Rund eine Woche ist es her, dass Donald Trump mit seinem Auftritt vor der St. John's Episcopal Church in der US-Hauptstadt Washington die US-Öffentlichkeit irritiert hat - nicht zuletzt, weil er den Fußweg vom Weißen Haus zur Kirche durch einen massiven Polizei-Einsatz freiräumen ließ. Bei Kirchenvertretern und gläubigen Christen fragt man sich immer noch, warum in aller Welt der Präsident sein Kommen nicht angekündigt und dadurch viele Gläubige vor den Kopf gestoßen hat. Er hätte - trotz der wegen der Unruhen verbarrikadierten Türen und Fenster - offene Türen eingerannt. Denn nicht umsonst trägt St. John's den Beinamen "Kirche der Präsidenten".
"Wenn der Präsident einen Besuch angefragt hätte", zitiert das Politik-Portal "Slate" Kevin Eckstrom, den Pressesprecher der Washington National Cathedral - wie St. John's eine episkopale Kirche - wenn Trump also gefragt hätte, "etwa um Psalm 23, ein bekanntes Gedicht des Trostes, zu lesen, hätte ihn die Kathedrale aufgenommen." Noch mehr gilt das für St. John's selbst. In dem Gotteshaus gibt es seit seiner Eröffnung 1816 eine "Kirchenbank der Präsidenten", die Nummer 54. Die Kirchenführer verkauften sie, wie seinerzeit üblich, dem damaligen Präsidenten James Madison. Seither steht die Bank den Machthabern von der anderen Seite des Lafayette-Parks im Grunde jederzeit zur Verfügung.

Kein Wort aus dem Weißen Haus
Reverend Rob Fisher lässt daher keinen Zweifel daran, dass die St. John's-Kirche für einen Besuch Trumps unter vernünftigen Umständen offen gewesen wäre. Denn das war sie für alle Präsidenten in den vergangenen mehr als 200 Jahren. Doch nun gab es weder vor Trumps PR-Auftritt mit einer Bibel in der Hand noch danach irgendeine Kommunikation mit dem Weißen Haus, was den Rektor von St. John's besorgt.
Das Verhältnis zwischen den kirchlichen und den politischen Führern sei immer ein Balanceakt gewesen und habe stets "Bemühen von beiden Seiten des Parks" erfordert, so Fisher. Ob das auch in Zukunft so sei, sei nun unklar. Dass die Beziehung beendet sei, glaube er nicht. Aber es gibt auch keine Reaktion auf die tiefe Verärgerung der Episkopal-Bischöfin Mariann Budde - geäußert in mehreren Medien -, dass St. John's durch Trump einfach als PR-Kulisse missbraucht worden sei und man noch nicht einmal vorher gefragt wurde.
Donald Trump bricht auch mit dieser Tradition
Es ist nicht die erste Tradition, mit der Donald Trump während seiner Amtszeit gebrochen hat. Die meisten seiner Vorgänger zeigten größeren Respekt vor der quasi-offiziellen Präsidenten-Kirche - und nutzten diese als Ort des öffentlichen Gebetes in politisch bedeutenden Zeiten.
Abraham Lincoln soll in St. John's während des Bürgerkriegs immer wieder Ruhe gesucht haben. Franklin Roosevelt begründete in den 1930ern die Tradition einer privat organisierten Messe am Morgen der ersten Inauguration, die bis heute fortbesteht. Lyndon B. Johnson besuchte die Kirche am Tag nach dem Attentat auf Präsident John F. Kennedy (1963) und George H.W. Bush sowie Mitglieder seines Kabinetts beteten 1991 für den Erfolg der Operation "Desert Storm" im Zweiten Golfkrieg. Auch Robert Mueller, früherer FBI-Chef und Sonderermittler für eine mögliche Verbindung von Donald Trumps Wahlkampfteam nach Russland, suchte im vergangenen Jahr nach Veröffentlichung seines Ermittlungsberichtes göttlichen Beistand in St. John's.
"Was wir sahen war Propaganda"
In diese Reihe fügte Trump sich nicht. Dabei ist er auf die Unterstützung der gläubigen und streng gläubigen Christen zwingend angewiesen, wenn er im November zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt werden will. Es sei das erste Mal in der Historie gewesen, dass ein Präsident die Kirche besucht habe, ohne dass die Bibel, die der Präsident eher ungelenk in die Kameras hielt, auch nur geöffnet worden wäre, hieß es. "Er hat nicht einmal gebetet", echauffierte sich Bischöfin Budde, und es war kein Geistlicher während des Auftritts anwesend. Kirchensprecher Kevin Eckstrom ist immer noch konsterniert: "Was wir sahen, war Propaganda."