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Alba Rodríguez Sie wurde vergewaltigt, verlor ihr Baby - und muss dafür 30 Jahre in Haft

El Salvador: Mordurteil, weil sie im fünften Monat ihr Baby verlor
Alba Rodríguez im Innenhof des Frauengefängnisses in Ilopango, San Salvador, El Salvador. Mehr als acht Jahre hat sie bereits hier verbracht – und ihre Töchter kaum mehr gesehen
© Nadia Shira Cohen/stern
Die Anklage: Mord durch Abtreibung. Das Urteil: 30 Jahre Gefängnis. Alba Rodríguez hatte ihr Baby durch eine Frühgeburt verloren, jetzt sitzt sie in El Salvador im Knast. Ein Gespräch über ihre Kinder, unmenschliche Gesetze und Hoffnung.

Es ist sieben Uhr morgens im Frauengefängnis Ilopango am Rand der Hauptstadt San Salvador. Über den bewaldeten Bergen geht die Sonne auf. Hunderte Besucher stehen vor der Anstalt an, einige schon seit Mitternacht. Wir werden durch eine Sicherheitsschleuse geführt, wo Wärter uns inspizieren, selbst Körperöffnungen und die Zwischenräume der Fußzehen. Im Innenhof stehen unter einem Mangobaum zwei weiße Plastikstühle. Eine Wächterin in grauer Uniform führt eine schmale Frau aus dem Trakt für Mörderinnen dorthin.

Alba Lorena Rodríguez Santos, 30 Jahre, trägt ihre langen Haare zurückgebunden und ein Hemd mit dem Logo des Gefängnisprogramms "Yo cambio" – Ich ändere mich. Sie ist eine von 25 Frauen im Gefängnis, die wegen Abtreibung zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Rodríguez hat zwei Töchter und ist Analphabetin.

Wie schön, dass ich mal Besuch bekomme.

Besucht Sie sonst keiner?

Selten. Amnesty International und meine Anwältin waren mal hier. Und ein paar Botschafter, auch der deutsche.

Was hat er gesagt?

Er war bestürzt, dass wir hier wegen vermeintlicher Abtreibung einsitzen. Er will für unsere Befreiung kämpfen.

Ich werde ihn danach fragen.

Bitte tun Sie das.

Seit wann sind Sie hier?

Seit Heiligabend 2009.

Wie viele Jahre haben Sie noch vor sich?

21. Bis Heiligabend 2039. Ich habe 30 Jahre bekommen.

So viel wie Massenmörder.

Sogar mehr. Ich wurde wegen Mordes in einem besonders schweren Fall verurteilt. Das ist dieselbe Kategorie wie Mord nach einer Vergewaltigung. Oder Mord nach einer Entführung.

Dieser Arzt ist einer von nur fünf im Land, die Abtreibungen vornehmen. Das Gesetz sieht auch für Mediziner, die Frauen helfen, hohe Haftstrafen vor
Dieser Arzt ist einer von nur fünf im Land, die Abtreibungen vornehmen. Das Gesetz sieht auch für Mediziner, die Frauen helfen, hohe Haftstrafen vor
© Nadia Shira Cohen/stern

In den Gerichtsunterlagen zu Ihrem Fall 220-1-2010 heißt es, Sie hätten einen heimtückischen Mord an Ihrem Neugeborenen begangen.

Ich habe mein Baby bei einer Fehlgeburt verloren. Es war keine Abtreibung. Schon gar nicht Mord.

Was ist passiert?

Ich war im fünften Monat schwanger und zu Hause in meiner Hütte in Agua Escondida, nicht weit von hier. Plötzlich setzten starke Schmerzen im Unterleib ein. Ich verlor mein Bewusstsein. Mein Baby kam frühzeitig zur Welt.

Die zu Hilfe gerufenen Polizisten sagten aus, der Fötus habe Gewaltspuren am Kopf gehabt. Auch die Autopsie A-09-974 weist auf Verletzungen am Schädel hin.

