Das letzte Polizeifoto von Edward Duling, aufgenommen im Dezember 2015, zeigt einen jungen Schwarzen mit markantem Gesicht und dünnem Oberlippenbart. Gelangweilt blickt er in die Kamera, als wären solche Fotos von ihm schon unzählige Male gemacht worden, als sei die Prozedur pure Zeitverschwendung, als würde das zu erwartende Gerichtsverfahren und die daraus folgende Haftstrafe ohnehin nichts ändern. Nichts an ihm, nichts an seiner Situation, nichts an seinen fehlenden Möglichkeiten, ein anderes, ein besseres Leben zu führen.
Der gefährlichste Stadtteil der USA
Unter dem Foto ist als besonderes Kennzeichen vermerkt: vernarbte Schusswunde am linken Fußgelenk. Außerdem: Vorstrafe wegen Drogenhandels, Körperverletzung, Autodiebstahls mit Waffengewalt, Flucht aus Polizeigewahrsam.
Als sich der stern mit Duling zum Interview verabredete, wäre er in wenigen Tagen 30 geworden. Er wollte über sein Leben in der South Side von Chicago berichten, über ein Leben im gefährlichsten Stadtteil Amerikas.
Vergangenes Jahr wurden in der Metropole mehr als 650 Menschen erschossen, erstochen, erschlagen. 2016 fast 800. Nirgendwo in den USA werden mehr Menschen ermordet. Hier wuchs Edward Duling auf, in einem Gebiet von den Ausmaßen einer deutschen Kleinstadt, aber mit 750.000 Einwohnern, geprägt von grauen Apartmentblocks, heruntergekommenen Einfamilienhäusern und zahllosen Gebäuden, die seit Jahrzehnten leer stehen.
Doch zum Interview mit Edward Duling kam es nicht mehr. 16 Stunden vor dem vereinbarten Treffen wurde er erschossen.
Der Parkplatz an der Ecke 79. Straße und South Chicago Avenue ist spärlich beleuchtet, in der Mitte sind Reste einer Blutlache zu erkennen, Dulings Blut. Gegenüber liegt das ehemalige Avalon Theater, in dem früher James Brown, Ray Charles und Billie Holiday auftraten, als Chicagos South Side noch Vorzeigegegend einer aufstrebenden schwarzen Mittelschicht war. Heute sind Fenster und Türen zugenagelt, und für die gut 30 jungen Männer und Frauen, die sich auf dem Parkplatz versammelt haben, wirkt die Vorstellung, dass hier einmal die Bühne eines anerkannten kulturellen Lebens stand, wie ein Märchen aus einer anderen Welt.
Rache und Rap. Liebe und Tod
Rap-Musik wummert aus den Boxen ihrer Autos, Rum- und Whiskey-Flaschen werden umhergereicht, es riecht nach Marihuana. Auf einem Betonklotz neben der getrockneten Blutlache sitzt ein Teddybär, davor ein Schriftzug aus Teelichtern, "R.I.P. Red Bird" und daneben: "079". Red Bird, das war Edward Dulings Spitzname, 079 – so heißt seine Gang, benannt nach der Straße, aus der sie stammt.
"Dieser Mord wird gerächt werden", versichert Dulings Cousin Jonathan. Er hat seine Baseballkappe ins Gesicht gezogen und bohrt die Hände in die Taschen seiner Jeans. "Wir hatten gerade zusammen ein Plattenlabel gegründet. Eddie war ein guter Rapper, er hatte Zukunft. Wir dachten, wir schaffen es hier raus." Jonathan geht zu seinem silbergrauen Dodge, um "Red Birds" letzten Song zu spielen. Es geht um "Nigga", um "Guns", um Liebe und um Tod: "Ich komme aus Chicago, wo die Mädchen R.I.P.-T-Shirts tragen."
Gut möglich, dass die Gang längst weiß, wer Duling umgebracht hat. Aber das würden sie einem Fremden gegenüber nie zugeben und noch weniger gegenüber der Polizei. Auf den Straßen Südchicagos herrscht die Omertà, das Gesetz des Schweigens: Schlimmer, als jemanden zu ermorden, ist es, jemanden zu verraten. "Auf jeden Fall war es etwas sehr Persönliches", sagt die 19-jährige Sierra, "sonst hätten sie ihn nicht so getötet. Vier Schüsse ins Gesicht. Fuck! Wer tut so was?"
