Benjamin Netanjahu Hau-Drauf für schlechte Zeiten

Etwas Besseres als Neuwahlen hätte Benjamin Netanjahu kaum passieren können: Die Stimmung in Israel dreht sich zu seinen Gunsten und ein Koalitionspartner steht auch schon fest. Doch der Hardliner, der sich gerne stark und unbeirrbar gibt, wird immer wieder von der profanen Realität eingeholt.

Stärke zeigen - im Nahen Osten zählt das viel. Sehr viel. Eigentlich alles. Einer der Meister in diesem Polit-Genre Israels ist Benjamin Netanjahu, genannt "Bibi". Vor wenigen Tagen 59 Jahre alt geworden, könnte er der lachende Dritte sein, der die geplanten Neuwahlen Anfang 2009 gewinnen wird. Das prognostizieren zumindest die Umfragen - und auch nicht erst seitdem die aktuelle Regierung des glücklosen Ehud Olmert zerbröselt ist. Die Israelis wollen nach Jahren des Lavierens und des Abwägens offenbar wieder jemanden an der Spitze sehen, der großen Worten auch große Taten folgen lässt - einen starken Mann.

So einen wie ihn eben. "Netanjahu - denn das Volk fordert einen Führer" - ist zurzeit einer seiner liebsten Wahlkampfslogans und der Hardliner scheint damit die Gefühlslage seiner Landsleute ziemlich gut zu treffen. Netanjahu war schon einmal Regierungschef, vor fast zehn Jahren. Und es ist nicht so, dass er 1999 glorreich aus dem Amt geschieden wäre - und sich das Land nun aus nostalgischen Gründen für den rechten Hau-Drauf entscheiden würde.

Armut im Land erheblich vergrößert

Schlicht abgewählt wurde er damals - weil unter seiner Führung der Friedensprozess von Oslo zum Stillstand gekommen war. Und weil sein Wirtschaftsliberalismus und Sozial-Kahlschlag die Armut im Land erheblich vergrößert hatte. Die liberale "Jerusalem Post" schrieb damals über ihn: "Durch seinen Starrsinn hat er fast alle verprellt, mit denen er je zu tun hatte - Palästinenser, die USA, seine ultrarechten Anhänger sowie selbst enge Parteifreunde."

Alles vergeben und vergessen? Nicht ganz. Netanjahu mag als schroff gelten, als einer dieser Strippenzieher, die undurchsichtige Manöver in Hinterzimmern ausbaldowern. In der Öffentlichkeit aber, vor allem wenn die Kameras laufen, ist er der schillernde Populist, der durch seine kompromisslose Art nicht wenige Israelis begeistert. Allen voran die Ultrareligiösen und Rechten. Auch wurden während seiner dreijährigen Amtszeit deutlich weniger Attentate durch Palästinenser verübt als zuvor und danach. So etwas kommt an bei einem Volk, das in ständigem Angst- und Ausnahmezustand lebt.

Alles andere als ein Versöhner

Gerade deswegen ist Netanjahu alles andere als ein Versöhner, der den unbedingten Frieden mit den palästinensischen Nachbarn sucht. Der 59-Jährige entstammt einer rechten, zionistischen Familie. Sein Vater, ein Historiker, in Warschau geboren, forderte stets einen jüdischen Staat in biblischen Grenzen beiderseits des Jordan und gab dieses Weltbild an seine Söhne Benjamin und Jonathan weiter. Auch wenn "Bibi" selbst keine großisraelischen Träume mehr hegt, macht er keinen Hehl daraus, dass ihm ein unabhängiges Palästina ein Gräuel ist und Israel die Kontrolle über die besetzten Gebiete behalten müsse.