Womöglich als Folge des Sturzes, als ich bewusstlos wurde. Ich erinnere nichts. Es war eine Fehlgeburt. Ich war damals sehr schwach und hatte kaum gegessen. Meine Mutter war drei Wochen zuvor gestorben. Ich war depressiv.

Der Krankenhausbericht mit der Nummer 40945-09 weist tatsächlich darauf hin, dass sie eine "komplizierte Geburt" hatten. Warum, glauben Sie, wurden Sie trotzdem verurteilt?

Wenn Fälle dieser Art auf dem Tisch der Richter landen – mögliche Abtreibungen –, entscheiden sie gegen die Frauen. Sie haben Angst. Die Macht der Kirchen und Abtreibungsgegner in El Salvador ist groß.

Die Richterin verwies in Ihrem Urteil darauf – ich zitiere –, "dass die Angeklagte die Schwangerschaft verbarg". Die Unterstellung ist: Sie wollten Ihr Kind loswerden.

Warum habe ich dann bis zum fünften Monat gewartet? Hätte ich abtreiben wollen, hätte ich das doch gleich zu Anfang gemacht. Das habe ich auch im Gericht gesagt.

Ihre eigene Schwiegermutter Gloria Elvira Rivas de Miranda, in deren Haus Sie damals wohnten, hat vor Gericht ausgesagt, dass Sie nichts von der Schwangerschaft wusste.

Das stimmt. Aber sie kennt den Grund. Sie können sie danach fragen.

Auch Ihrem Mann sagten Sie nichts, der als Migrant in den USA lebt und Ihnen Geld schickte.

Das stimmt. Auch meine Töchter wussten nichts. Sie waren damals drei und sechs. Sie leben heute bei meiner Schwiegermutter. Ich habe sie seit acht Jahren nicht gesehen.

Gläubige beten die Jungfrau Maria an. Die katholische Kirche sowie Evangelikale bestimmen das gesellschaftliche Leben im Land. Das absolute Abtreibungsverbot aus dem Jahr 1998 wird von vielen gutgeheißen
Gläubige beten die Jungfrau Maria an. Die katholische Kirche sowie Evangelikale bestimmen das gesellschaftliche Leben im Land. Das absolute Abtreibungsverbot aus dem Jahr 1998 wird von vielen gutgeheißen
© Nadia Shira Cohen/stern

Alba weint jetzt. Sie weint häufiger während des Gesprächs. Man möchte sie in den Arm nehmen, aber jeder Hautkontakt ist verboten. Eine Wärterin wacht darüber.

Ich wollte nicht schwanger werden, das ist wahr. Und ich wollte keinem etwas sagen. Ich wurde dazu gezwungen vom Anführer der Mara, der Straßengang MS-13.

Zur Schwangerschaft gezwungen?

Zum Sex. Die Gangmitglieder sagen: "Sex – oder wir töten deine Kinder und Eltern." Das ist bei uns in den colonias, den Armenvierteln, ganz normal.

Die Maras sind eher bekannt dafür, dass sie töten, wenn man Schutzgelder nicht zahlt.

Sie töten für alles Mögliche: Wenn du deine Kinder nicht in die Gang gibst. Wenn du Sex verweigerst. So wurde ich schwanger. Aber mein Baby wollte ich austragen. Es gibt ohnehin keine Möglichkeit zur Abtreibung hier.

Das strikte Verbot gilt auch für Vergewaltigungen wie in Ihrem Fall.

Für alles. Ohne Ausnahme. Sexueller Missbrauch. Vergewaltigung. Inzest. Selbst wenn die Mutter in einer Risikoschwangerschaft vom Tod bedroht ist.

Warum haben Sie Ihre Vergewaltigung im Gericht nicht angeführt? Womöglich hätte es mildernde Umstände gegeben.

Aus Angst. Die Maras töten deine Familie, wenn du gegen sie aussagst.

Aber Sie sagen es jetzt mir.

Es ist die Wahrheit.

Soll ich das wirklich so schreiben?

Bitte schreiben Sie das.

Wie viele Frauen sind hier wegen Abtreibung inhaftiert?

