Zwei Monate vor Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Belgien ist die Regierung unter Ministerpräsident Yves Leterme am Sprachenstreit zwischen Flamen und Frankophonen zerbrochen. Leterme habe den Rücktritt der Regierung eingereicht, doch halte König Albert II. "seine Entscheidung noch offen", erklärte am Donnerstagnachmittag der Palast in Brüssel. Das Parlamentsvotum über ein strenges Burka-Verbot fiel aus.
Am Vormittag erklärte die Partei der flämischen Liberalen Open VLD den Bruch der Regierungskoalition. Grund war der seit Jahren ungelöste Streit zwischen französischsprachigen und niederländischsprachigen Belgiern.
Es ist bereits das dritte Mal, dass der flämische Christdemokrat Leterme den Rücktritt einer Regierung einreicht; einmal lehnte der König aber ab. Am Donnerstag erklärte der Königspalast, eine politische Krise würde "schweren Schaden für Belgiens Rolle auf der europäischen Ebene" anrichten. Belgien übernimmt im Juli den rotierenden Vorsitz im EU-Ministerrat. Das heißt, belgische Minister leiten zum Beispiel die Treffen der Innen- oder Wirtschaftsminister. Daneben bestimmmt die belgische Regierung das Arbeitsprogramm der EU zwischen Juli und Dezember mit.
Auch der neue Posten eines ständigen Präsidenten des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs wird von einem Belgier bekleidet, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Herman Van Rompuy. Seine Wahl war unter anderem damit begründet worden, dass er geschickt Kompromisse auszuhandeln verstehe.
Bis vor Kurzem sei Belgien insgesamt als "Maschine für die Herstellung von Kompromissen" angesehen worden, erklärte die Grünen-Politikerin und Vizepräsidentin des Europaparlaments, die Belgierin Isabelle Durant. Die Krise schade dem Image des Landes. Sie "hallt in den Ohren der Europäer wider wie ein Geständnis politischer Unfähigkeit". Der Ministerpräsident der frankophonen Belgier, Rudy Demotte, nannte die Situation auch in Hinblick auf Belgiens Rolle in der EU "dramatisch".
Im Zentrum des Sprachenstreits steht seit Jahren das Umland von Brüssel. Nachdem immer mehr französischsprachige Belgier in die flämischen Vororte zogen, fürchten Flamen um deren flämischen Charakter. Ein Teil von ihnen will darum die Minderheitenrechte der Frankophonen beschneiden, etwa das Recht auf den Gebrauch des Französischen bei Gericht. Frankophone hingegen kämpfen für eine Eingemeindung flämischer Gemeinden nach Brüssel. Die Hauptstadt ist zwar offiziell zweisprachig, de facto aber vor allem frankophon.
Eigentlich wollte Belgiens Parlament am Donnerstag über ein strenges Burka-Verbot abstimmen. Dieses hätte erstmals in Europa die von manchen muslimischen Frauen getragene Ganzkörperverschleierung weitgehend aus der Öffentlichkeit verbannen können.