Südamerika Das nächste Opfer der Kartelle: Ecuador versinkt in Drogengewalt

Ecuador: Gewalt vor laufender Kamera
Ein TV-Moderator in der Gewalt von Drogengangstern: In Ecuador eskaliert in diesen Tagen der Kampf der Kartelle.
© NTB / Imago Images
Gangster überfallen ein TV-Studio, Häftlinge nehmen Wärter als Geiseln, auf den Straßen wird geschossen: Warum die Drogengewalt in Ecuador jetzt eskaliert.  

Es ist kein Zufall, dass die jüngste Gewalteskalation in Ecuador von Guayaquil ausgeht. Die Hafenstadt an der Pazifikküste ist in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Umschlagplatz für Kokain aus Peru und Kolumbien geworden – den zwei Nachbarländern Ecuadors und größten Exporteuren der Droge weltweit. Etwa ein Drittel des in Europa sichergestellten Kokains kommt laut Ermittlern inzwischen aus Ecuador. Der Überfall eines Terrorkommandos auf ein Fernsehstudio in Guayaquil wirft jetzt ein Schlaglicht auf das massive Sicherheitsproblem im Land.

Ecuador: Gefängnisrevolten, Bombenanschläge, Entführungen

Am Dienstagnachmittag (Ortszeit) drangen maskierte und schwer bewaffnete Männer während einer Livesendung in ein Studio des staatlichen Fernsehsenders TC ein, nahmen Geiseln und verbreiteten eine Nachricht ihrer mutmaßlichen Auftraggeber: "Wir sind auf Sendung, damit Sie wissen, dass man nicht mit der Mafia spielt". Nach einer halben Stunde befreite ein Spezialkommando der Polizei die Geiseln und nahm 13 Männer gefangen – auch das vor laufenden Kameras. Zehn Menschen sollen bei dem Einsatz getötet worden sein. Doch das TV-Studio ist nur einer von vielen Schauplätzen des Drogenkriegs, der gerade eskaliert. 

In mehreren Städten wie Esmeraldas im Norden und der Hauptstadt Quito gab es Bombenanschläge und Entführungen von Polizisten. In sozialen Medien verbreitete Bilder zeigen regelrechte Straßenkämpfe zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gangstern, die mitten im Verkehr aufeinander schießen. In verschiedenen Gefängnissen nahmen Insassen Wärter gefangen, mehr als 130 Justizbeamte sollen sich derzeit in Geiselhaft befinden. Zwei ihrer Opfer sollen die Häftlinge vor laufenden Kameras getötet haben. Diese Angaben sind bislang aber nicht bestätigt. 

Ecuadors Präsident Noboa verhängt Ausnahmezustand

Auslöser der jüngsten Eskalation ist die Flucht von Adolfo "Fito" Macías aus einem Gefängnis in Guayaquil am Sonntag. Macías gilt als Kopf der Bande "Los Choneros", die das Drogengeschäft in der Region Guayaquil kontrolliert und nach Angaben der Bundespolizei in Ecuador dem mexikanischen Sinaloa-Kartell untersteht – einer der mächtigsten Verbrecherorganisationen der Welt, deren Ex-Chef Joaquín "El Chapo" Guzmán inzwischen in einem US-Gefängnis sitzt. Über die Niederlande drängt das Sinaloa-Kartell seit einigen Jahren auch auf den europäischen Drogenmarkt, warnen Ermittler von Europol.

Am Tag nach Adolfo Macías Flucht aus dem Gefängnis in Guayaquil verhängte Präsident Daniel Noboa den Ausnahmezustand und beauftragte die Armee damit, die Kontrolle über die Strafanstalten zu übernehmen. Denn die wahren Herrscher der Knäste sind die Drogenbanden, die im Schutz der Gefängnismauern ihre Geschäfte organisieren. Mit seiner Flucht wollte Bandenchef Macías offenbar der Verlegung in ein Hochsicherheitsgefängnis zuvorkommen, berichtet die "New York Times". Bei seiner Flucht sollen ihm seine Wärter geholfen haben. 

Adolfo Macias alias "Fito", Anführer der kriminellen Bande Los Choneros, bei der Verlegung in den Hochsicherheitskomplex "The Rock" in einem Gefängnis in Ecuador
Adolfo Macias alias "Fito", Anführer der kriminellen Bande Los Choneros, bei der Verlegung in den Hochsicherheitskomplex "The Rock" in einem Gefängnis in Ecuador
© ECUADOREAN ARMED FORCES / AFP
Meistgesuchter Häftling verschwunden – Ecuador verhängt Ausnahmezustand

Kann Ecuadors Armee die Drogenkartelle besiegen?

Die notorische Rechtlosigkeit in den Gefängnissen will Präsident Noboa künftig mit einem neuen Hochsicherheitsgefängnis beenden, in dem die Bandenchefs tatsächlich einsitzen müssen. Noboa ist erst seit November im Amt und hatte im Wahlkampf einen entschlossenen Kampf gegen die Drogenbanden und die Korruption versprochen. Jetzt aber scheint sein harter Kurs die Gewalt im Land noch anzuheizen.

Nach der Flucht Adolfo Macías erklärte Noboa am Dienstag per Dekret 20 namentlich genannte Drogenbanden zu Terrororganisationen und beauftragte die Armee mit deren Zerschlagung. Der Überfall auf das TV-Studio, die Revolten in den Gefängnissen und die offene Gewalt in den Straßen ist die unmittelbare Reaktion der "Narcos" auf die Kampfansage des Staates. In dem allgemeinen Chaos gelang am Dienstag auch einem anderen berüchtigten Gangsterboss die Flucht aus dem Gefängnis. Fabricio Colón Pico alias "Der Wilde" führt die Bande "Los Lobos" (Die Wölfe) an, die mit "Los Choneros" von Adolfo Macías verfeindet sind.

Ob Ecuadors Armee die Lage im Land unter Kontrolle bringen kann, ist ungewiss. In Mexiko eskalierte der Kampf der Kartelle um die besten Schmuggelrouten in die USA erst nach 2006, als der damalige Präsident Felipe Calderón das Militär eingreifen ließ. Seither fielen der Gewalt dort schätzungsweise mindestens 300.000 Menschen zum Opfer. In El Salvador dagegen ist es der Regierung zuletzt gelungen, die ausufernde Bandengewalt mit einem rigorosen Vorgehen einzudämmen.