Etwa 25. Am Anfang waren wir 17. Wir nannten uns "Las 17". Gerade kam Evelyn dazu. Sie ist 19 und erhielt ebenfalls 30 Jahre. Auch sie wurde von einer Gang zum Sex gezwungen und hatte eine Totgeburt.

Spenden für die inhaftierten Frauen in El Salvador

Sie können die inhaftierten Frauen unterstützen. Wir leiten Ihre Hilfe weiter: IBAN DE20 2007 0000 0469 9500 00

BIC DEUTDEHH – Stichwort "El Salvador"; www.stiftungstern.de

Der Fall hat weltweit Schlagzeilen gemacht. Vor allem, weil Evelyn Hernández so jung ist.

Davon kriegen wir hier drin nichts mit. Es gibt keinen Fernseher.

Gar nichts? Haben Sie zum Beispiel von der #MeToo-Bewegung gehört? Frauen, die sexuelle Übergriffe anprangern.

Nein. Das ist bestimmt wichtig, aber bei uns geht es um Vergewaltigungen und sexuelle Sklaverei.

Warum, glauben Sie, ist das Abtreibungsgesetz in El Salvador so strikt?

Wir sind ein Land, in dem die Kirche noch das Sagen hat. Und Politiker. Männer. Die müssten Sie fragen.

Ich habe mit Politikern der rechten Regierungspartei Arena gesprochen, die 1998 das rigide Abtreibungsverbot durchsetzten und in der Verfassung festschreiben ließen. Einige wollen das Strafmaß für Schwangerschaftsabbrüche sogar auf 50 Jahre erhöhen.

Dann wäre ich über 70. Dann sterben wir hier drin. Das Absurde ist: Ich bin gegen Abtreibung. Ich würde selber nicht abtreiben. Ich bin gläubig. Aber es gibt Situationen, in denen Frauen das Recht dazu haben sollten. Wie bei Mayra.

Mayra?

Sie sitzt da vorne. Mayra war Hausangestellte. Sie wurde vom Neffen ihrer Chefin zum Sex gezwungen. Oder Teodora. Sie verlor ihr Kind nach einem Überfall im Bus und sitzt schon seit elf Jahren ein. Oder Salvadora. Das ist die ganz Dünne dort an der Mauer. Sie wurde vom Anführer einer Gang erst zum Sex gezwungen und dann dazu abzutreiben.

Das ist erschütternd.

Wissen Sie, was fast noch erschütternder ist? Salvadora hält sich für schuldig. Sie sagt, sie hat das Kind durch die Abtreibung ermordet. Die Haft sei jetzt Gottes gerechte Strafe.

Eine Mutter versorgt ihr Neugeborenes im Nationalen Frauen-Hospital in San Salvador. Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern müssen Frauen auch bei Fehlgeburten melden
Eine Mutter versorgt ihr Neugeborenes im Nationalen Frauen-Hospital in San Salvador. Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern müssen Frauen auch bei Fehlgeburten melden
© Nadia Shira Cohen/stern

Das strikte Gesetz aber hat nichts erreicht. Im Gegenteil. Verzweifelte Frauen treiben heimlich ab. Sie gefährden ihr Leben.

Ich kenne Frauen, die das taten, indem sie in ihren Bauch schlugen. Manche gehen auch zu Heilern und Medizinmännern und trinken ein Wurzelgebräu. Aber das ist gefährlich. Und Ärzte dürfen ihnen nicht helfen.

Ich habe einen Arzt gesprochen, der Frauen hilft. Er ist Teil eines Untergrundnetzwerks von nur fünf Medizinern im Land, die Abtreibungen illegal durchführen.

Wie macht er das?

Er erhält die Abtreibungsmedizin von einer Organisation aus Holland.

Und wenn die Polizei ihn erwischt?

Drohen ihm fünf bis acht Jahre Gefängnis.

Sehen Sie. Es gibt Ärzte, die wollen kranke Schwangere gar nicht mehr behandeln, auch wenn sie nur eine Grippe haben. So war es bei mir. Sie haben Angst, im Fall einer Fehlgeburt wegen Beihilfe zum Mord angeklagt zu werden.

Was gibt Ihnen Hoffnung?