Es geht um Aufmerksamkeit
Eine rhetorische Frage. Jeder, der in South Chicago bereit ist, einen Mord zu begehen, ist bereit, es so brutal zu tun. Es geht nicht nur ums Töten, es geht darum, Aufmerksamkeit zu erregen, ein Zeichen der Stärke zu setzen in einer Umgebung, die jungen Menschen keine andere Chance bietet, als sich durch Gewalt zu beweisen. Es finden sich leicht Videos von Schießereien aus der South Side im Internet, sogar "Best of"-Zusammenschnitte gibt es.
Etwas abseits der Trauerfeier für Duling steht ein schlanker junger Mann im Trainingsanzug, er fällt auf, weil er nicht trinkt. Chris und Edward sind zusammen aufgewachsen, bis Chris 30 Blocks nach Westen zog. 30 Blocks, das ist in einer Welt, wo Gangs ihre Territorien nach Straßen festlegen, wie auf einen anderen Kontinent zu ziehen. Deshalb sahen sie sich zuletzt nur noch selten. Ein Freund hatte Chris gestern Nacht angerufen. Als er am Tatort eintraf, wurde Edwards Leiche gerade abtransportiert.
"Es ging wohl um Drogen", erzählt Chris. Das Gerücht geht um, ein Typ hätte vor ein paar Wochen bei Eddie Gras gekauft und sich dann über die Qualität beschwert. Eddie habe gesagt, er soll sich verpissen. "Das gestern könnte die Rache gewesen sein." Chris zieht an seiner Zigarette. "Es sind keine großen Sachen, wegen derer du hier umgebracht wirst. Kleinscheiß meistens. Es reicht, wenn du jemanden schräg anschaust." Die meisten hätten nichts anderes zu tun, als in ihren Gangs rumzuhängen, Drogen zu nehmen und zu saufen. "Gang Banging" wird es genannt, wenn die Gruppen dann losziehen, um Leute in den Straßen abzuzocken oder sich mit rivalisierenden Banden Gefechte zu liefern. "Schon als Teenager wollen alle Gangster werden", sagt Chris, "Gangster oder Rapper."
"Starbucks" bei den Wohlhabenden
Den gesellschaftlichen Status eines Viertels zu erkennen ist einfach in den USA: Wo die Wohlhabenden leben, gibt es "Starbucks" , bei den Armen "Dunkin' Donuts". In den meisten Vierteln der South Side gibt es weder das eine noch das andere. Am King Drive schloss vor einigen Jahren sogar ein McDonald's wegen ständiger Schießereien. "Wenn McDonald's dichtmacht, dann bedeutet das: Hier ist die Hölle", sagt ein Streetworker.
Jenseits eines schmalen Streifens entlang des Ufers zum Lake Michigan, wo die South Side noch ein paar gutbürgerliche Enklaven hat, sieht man kaum noch Geschäfte, nicht mal Supermärkte, nur Liquor-Stores, vor denen sich nachts Menschentrauben bilden und wo hinter Scheiben aus Panzerglas Wein und Schnaps verkauft werden. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei mehr als 70 Prozent. 2013 wurden im Rahmen einer sogenannten Bildungsreform Dutzende Schulen geschlossen, um sie in größeren, finanziell besser ausgestatteten Schulzentren zusammen zufassen. Die Stadt glaubte, so für mehr Sicherheit auf den Schulhöfen sorgen zu können.
Stattdessen wurden die längeren Schulwege für die Jugendlichen zum Spießrutenlauf. Die Lokalmedien gaben Sicherheitstipps: Nicht allein gehen, aber auch nicht in Gruppen, sonst könnte man für eine Gang gehalten werden. Am besten in lockerem Abstand laufen, sodass man sich gegenseitig im Auge hat.
