Wenn die Sonne scheint, kann es in Masar-i-Scharif schon mal 14, 15 Grad warm werden. Nachts aber rauschen die Temperaturen um diese Jahreszeit deutlich unter den Gefrierpunkt. Wer dort, im Norden Afghanistans, frühmorgens Dienst schieben muss, wäscht sich schon mal mit eiskaltem Wasser aus der Flasche, weil die Leitungen zugefroren sind. "Am Nachmittag eröffnet der General den Weihnachtsmarkt. Es gibt Glühwein, doch an die Ein-Becher-Regelung hält sich niemand. Glühwein in afghanischer Kulisse und Soldaten in Flecktarn mit Zipfelmütze sind einfach Ausnahmezustand." So beschreibt ein deutscher Stabsoffizier im Magazin der Süddeutschen Zeitung die Adventszeit am Hindukusch.
Die Beilage der Tageszeitung aus München gewährt in ihrer aktuellen Ausgabe ungewohnte Einblicke in die Gefühlslage der deutschen Soldaten in Afghanistan. Dutzende von Briefen, Mails und SMS liegen dem "SZ-Magazin" vor, aus denen eine eindringliche Collage entstanden ist - abseits offizieller Verlautbarungen und einstudierter Gesten fernsehtauglicher Rekruten. Offenbar war das Bild, das auf diese Weise vermittelt wird, der Bundeswehrführung nicht geheuer. Nach Angaben des Magazins soll die Armee versucht haben, das Erscheinen des Heftes zu verhindern. Auszug einer Rundmail der Bundeswehr an die Soldaten: "Ziel (...) ist es, den Lesern einen möglichst realistischen Einblick in den Alltag des deutschen Kontingents zu geben. PrInfoStab hat entscheiden, dieses Vorhaben nicht zu unterstützen." Die Autoren fragen zu Recht: "Uns ist nicht klar, inwiefern das Ziel, 'einen möglichst realistischen Eindruck in den Alltag (...) zu geben', nicht vereinbar mit den Interessen des Militärs eines demokratischen Landes sein kann."
"Der Hilfseinsatz entwickelt sich zum Krieg"
Es ist bereits das achte Weihnachtsfest, das Bundeswehrsoldaten in Afghanistan verbringen. Seit 2002 sind sie im Rahmen der Isaf dort stationiert. Und was zu Beginn noch als Stabilisierungs- und Aufbaueinsatz geplant war, entwickelt sich zunehmend zu einem echten Krieg, auch wenn sich die Politik in Berlin scheut, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Nach dem umstrittenen Bombardement auf zwei Tanklaster im September, das vom deutschen Oberst Georg Klein angeordnet wurde und dessen genaue Hintergründe nun in einem Untersuchungsausschuss geklärt werden müssen, hat auch in der Öffentlichkeit die Diskussion über die Qualität des Afghanistan-Einsatzes begonnen.
Angesichts der Frage, ob die Deutschen am Hindukusch nun einen Krieg führen, wirkt die Einstiegssequenz eines Videos auf der Webseite der Bundeswehr wie eine eindeutige Stellungnahme. Zu sehen ist ein Supermarktregal im Feldlager, die Kamera hält auf eine Verpackung, auf dem zunächst Plastiksoldaten zu sehen sind, dann das Wort "Wars" (Kriege) und schließlich der ganze Karton. Er enthält Star-Wars-Lego-Spielzeug. Freilich, der 100 Sekunden lange Film dreht sich um das Thema Feldpost, die jetzt kurz vorm Fest besonders viel zu tun hat - glaubt man der vom "SZ-Magazin" eingesammelten Korrespondenz, dann ist die Lage vor Ort eindeutig: "An manchen Tagen nehmen Isaf und OEF etliche Aufständische fest oder töten sie, aber dank des riesigen Nachschubs an zornigen jungen Männern aus den Koranschulen Pakistans (...) gehen uns die Gegner nicht aus", schreibt ein 40-jähriger Stabsoffizier. Der Militärarzt Jens Weimar stellt fest: "Insgesamt hat der Isaf-Einsatz in Kundus nur noch wenig von einem Hilfseinsatz, sondern mehr von einen (asymmetrischen) Krieg. Wenigstens alle drei Tage passiert etwas." Und: "Spätestens nach dem zweiten Bunkeralarm entwickelt auch der größte Philantrop blutige Rachegelüste."
Weihnachten mitten in einem gefühlten Krieg
Mitten in diesem gefühlten Krieg, 5000 Kilometer von Heimat und Familie entfernt, steht nun das Fest an. "Zu Weihnachten hängt man doch schon ein bisschen durch und es ist recht still im Lager, da alle in Gedanken zu Hause sind. Da es aber keine Feiertage oder freie Tage hier gibt, bleibt auch nicht viel Zeit zum Nachdenken", schreibt der 27-jährige Rolf Schmitz.
Frank Eggen, Hauptfeldwebel und Mitarbeiter der katholischen Militärseelsorge, betreibt die Internetseite "Angriff auf die Seele", die sich an Soldaten richtet, die unter dem Posttraumatischen Belastungssyndrom leiden. Seit einigen Wochen können dort Bundeswehrangehörige Video-, Audio- und Textbotschaften an Soldaten posten, die die Feststage im Ausland verbringen. Bislang haben sich dort nur wenige Grüße eingefunden. Ulrich Kirsch vom Deutschen Bundeswehrverband etwa wünscht seinen Kameraden alles Gute zu Weihnachten, nicht ohne auf die besondere Situation in Afghanistan einzugehen, in der sich die Bundeswehr dort seit einiger Zeit befindet. Einer der wenigen Privatbeiträge ist eine mit adventlicher Musik untermalte Collage von Uwe und Simone mit dem Titel "Weit, weit weg".
Bloß diesen Tag nicht nüchtern überstehen müssen
Die Bundeswehr selbst umsorgt die Weihnachtskrieger am Hindukusch mit allerlei heimatlichen Zutaten: Christbäume werden eingeflogen, evangelische und katholische Andachten abgehalten, es gibt Krippen, Adventskränze, Festtagsessen, Pakete aus der Heimat, kleine Aufmerksamkeiten von Arbeitgeber, warme Worte, Kekse, Schokolade und Glühwein. "Weihnachten am Hindukusch. Ziel ist wohl bei allen", so Stabsoffizier Lars Stock, "diesen Tag nicht nüchtern überstehen zu müssen."