Dass ich früher rauskomme. Wie Maria Teresa, sie erhielt plötzlich Exil in Schweden. Und dass die Regierung das Gesetz ändert aufgrund des internationalen Drucks. Vor allem, dass ich meine Töchter endlich wiedersehe.

Sie weint wieder. Ihre Worte gehen nun in ein Stammeln über.

Wir sind keine Mörderinnen, das müssen Sie uns glauben, wir sind ganz normale Mütter. Wir haben unsere Babys verloren, das ist schlimm genug. Jetzt sehen wir unsere Kinder nicht, das ist nicht zu ertragen.

Wie alt sind Ihre Töchter?

14 und 11. Juana und Lizzeth. Als ich in Haft kam, waren sie noch klein.

Warum besuchen die beiden Sie nicht im Gefängnis?

Einmal kamen sie. Aber sie haben kein Geld für den Papierkram. Und ich möchte nicht, dass sie ihre Mutter im Gefängnis sehen. Sie müssen denken, dass ich tatsächlich eine Mörderin bin.

Was denken sie stattdessen?

Ich weiß es nicht. Fragen Sie die beiden. Ich fühle mich so schlecht. Ich kann ihnen keine Mutter sein. Ich kann sie nicht beschützen vor den Gangs. Ich kann hier drin kein Geld verdienen, um ihnen finanziell zu helfen. Sie sind sehr arm.

Albas Töchter Lizzeth, 11, (l.) und Juana, 14, (r.) mit Großmutter Gloria Elvira Rivas de Miranda, die für die Kinder sorgen muss. Der Vater lebt in den USA
Albas Töchter Lizzeth, 11, (l.) und Juana, 14, (r.) mit Großmutter Gloria Elvira Rivas de Miranda, die für die Kinder sorgen muss. Der Vater lebt in den USA
© Jan Christoph Wiechmann

Die Besuchszeit läuft ab. Alba Rodríguez wird abgeführt. Sie verschwindet hinter einem Eisentor.

Szenenwechsel. Aqua Escondida. Ein Armenviertel am anderen Ende der Hauptstadt. Eine Hütte aus Lehm. Das Dach aus Blech. Der Boden aus Zement. Zwei Zimmer. Albas Schwiegermutter Gloria Elvira Rivas de Miranda ist eine kleine, sehnige Frau, 58 Jahre. Ihre Enkelinnen Juana und Lizzeth tragen bunte Röcke und Blusen. An der Wand ein paar Familienfotos.

Ist das euer Vater auf den Fotos?

Lizzeth: Ja. Er ist in Amerika. Er hat dort eine neue Frau. Aber er schickt Geld.

Rivas: 75 Dollar im Monat. Davon leben wir.

Juana: Ich habe einen anderen Vater. Er wurde von den Gangs ermordet.

Ich sehe hier kein Foto von eurer Mutter.

Lizzeth: Von Alba? Ich habe keins.

Juana: Ich habe eins in meinem Handy.

Ihr nennt sie nicht Mama?

Lizzeth: Ich nenne meine Oma hier Mama.

Warum?

Lizzeth: Ich habe meine wirkliche Mutter lange nicht gesehen.

Vermisst du sie nicht?

Lizzeth: Doch, aber das Leben geht weiter. Sie kommt erst in 20 Jahren raus.

Juana: Ich vermisse sie.

Ich habe eure Mutter besucht. Sie vermisst euch sehr.

Juana: Wir können sie nicht anrufen. Nur sie kann das. Aber sie hat kein Geld dafür.

Rivas: Ich schicke ihr etwas, wenn ich kann, aber ich habe selber nichts. Ich verkaufe Obst.

Laut Unterlagen des Gerichts leben Sie von 0,89 Dollar am Tag.

Rivas: Es reicht für Reis und Bohnen und mal ein Hühnchen.

Was sagen Sie den Kindern über das Schicksal ihrer Mutter?

Rivas: Die Kinder wissen Bescheid. Fragen Sie sie ruhig.

Was wisst ihr?

Juana: Die Nachbarinnen sagen, unsere Mama hat ihr Baby getötet, unseren Bruder. Ich glaube das nicht.

