In der berühmten Vilakazi Street in Johannesburg herrscht ausgelassene Stimmung. "Ich freue mich sehr, weil ich noch lebe", sagt eine Frau in einem Bericht des US-amerikanischen Fernsehsenders CNN. Viele Südafrikaner feiern die zurückkehrende Normalität und zeigen sich optimistisch angesichts der abflachenden Omikron-Welle.
Anfang der Woche verkündete die Regierung die meisten Corona-Maßnahmen abzuschaffen. Die Schulen kehren zum normalen Unterricht zurück. Quarantänezeiten für Infizierte und deren Kontaktpersonen werden verkürzt, wer keine Symptome hat, muss sich überhaupt nicht mehr isolieren. Einzig die Maskenpflicht sowie allgemeine Hygieneregeln bleiben bestehen – und auch Forderungen nach der Abschaffung der letzten Beschränkungen werden lauter.
Mehrheit der Bevölkerung hatte bereits eine Corona-Infektion
Das war nicht immer so. Südafrika gilt als das zahlenmäßig am stärksten von der Corona-Pandemie betroffene Land auf dem afrikanischen Kontinent. Die ersten drei Infektionswellen waren heftig und forderten viele Todesopfer – seit dem Ausbruch der Pandemie gab es mehr als 95.000. Doch mit Omikron wurde vieles anders: Die Betten, die Krankenhäuser aus Befürchtung vor vielen Neueinweisungen in der vierten Welle bereitgestellt hatten, blieben leer. Die damals neue Variante verbreitete sich von der Provinz Gauteng aus im ganzen Land. Die Regierung zeigte sich souverän, erließ keine drastischen Einschränkungen – und behielt recht.
Begründet wurden die jüngsten Lockerungen unter anderem mit dem Impfniveau. Doch der Anteil vollständig Geimpfter liegt nach Angaben der Gesundheitsorganisation der Afrikanischen Union gerade mal bei rund 28 Prozent. Was Südafrika neben der sehr jungen Bevölkerung jedoch von europäischen Ländern unterscheidet: Laut mehrerer Studien sind bereits mindestens 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung gegen das Coronavirus immun. Seit dem Ausbruch der Pandemie hat das knapp 60-Millionen-Einwohner-Land offiziell rund 3,6 Millionen Infektionen registriert – die Dunkelziffer liegt nach Expertenangaben um ein Vielfaches höher.
Erste Untersuchungen deuteten zudem früh auf einen eher milden Krankheitsverlauf von Omikron im Vergleich zur Delta-Variante hin. Im Dezember gab das Nationale Institut für übertragbare Krankheiten (NICD) bekannt, dass das Virus wahrscheinlich weniger schwere Erkrankungen verursacht. Das Institut wies aber gleichzeitig darauf hin, dass der geringere Schweregrad auch mit der hohen Immunität innerhalb der Bevölkerung zusammenhängen könnte.
Eine Erkenntnis, die sich offenbar bestätigt hat. Auch die südafrikanische Gesundheitsexpertin Dr. Angelique Coetzee atmet nun erleichtert auf. Nachdem die Ärztin wochenlang mit Omikron infizierte Patienten behandelt hat, fällt ihr Fazit deutlich aus. "Mit Omikron kann ich leben, aber Delta möchte ich nie wieder erleben", sagt Coetzee gegenüber RTL.
Auch die wirtschaftliche Lage drängte Südafrika zu Lockerungen
Es scheint, als hätte das Land, in dem die Omikron-Variante entdeckt wurde, die Pandemie so gut wie überwunden. Doch nicht alle Experten teilen den Optimismus vieler Südafrikaner und gehen davon aus, dass jetzt alles besser wird. "Sicherlich ist das ein Szenario, über das wir potenziell nachdenken können. Aber gleichzeitig gibt es das Szenario, dass diese Variante durch etwas weitaus ansteckenderes ersetzt wird", erklärt Netcare-Chef Richard Friedland Chef gegenüber CNN. Netcare ist eine der größten privaten Krankenhausgruppen in Südafrika.
Klar ist auch: Die Regierung hatte nicht wirklich eine Wahl. Die Entscheidung, zur Normalität zurückzukehren, war auch eine Entscheidung das wirtschaftliche Überleben zu sichern. Die Arbeitslosenquote lag Ende vergangenen Jahres bei offiziell 34,9 Prozent. Nimmt man diejenigen hinzu, die die Suche nach einem Arbeitsplatz aufgegeben haben, liegt sie sogar bei 44,6 Prozent.
Vor allem die Tourismusbranche, die in Südafrika Hunderttausende Jobs sichert, ist schwer getroffen – nicht zuletzt wegen der Reisebeschränkungen, die viele Länder kurz nach der Entdeckung der Omikron-Variante gegen Südafrika verhängt hatten. Die meisten davon wurden inzwischen wieder aufgehoben, doch die Nachwirkungen bleiben.
Quellen: CNN-Bericht, mit dpa-Material