Im August 2005 trat er als Finanzminister zurück, um damit gegen den Abzug der Israelis aus dem Gazastreifen zu protestieren. "Der Abzug ist ein unverantwortlicher Akt, der eine islamistische Terrorbasis schaffen wird", sagte er damals. Auch wenn die Regierung in Jerusalem damit eine der vielen Forderungen aus der so genannten Roadmap erfüllte, sollte Netanjahu mit seiner Befürchtung Recht behalten: Seit der Autonomie des schmalen Mittelmeerabschnitts werden von hier aus die israelischen Grenzorte Sderot und Aschkelon nahezu täglich mit selbstgebauten Raketen beschossen. So hatten die Abzugsbefürworter natürlich nicht gewettet.

Nun ist es nicht so, dass der Hardliner Netanjahu solche Befürchtungen gedankenlos aus der Hüfte schießen würde, nur weil sie ihm ins politische Kalkül passten. Der Mann ist einer der führenden Terrorexperten Israels und Autor diverser Bücher zu diesem Thema. Nach seinem Studium in den USA, wo er später sein Land auch als Diplomat repräsentierte, gründete er Mitte der 1970er Jahre in Jerusalem das "Jonathan Institute" (benannt nach seinem in Uganda gefallenen Bruder) - eine Einrichtung, die sich der Erforschung des Terrors widmet. Auch deswegen gilt der 59-Jährige als einer der gefragtesten Politiker des Landes.

Doch so unnachgiebig er sich auch gegenüber den Palästinensern zeigt, so wechselhaft agiert er im Tagesgeschäft. Anfang der 1990er Jahre versuchten die USA, Israel und Palästinenser unter dem Motto "Land für Frieden" den Annährungsprozess der Nachbarn voranzubringen. Netanjahu aber polemisierte kompromisslos gegen die Losung, lehnte den in der Grundsatzerklärung von 1993 vereinbarten Rückzug der Israelis aus Jericho und Gaza sowie einen Friedensvertrag mit Jordanien rigoros ab.

Noch so eine Ironie: Auf Druck der USA und des Westens aber stimmte er als Regierungschef 1997 dann doch einem Rückzug Israels aus Teilen des Westjordanlandes zu, unter anderem aus der Stadt Hebron. Nicht aber ohne vorher noch den Stopp des Siedlungsbaus in den Palästinensergebieten aufzuheben und damit die Verbündeten zu brüskieren.

Dieser Benjamin Netanjahu also hat bei den kommenden Neuwahlen gute Chancen sein Comeback als Regierungschef zu feiern. Dazu bräuchte sein Likud-Block nicht einmal die Mehrheit aller Stimmen - denn offenbar hat er sich bereits die Unterstützung einer der potenziellen Koalitionspartner gesichert - der Schas-Partei, den Vertretern der Ultraorthodoxen, an denen in der zersplitterten politischen Landschaft Israels kaum einer vorbeikommt, wie nun auch Zipi Livni spüren musste: Um als Nachfolgerin des Noch-Premiers gewählt zu werden, brauchte sie die Stimmen der Fundamentalisten.

Als Preis für den Eintritt in die Regierung hatten sie die Erhöhung des Kindergelds um mehr als 200 Millionen Euro gefordert, doch Livni winkte ab. Sie hätte 120 Millionen geboten, aber in wirtschaftlich heiklen Zeiten wie diesen, sei es ihr unmöglich, den Staatshaushalt noch weiter zu belasten. Zudem, so die Noch-Außenministerin, lasse sie sich nicht erpressen, "nur um neue Ministerpräsidentin zu werden".

Netanjahu aber scheint durchaus bereit zu sein, der Schas-Partei eben jene Summe zu genehmigen - trotz seiner bislang so straffen Haushaltsführung, wie es in Jerusalem heißt. Und angeblich habe Netanjahu hinter verschlossenen Türen zusammen mit den Ultrareligiösen gedealt, dass sie die Verhandlungen mit überzogenen Forderungen platzen lassen sollen, um Neuwahlen zu provozieren. Dass er selbst es war, der einst Sozialleistungen wie das Kindergeld zusammenstreichen ließ, ist eine weitere Ironie in der Geschichte im Leben des Benjamin "Bibi" Netanjahu.