Lizzeth: Ich auch nicht. Ich glaube, es ist ihr im Bauch gestorben.

Was sagt ihr euren Freundinnen?

Juana: Dass unsere Mama woanders arbeitet.

Lizzeth: Dass sie in Amerika ist.

Juana: Von Amerika sag lieber nichts, sonst wollen die Maras Geld von uns.

Was glauben Sie, Frau Rivas? Sie haben im Gericht als Zeugin gegen Ihre eigene Schwiegertochter ausgesagt.

Ich kenne die Wahrheit nicht. Alba war schwanger – nicht von meinem Sohn. Sie hatte dann eine Geburt. Das Baby war tot. Die Nachbarinnen sagten der Polizei, sie habe es erschlagen.

Alba sagt, sie wurde vergewaltigt. Und es war keine Abtreibung, sondern eine Fehlgeburt.

Rivas: Das kann sein. Sie war damals nach dem Tod ihrer Mutter sehr dünn. Sehr schwach. Sie aß nichts.

Es gibt viel Ungerechtigkeit in Lateinamerika, aber eine solche ist mir selten begegnet: Eine Frau wird vergewaltigt, hat eine Fehlgeburt und muss 30 Jahre in Haft.

Rivas: Ich bin gegen Abtreibung. Wir sind gläubig. Wir gehen jeden Tag in die Kirche.

Sie wären es auch im Fall einer Vergewaltigung?

Rivas: Gott liebt jedes Lebewesen. Das Baby trifft ja keine Schuld. Man kann es lieben – egal, was vorher geschah. Die Mehrheit in El Salvador denkt so.

Es gibt Bemühungen, das drakonische Gesetz zu ändern. Auch der Druck aus dem Ausland wächst.

Rivas: Das wird nicht funktionieren. Die Menschen sind gegen Abtreibung.

Warum besuchen die Kinder ihre Mutter nicht?

Rivas: Es ist zu teuer. Man muss Papiere beantragen. Man muss hinfahren. Es kostet 20 Dollar. Das habe ich nicht. Wenn die Maras zudem erfahren, dass ich dafür Geld habe, erpressen sie mich.

Die Maras erpressen auch die Ärmsten der Armen?

Rivas: Sie erpressen jeden. Hier bei uns im Viertel regieren die Letras.

Die Letras – Buchstaben – ist die Straßengang MS-13.

Rivas: Die anderen regieren gleich nebenan. Die Números. Hinter dem Haus ist die Grenze. Wir dürfen ihr Territorium nicht betreten.

Die Números – Zahlen – ist die Gang Barrio 18. Sie nehmen die echten Namen nicht in den Mund?

Rivas: Nein. Auf keinen Fall.

Alba Rodríguez: Sie wurde vergewaltigt, verlor ihr Baby - und muss dafür 30 Jahre in Haft

Wie zeigen die Maras ihre Macht?

Rivas: Jeder, der ein Geschäft hat, muss Schutzgelder zahlen. Den Jungen im Viertel befehlen sie, der Gang beizutreten. Den Mädchen, mit ihnen Beziehungen zu haben.

Wie beschützen Sie Ihre Enkelinnen?

Rivas: Ich versuche, sie im Haus zu halten.

Was sagen Sie den beiden?

Rivas: Sie wissen Bescheid. Sie müssen die Gefahren kennen. Sobald sie etwas älter sind, will ich sie zu ihrem Vater in die USA schicken. Er lebt in North Carolina.

Das ist eine gefährliche Flucht.

Rivas: Gefährlicher als hier kann es nicht sein.

Die USA erkennt Vergewaltigung und Flucht vor Gangs als Asylgrund seit Juni nicht mehr an.

Man muss es trotzdem versuchen.

Weiß Alba von den Plänen?

Rivas: Sagen Sie es ihr ruhig.

Juana: Sagen Sie ihr, dass ich sie vermisse.

Lizzeth: Ich auch.

Ich hoffe, ihr könnt es ihr selbst sagen. Wir bezahlen die Fahrt und die Gebühren.