Rache für irgendwas
"Gewalt gehört hier zum Leben wie Zähne putzen", sagt Chris auf dem Parkplatz an der 79. Straße. Er selbst hat schon zwei Kugeln abbekommen. "Eine ins Bein, eine in den Hintern. Sie kamen mit einem Transporter angefahren und haben das Feuer eröffnet." Warum? Chris zuckt die Achseln. "Rache für irgendwas." Auch seinen Bruder hat Chris verloren, es war einer der wenigen Fälle, die es in die Zeitung schafften, weil es ihn genau vor seiner Schule, der George Washington Highschool, erwischte. Und weil die Täter ausnahmsweise geschnappt wurden.
Der Parkplatz wird mit jeder Stunde voller. Und mit jeder Stunde wird die Stimmung gereizter. Schwere weißblaue Geländewagen der Chicago Police rollen langsam vorbei, aber kein Beamter steigt aus, um mit den jungen Männern und Frauen zu reden. "Die interessieren sich einen Scheiß für uns", sagt Sierra, "die denken: Sollen sich die Nigger doch gegenseitig umbringen." Auf den Einwand, dass viele Polizisten selbst Schwarze sind, erwidert sie: "Die küssen doch nur weiße Ärsche."
Die Aufklärungsquote bei Mord liegt in Chicago bei unter 30 Prozent. Die Polizei hat kapituliert. Gestern Nacht dauerte es 40 Minuten, bis Streifenwagen und Notarzt am Tatort eintrafen, dabei liegt die Polizeistation keine zwei Meilen entfernt. Interviews zu dem Thema gibt das CPD, das Chicago Police Department, kaum noch. Nur ein ehemaliger Detective, der einst in der South Side geboren wurde und heute im sicheren Norden der Stadt wohnt, ist bereit zum Gespräch.
"Viele Polizisten fürchten selbst um ihr Leben" , erklärt der schwarze Ex-Officer. Er sitzt vor einem Espresso bei Starbucks. "Außerdem haben viele Angst, in eine Schießerei verwickelt zu werden und dann als Killer-Cop in den Schlagzeilen zu landen. Alle sind froh, einen Job zu haben, bei dem sie 80.000 Dollar im Jahr verdienen. Das will keiner riskieren. Machen wir uns nichts vor: Manche von den Cops da draußen hätten auch auf der anderen Seite des Gesetzes landen können."
Chicagos Polizei in Verruf
Jeder in Amerika hat schon mal vom Van-Dyke-Video gehört. Es wurde 2014 von der Videokamera eines Streifenwagens aufgenommen und zeigt einen jungen Schwarzen, der mit einem Messer in der Hand eine Straße entlangläuft, ein Streifenwagen schneidet ihm den Weg ab, dann springt ein Officer heraus, Jason Van Dyke, und eröffnet das Feuer. Van Dyke tötete den Jungen mit 16 Schüssen, selbst als der Junge schon am Boden lag, feuerte er noch, auf dem Video sieht man, wie der Körper bei jeder Kugel zuckt. Der Fall, dessen Verfahren bis heute nicht abgeschlossen wurde, ist nur einer von vielen, die Chicagos Polizei in Verruf gebracht haben.
Als Konsequenz ordnete das CPD 2016 erstmals an, seine 12 500 Beamten zum Deeskalations-Training zu schicken. "Doch viele betrachten das als Zeitverschwendung", sagt der Ex-Detective bei Starbucks. "Es dauert mindestens eine Polizistengeneration, bis sich eine solche Kultur durchsetzt."
Zwar ist Chicago nicht die einzige US-Großstadt mit einer schockierenden Mordrate, umgerechnet auf die Einwohnerzahl sind Baltimore und Detroit noch gefährlicher, doch in Chicago explodierte die Anzahl der Morde geradezu: plus 59 Prozent zwischen 2015 und 2016. Anders als New York oder Los Angeles, die eine ähnliche Bevölkerungsstruktur haben, hat Chicago sein Gewaltproblem über Jahrzehnte ignoriert. "New York gibt das Fünffache für Sozialprojekte in Problem vierteln aus", erklärt Karen Volker von der Non-ProfitOrganisation "Cure Violence" (Heilt die Gewalt). Den Erfolg würden die Zahlen belegen: 2017 verzeichnete Amerikas größte Stadt weniger als 300 Morde.
