschüttung von Dividenden aussetzen - alles innerhalb weniger Tage. Andernfalls droht den Banken der Lizenzentzug.

Mit diesen Forderungen sah sich auch die Douglas County Bank in Douglasville konfrontiert, einem Ort im Speckgürtel Atlantas, mehrspurige Ausfallstraßen mit Fast-Food-Ketten, soziales Brennpunktgebiet. Anfang Januar erhielt Vorstandschef Billy Mayhew einen 15-seitigen Brandbrief von der FDIC. Darin heißt es, sein Institut sei in unsichere und unsaubere Geschäfte verwickelt und habe Gesetze und Vorschriften verletzt. Der Verwaltungsrat sei seinen Aufsichtspflichten nicht nachgekommen, die Strategie des Managements sei schädlich, das Volumen der Problemkredite zu hoch und die Risikovorsorge zu niedrig. Ein Schreiben in vernichtendem Tonfall.

Irreparabler Vertrauensschaden

Als die Finanzdirektorin von Douglasville, Karin Callan, den Brief las, gefror ihr das Blut in den Adern - ihre Gemeinde hatte ihr gesamtes Vermögen dem Institut anvertraut. Gemeinsam mit Bürgermeister Mickey Thompson entschied sie, die 9,4 Mio. $ wieder abzuziehen. "Es war eine harte Entscheidung, schließlich kennt hier jeder jeden", sagt sie. Der Bürgermeister und der Bankchef Mayhew waren seit Jahrzehnten befreundet, nun grüßen sie sich kaum noch auf der Straße.

Das ist möglicherweise die fatalste Folge der Bankenkrise in Georgia: Das Vertrauen in den Finanzsektor schwindet dauerhaft. Nach der Gemeinde holten auch viele Privatkunden ihr Geld von der Douglas County Bank. Die Lokalpolitikerin Callan verteilte das Vermögen sicherheitshalber an zwölf Institute. "Unser Vertrauen in eine Bank wird nie wieder so groß sein wie früher", sagt sie.

Auch gesunde Banken in Gefahr

Bankenchef Mayhew ist noch heute außer sich. "Der Bürgermeister hat eine falsche und unverantwortliche Entscheidung getroffen", sagt er. Er glaubt, dass seine Bank überleben werde, weil sie sämtliche Eigenkapitalvorschriften übererfülle und nicht einmal überschuldet sei.

Die Nerven liegen blank, selbst im fernen Washington. Ende September platzte einem Kongresspolitiker aus Georgia der Kragen. "Ich bin mir nicht sicher, ob die FDIC nicht zu den furchtbaren Problemen beiträgt, die wir haben", giftete Tom Price bei einer Ausschusssitzung. Die überzogenen Entscheidungen in seiner Heimat zerstörten auch gesunde Banken.

FDIC-Chefin Sheila Bair wehrt sich gegen solche Vorwürfe. Die Sorgen und die Dramatik seien ihr schmerzlich bewusst, sagt sie. Doch Georgia sei eben eine boomende Region gewesen, die jetzt an der Immobilienkrise leide. "Die weitläufigen wirtschaftlichen Probleme führen zu den Verlusten."

Die Kunden suchen das Weite

Über das harte Durchgreifen der Regulierer freut sich zumindest einer: William Linginfelter, Georgia-Chef von Regions Financial. Er wünscht sich, dass weitere Banken Insolvenz anmelden. Durch die Übernahme von zwei Pleiteinstituten ist Regions Financial in Georgia seit Beginn der Krise beträchtlich gewachsen. In den Wochen, als die neuen Mitarbeiter integriert werden mussten, hat Linginfelter bis zu 70 Stunden gearbeitet. Auf die Frage, wann er die nächste Bank übernehmen wolle, sagt er: "Am liebsten Morgen."

Aber auch Regions Financial bleibt von der Krise nicht unberührt. Seit das Institut vor einem guten Jahr die Integrity Bank übernommen hat, hat dort jeder vierte Kunde das Weite gesucht. Viele Kunden hätten verängstigt nachgefragt, was mit ihrem Geld passiere, bekennt Linginfelter. Und auch Regions hat einen Kredit von der US-Regierung erhalten und muss deswegen eine verstärkte Mitsprache der Regierung akzeptieren. "Wir würden das Geld gerne zurückzahlen, aber die Entscheidung liegt bei den Regulierern."

Besonders hart trifft es auch in Georgia aber die Hausbesitzer - wie überall. Douglas-County-Bank-Chef Mayhew rühmt sich, schnell mit den Zwangsversteigerungen voran zu kommen. Und der Rechtsanwalt William Brennan von Legal Aid, der Schuldner in Georgia vertritt, kann die zunehmende Härte sehr plastisch belegen: Er hat alle aktuellen Vollstreckungsbescheide ausgedruckt - und nun einen acht Zentimeter dicken Papierstapel vor sich liegen. "So schlimm wie in diesem Monat war es noch nie", sagt er. Wundern tut ihn das nicht. Er erzählt von einem Rentner, der nur 2000 $ im Monat habe, dem aber ein Darlehen von 135.000 $ aufgeschwatzt worden sei.

Ob Georgias Banken aus der Krise gelernt haben? "Alle behaupten, keine Subprime-Kredite mehr zu vergeben", sagt Brennan. "Aber daran habe ich starke Zweifel."

FTD