Ein neuer Tag in der Downing Street – und ein weiterer Teil aus der Serie "Dinge, die Boris Johnson im Lockdown lieber gelassen hätte". Gerade erst musste der britische Premierminister kleinlaut zugeben, dass einige seiner engsten Mitarbeiter trotz strenger Corona-Maßnahmen vergangenes Jahr eine Weihnachtsfeier veranstaltet hatten. Nun enthüllen neue Medienberichte, dass Johnson bereits im ersten Lockdown bei einer weiteren Party zu Gast war.
Eine Runde von 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern soll sich am 15. Mai 2020 nach einer Pressekonferenz bei Wein und Pizza im Garten der Downing Street vergnügt haben. Nach einer gemeinsamen Recherche der britischen Zeitungen "Guardian" und "Independent" soll der Premier selbst etwa eine Viertelstunde geblieben sein. Er habe gesagt, die Leute hätten sich einen Drink verdient, weil sie das Coronavirus "zurückgeschlagen haben". Die Gartenparty ging demnach bis spät in die Nacht.
Boris Johnson wohl nur kurz bei Feier geblieben
Dabei galten in ganz Großbritannien zur Zeit des ersten Lockdowns noch strikte Kontaktbeschränkungen. Laut Vorschrift durften sich nur zwei Personen aus verschiedenen Haushalten draußen im Abstand von zwei Metern treffen. Noch am frühen Abend der besagten Gartenfeier hatte der damalige Gesundheitsminister Matt Hancock die Bevölkerung aufgefordert, "so viel wie möglich zu Hause zu bleiben" und sie gebeten, "die Regeln einzuhalten, auf ihre Familie zu achten und kein Risiko einzugehen".
Worte, die zynisch klingen, wenn man bedenkt, dass der Gesundheitsminister selbst nur wenige Stunden später zu der als "feierlich" beschriebenen Runde in der Downing Street dazu gestoßen sein soll.
Konfrontiert mit den Vorwürfen sagte Johnsons Sprecher, dass Mitarbeiter den Garten regelmäßig für Besprechungen genutzt hätten. An jenem Tag habe der Premierminister nach einer Pressekonferenz "einige Meetings im Garten, darunter mit dem damaligen Gesundheitsminister und dessen Team", gehabt. Johnson sei kurz nach 19 Uhr in seine Residenz zurückgekehrt, eine kleine Zahl an Mitarbeitern sei noch geblieben.
Doch die Lockdown-Gartenparty ist nur das jüngste Beispiel einer wachsenden Reihe an Berichten über Regelverstöße im britischen Amtssitz. Insbesondere die Schilderungen von mehreren Weihnachtsfeiern mitten im Corona-Lockdown im vergangenen Winter sorgen für helle Empörung. An einer soll Johnson selbst als Quizmaster teilgenommen haben.
Die von den Medien öffentlich gemachten Ereignisse, zeigen, dass sowohl hochrangige Politiker als auch der Premier höchstpersönlich über Monate hinweg die eigenen Regeln missachtet haben könnten.
Klatsche für Johnsons Partei in Tory-Hochburg
Die neuen Feier-Vorwürfe kommen für Johnson zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Gerade erst hat seine konservative Partei bei einer Unterhaus-Nachwahl eine schwere Schlappe erlebt – und das ausgerechnet in einer Tory-Hochburg. Im ländlichen Wahlkreis North Shropshire in Mittelengland ging das sicher geglaubte Mandat an die Liberaldemokratin Helen Morgan, wie am Freitag bekannt wurde.
Demnach sicherte sich Morgan 47 Prozent der Wahlstimmen und lag damit knapp 6000 Stimmen vor dem konservativen Kandidaten. Die Wähler hätten eine klare Botschaft an Johnson gerichtet: "Die Party ist vorbei", jubelte die Liberaldemokratin nach ihrem Wahltriumph. "Ihre Regierung, die von Lügen und Prahlereien geleitet wird, wird nun die Rechnung begleichen müssen."
Auch der Grund für die Nachwahl in North Shropshire rückt den Premier und seine Partei in ein schlechtes Licht. Wegen einer Lobbyismus-Affäre musste der dortige konservative Abgeordnete Owen Paterson nach gut 24 Jahren im Parlament zurücktreten. Johnson hatte sich Anfang November in die Affäre eingeschaltet und versucht, ein Disziplinarverfahren gegen den Tory-Abgeordneten zu stoppen – musste dann aber angesichts der Empörung in den eigenen Reihen einen Rückzieher machen.
Premier gerät immer weiter unter Druck
Die Wahlschlappe gegen die europafreundlichen Liberaldemokraten lässt den parteiinternen Druck auf den Premierminister weiter steigen. Johnson, der vor zwei Jahren mit seinem Brexit-Versprechen gewählt wurde, sieht sich nun wachsender Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt.
Als wäre das nicht schon genug, breitet sich aktuell die höchst ansteckende Omikron-Variante auf der Insel aus und lässt die Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellen. Allein am Donnerstag wurden mehr als 88.000 neue Corona-Fälle registriert.
Nach den Lockdown-Partys und mutmaßlichen Regelverstößen von Johnson und seiner Regierung könnte nun die sich zuspitzende Corona-Situation das Fass zum Überlaufen bringen. Am Dienstag stellten sich bereits fast hundert Tory-Abgeordnete gegen den Regierungschef, indem sie gegen die neuen Corona-Auflagen der Regierung stimmten.
Johnson muss nun zusehen, dass er schnell wieder an Vertrauen gewinnt und die Omikron-Welle in den Griff kriegt. Ansonsten könnte der Premier diesmal zu Weihnachten eine Parteirevolte bekommen.
Quellen: "Guardian", "Independent", mit AFP-Material