Cure Violence arbeitet landesweit und gilt als sehr erfolgreich. Die Organisation bildet ehemalige Gang-Mitglieder zu Krisenmanagern aus. Sie werden zu Angehörigen und Opfern in Krankenhäuser geschickt, mit dem Ziel, Racheakte im Keim zu ersticken. Nach einer Studie des New Yorker John Jay College of Criminal Justice gelingt dies in 30 Prozent der Einsätze. Das Projekt wurde früher auch aus Washington unterstützt. Doch seit Trump regiert, so der Streetworker Ulysses Floyd, gebe es nur noch Geld für mehr Polizei und mehr Waffen. Im Wahlkampf hatte Trump gar angekündigt, die Nationalgarde nach Chicago zu schicken.
Cure Violence
Eine Ewigkeit im Knast "Solche Ankündigungen provozieren nur" , meint Floyd. Er ist ein kleiner bulliger Schwarzer mit Rastalocken, auf die 70 geht er zu, seit 13 Jahren arbeitet er für Cure Violence. Sein schlichtes Büro, eingerichtet mit alten, dunklen Holzmöbeln, liegt inmitten der South Side. "Ich war Dealer, Gang-Mitglied, Gang-Leader und saß eine Ewigkeit im Knast." An der Wand hinter ihm hängt ein Stadtplan seines Einsatzgebiets. Es umfasst die Viertel South Shore, Woodlawn und einen Teil Englewoods, das auch "Stranglewood" genannt wird. 93 Prozent der Bevölkerung sind schwarz. In jedem Straßenblock stecken kleine Fähnchen mit den Namen der Gangs, die sie beherrschen, die "Vice Lords", die "Mickey Cobras", jeder Block ein anderer Name. Über die ganze South Side verteilt sind es Hunderte. "Niemand kann sie kontrollieren", sagt Floyd.
Bis Mitte der 90er Jahre wurde Chicagos Unterwelt von einer Handvoll Gangs beherrscht. Zu den größten gehörten die "Vice Lords" und die "Gangster Disciples" mit jeweils mehr als 30.000 Mitgliedern. Die Vice Lords machten allein mit Drogengeschäften 100 Millionen Dollar Umsatz pro Jahr. Ihr Reich waren Sozialbauten wie die berüchtigten "Robert Taylor Homes", 28 Betonblocks, in denen an die 27 000 Menschen lebten. Jede Gang hatte einen mächtigen Boss, der für klare Strukturen sorgte. Der mächtigste von allen war Larry Hoover von den "Gangster Disciples", mit dem Floyd lange im Gefängnis saß.
1995 holte Chicagos Polizei zum ultimativen Schlag gegen die Gangs aus: "Operation Headache". 39 Gang-Bosse wurden auf einen Schlag verhaftet und angeklagt. Hoover, heute 67, bekam sechsmal lebenslänglich. "Mit einem Mal waren Tausende Ganoven führungslos", erklärt Floyd. "Sie schlossen sich zu kleinen Gangs zusammen, die sich immer wieder zerstritten und teilten. Es gab ja keine Strukturen mehr. Heute haben wir es oft nur mit Cliquen zu tun."
Noch schlimmer aber wirkte sich die Entscheidung der Stadtoberen aus, die Sozialwohnungsblocks, in denen die Gangs herrschten, zu schließen. Bis Mitte der 2000er Jahre wurde der Großteil der Bewohner in den Süden der Stadt umgesiedelt, wo sich gerade erst eine schwarze Mittelschicht entwickelte, die Konzerte und Theater besuchte und Wert darauf legte, dass ihre Kinder in gute Schulen gingen. Auch Michelle Obama wuchs in der South Side auf. Keine fünf Minuten von dem Parkplatz entfernt, wo Jahrzehnte später Edward Duling starb, ging sie zur Schule, und ganz in der Nähe, in der Trinity United Church, wurden sie und Barack Obama getraut.
