Das Bild ist ikonisch, perfekt in Szene gesetzt von den PR-Strategen im Weißen Haus. Donald Trump steht auf dem Truman-Balkon des Weißen Hauses. Er blickt hinab auf den Südrasen, in Richtung National Mall, die Sonne versinkt über der US-Hauptstadt. Der mächtigste Mann der Welt reißt sich demonstrativ seinen Mund-Nasen-Schutz vom Gesicht, salutiert und blickt dem Marine-One-Militärhubschrauber hinterher, der in diesem Moment abhebt und gen Süden abdreht.
Wenige Minuten zuvor ist Trump selbst aus diesem Helikopter ausgestiegen, zurückgekehrt aus dem Walter-Reed-Krankenhaus vor den Toren Washingtons. Dorthin war der US-Präsident zwei Tage zuvor gebracht worden, wegen einer Infektion mit dem Coronavirus. Routine, reine Vorsicht, hieß es damals aus dem Weißen Haus. Es bestehe kein Grund zur Sorge.
Wie schwer war der Covid-19-Verlauf von Donald Trump?
Genau dies soll an jenem 5. Oktober auch die Inszenierung von Trumps Rückkehr ins Weiße Haus vermitteln, live übertragen von Fernsehsendern in aller Welt: Der Präsident ist zurück. Er hat Covid-19 besiegt. Es war und ist alles im Griff. Wirklich? Daran gibt es jetzt erhebliche Zweifel.
Die "New York Times" berichtet, dass es um den Gesundheitszustand Trumps deutlich schlechter bestellt gewesen sei, als die PR-Leute im Weißen Haus mit der pompösen Show der Öffentlichkeit vormachen wollten. Der mächtigste Mann der Welt auf der Intensivstation? Weit weg von diesem Szenario standen die Vereinigten Staaten und damit auch die ganze Welt im vergangenen Herbst möglicherweise nicht.
Das Blatt stützt sich bei seinen Recherchen auf Informationen von vier namentlich nicht genannten und mit dem Gesundheitszustand des früheren US-Präsidenten vertrauten Personen.
Ihren Aussagen zufolge hat allein der niedrige Blutsauerstoffgehalt Trumps Anlass zu Sorge gegeben. Die Sättigung habe zwischenzeitlich nur noch 80 bis 90 Prozent betragen, wobei bereits ein Absinken der Werte in den niedrigen 90er-Bereich als schwerwiegend angesehen werden.
Auch Röntgenbilder von Trumps Lunge sollen gezeigt haben, dass es ernst war. Sie sei womöglich entzündet gewesen, zusammen mit anderen Symptomen sei dies ein Zeichen für einen akuten Krankheitsfall, heißt es in dem Bericht weiter.
Folgen von Coronavirus-Infektion heruntergespielt
Dass Trump am 2. Oktober, dem Tag seiner Einlieferung ins Walter-Reed-Militärkrankenhaus, unter Symptomen wie Fieber und Atembeschwerden litt, ist bereits bekannt. Dass es jedoch offenbar erheblichen Druck bedurfte, den Präsidenten zum Flug in die Klinik zu bewegen, ist neu. Die Informanten berichten der Zeitung, dass sich Trump zunächst vehement diesem Schritt verweigert habe. Erst als ihm Mitarbeiter gesagt hätten, dass der Secret Service ihn auch in die Klinik zwingen könnte, sollte sich der Gesundheitszustand weiter verschlechtern, habe der Präsident nachgegeben. Bis zum Zeitpunkt seines Abfluges ins Krankenhaus habe Trump bereits zweimal zusätzlichen Sauerstoff erhalten, räumte sein Arzt bereits im vergangenen Herbst ein.
Im Weißen Haus wuchs den "New York Times"-Informanten zufolge die Angst, dass Trump im Krankenhaus an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden müsse – derart besorgniserregend sei die Prognose gewesen, zumal Trump aufgrund seines Alters (74) und seines Übergewichts zur Risikogruppe für schwere Covid-19-Verläufe gehörte.
Die neuen Enthüllungen werfen abermals ein schlechtes Licht auf den Umgang mit der Wahrheit und der Öffentlichkeit von Trump und seinen Gefolgsleuten.
Bereits während des Krankenhausaufenthaltes des damaligen US-Präsidenten rückte sein Umfeld nur scheibchenweis und unvollständig Angaben zu dessen Gesundheitszustand heraus, obgleich seine Behandlung mit experimentellen und aggressiven Medikamentencocktails schon damals Zweifel an der Darstellung eines weitgehend harmlosen Covid-19-Verlaufs auslöste. "Es geht ihm gut", behauptete der behandelnde Arzt Sean P. Conley seinerzeit und musste wenig später eingestehen, dass er damit der Öffentlichkeit eine allzu rosige Version aufgetischt hatte. "Ich habe versucht, die optimistische Einstellung des Teams, des Präsidenten und seines Krankheitsverlaufs widerzuspiegeln", erklärte Conley.
"Zeichen dafür, dass Lunge nicht genug Sauerstoff aufnimmt"
Mark Meadows, der Stabschef des Weißen Hauses, versuchte zwischenzeitlich, Reportern heimlich mitzuteilen, dass die Situation schlimmer sei als dargestellt. Der Präsident sei daraufhin außer sich vor Wut gewesen, berichten die Quellen der "New York Times".
Trumps selbst übte sich dagegen während und nach seiner Erkrankung in Beschwichtigung – und verlor kein Wort über die mutmaßlich ernste Lage.
Dass der Krankheitsverlauf jedoch offenbar bedrohlicher war als öffentlich dargestellt, zeigte sich nach Einschätzung von Medizinern ausgerechnet bei Trumps Rückkehr-Choreografie am Weißen Haus. Ihre Beobachtung stützt die These eines schwerwiegenderen Krankheitsverlaufs. Trump habe zum Atmen seine Nackenmuskulatur eingesetzt, wollen sie beobachtet haben, schreibt die "New York Times". Und dies sei "ein klassisches Zeichen dafür, dass eine Lunge nicht genug Sauerstoff aufnimmt". Das konnten Trumps PR-Strategen bei ihrer Inszenierung am Ende nicht beeinflussen.
Quellen: "New York Times", Nachrichtenagentur DPA