Seit jener Zeit wurden immer mehr gewaltbereite, führungslose Kleinganoven über die Gegend verteilt und dominierten mit ihrer Gangsterkultur die Straßen. Wer es sich leisten konnte, zog fort, wer nicht, wurde Opfer der Verrohung. "Die Waffen wurden mehr und billiger" , sagt Streetworker Floyd. Heute könne man eine Glock oder kleinkalibrige Smith & Wesson schon für unter 100 Dollar kaufen. Sie kommen aus dem Nachbarstaat Indiana, wo im "Gun Store" die Vorlage des Führerscheins genügt. Die Jugendlichen aus Chicagos South Side posieren auf ihren Facebook-Seiten wie selbstverständlich mit Waffen. Auch Edward Duling postete kurz vor seinem Tod ein Foto mit einer Schnellfeuerpistole. "Jagdsaison eröffnet" , stand darunter.
"Was fehlt ist eine Zukunft"
Manchmal besucht Michelle Obama die South Side, um mit Schülern zu diskutieren. Und irgendwann soll am Nordrand das "Obama Presidential Center" entstehen, "eine Begegnungsstätte für Bürger" mit Bibliothek und Sportplatz. "Doch was den Jugendlichen wirklich fehlt, ist eine Zukunft", sagt der katholische Pastor Michael Pfleger. Er ist der einzige Weiße im Umkreis von Kilometern, ein hagerer Mann, dessen Stimme einen scharfen anklagenden Ton annehmen kann. Seine St.-Sabina-Kirche liegt einen Block entfernt von der berüchtigten 79. Straße. Im Garten steht ein Glaskasten mit den Fotos aller getöteten Gemeindemitglieder, über hundert sind es, auch das Porträt von Pflegers schwarzem Adoptivsohn Jarvis Franklin hängt dort. Mit 16 starb er im Kreuzfeuer zweier Gangs, während der Vater in der Kirche ein Paar traute.
Das System des Scheiterns Pfleger hat Hunderten jungen Männern geholfen, ein neues Leben zu beginnen, ihnen Jobs besorgt. Nur Bildung und Arbeitsplätze könnten die Situation ändern, sagt er. Außerdem fordert er soziale Förderprogramme in den Gefängnissen. Es reiche nicht, die Männer nach der Haft mit einer Busfahrkarte, 20 Dollar und dem Ratschlag "Sei ein guter Mensch" auf die Straße zu schicken. "Das ganze System ist dafür geschaffen, dass diese Menschen scheitern."
Wem Pfleger hilft, den fragt er nicht nach seinen Taten. "Vielleicht war sogar der Mörder meines Sohnes darunter." Die Schwarzen verehren "Father Michael" , viele Weiße verachten ihn. Wenn er am Wochenende ins Einkaufszentrum fährt, wird er manchmal angespuckt. Oder als "Wigga", weißer Nigga, beschimpft. Die Weißen, sagt Pfleger, würden immer fragen, warum sich die Schwarzen gegenseitig umbringen. Warum sie keine Achtung vor sich selbst haben. Dann antwortet Pfleger: "Weil unsere Gesellschaft ihnen täglich zeigt, dass sie nichts wert sind. Wie sollen sie dann selbst etwas anderes glauben?"
"Niemand kann vor seiner Herkunft fliehen."
Um den Parkplatz an der 79. Straße haben sich jetzt vier Streifenwagen postiert. Es geht auf Mitternacht zu, vor 24 Stunden wurde Edward Duling erschossen. Die Polizisten observieren das Geschehen aus der Entfernung, sie sind vorbereitet auf eine wilde Nacht. Doch es bleibt ruhig.
Jonathan zeigt ein paar Fotos von seinem toten Cousin. Auf einem ist Duling mit vier kleinen Jungen zu sehen, der jüngste sitzt auf einem Dreirad. "Edwards Söhne", sagt Jonathan. "Sie sind schlau. Sie werden es einmal besser haben." Ob er ernst meint, was er da sagt? Jonathan zuckt die Schultern. "Wir wollen alle hier raus. Davon träumen wir. Dafür kämpfen wir. Doch am Ende landest du immer da, wo du herkommst. Wer hier lebt, lernt: Niemand kann vor seiner Herkunft fliehen."