Vier Monate später. Das Gefängnis Ilopango. Ein kühler Morgen. Nieselregen. Häftlinge überall im Hof. Laut einer Studie des rechtswissenschaftlichen Instituts FESPASD liegt die Überbelegung des Gefängnisses bei 968 Prozent. Alba Rodríguez trägt abgetragene Jeans und nur ein dünnes Hemd. Sie friert, begrüßt uns aber fröhlich.

Gute Nachrichten. Unsere Anführerin Teodora wird vorzeitig aus der Haft entlassen. Ich hoffe, dass ich die Nächste bin.

Ihre Anwältin sagte uns, die Chancen für das nächste Jahr stünden ganz gut.

Sie war vor Kurzem hier. Sie glaubt, die Regierung spürt den Druck. Aus der ganzen Welt setzen sich Frauen für uns ein. Haben Sie mit dem deutschen Botschafter gesprochen?

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Ja. Er sagt, er werde sich mit anderen Botschaftern weiter für Ihre Freilassung und die der anderen einsetzen. Für einen Botschafter ist er ungewöhnlich offensiv.

Ich muss freikommen. Ich muss. Ich habe meine Kinder gesehen. Es war wunderbar. Wir hatten einen halben Tag zusammen. Ich habe sie kaum wiedererkannt.

Was haben Sie gemacht?

Uns die ganze Zeit umarmt. Ich muss für sie da sein. Sie sind jetzt in dem Alter, in dem man Mädchen in El Salvador besonders schützen muss. Wissen Sie, was mich umtreibt? Die Regierung tut alles für den Schutz des ungeborenen Lebens. Aber nichts für den Schutz der lebenden Kinder.

Wer sind die Frauen da vorn, die uns so anstarren?

Maras. Weibliche Mitglieder der Gang MS-13. Sie sind Mörderinnen. Sie geben sogar damit an. Aber uns nennen sie Mata niños, Kindsmörderinnen. In der Hierarchie der Insassen sind wir ganz unten.

Was bedeutet das konkret?

Sie zwingen uns, ihre Wäsche zu waschen, zu nähen und für sie zu arbeiten. Auch ihre Haare zu waschen. Sogar ihre Füße.

Was passiert, wenn Sie es nicht tun?

Dann melden sie es ihren Banden draußen und drohen damit, unsere Familienmitglieder umzubringen.

Das ist ein Sklavensystem.

Wir haben keine Wahl.

Wie reagieren die Wärterinnen?

Denen ist es egal. Im Zweifel werden sie bestochen und richten sich nach den Anweisungen der Gangs. So wie draußen die Polizei.

Wie schützen Sie sich?

Wir Frauen von "Las 17" versuchen, ständig zusammenzubleiben, in einem Trakt zu schlafen, damit keine von uns isoliert wird. Wenn die Bedrohung besonders schlimm wird, benehme ich mich absichtlich schlecht. Ich komme dann in die "Isla", die Isolationshaft. Das ist nicht schön, aber besser, als Opfer der Maras zu werden. Wenn dieses Gespräch vorbei ist, werden sie mich verhören.

Spenden für die inhaftierten Frauen in El Salvador

Sie können die inhaftierten Frauen unterstützen. Wir leiten Ihre Hilfe weiter: IBAN DE20 2007 0000 0469 9500 00

BIC DEUTDEHH – Stichwort "El Salvador"; www.stiftungstern.de

Was bedeutet das?

Sie denken, ich bekomme Geld von Ihnen. Ich soll dann etwas an sie zahlen. Aber ich habe nichts. Also muss ich die Schulden abarbeiten.

Also ist mein Besuch kontraproduktiv?

Nein, wir brauchen die Aufmerksamkeit. Wir hoffen auf Druck, damit wir alle bald freikommen.

Wie ist sonst Ihr Alltag im Knast?

Es gibt das Programm "Yo cambio" – Ich ändere mich. Wir stellen Taschen und Ketten her und arbeiten in der Wäscherei. Ich habe etwas lesen und schreiben gelernt.

Ihre Töchter wollen in die USA fliehen.

Sie sagten mir bei dem Besuch, sie wollen auf mich warten. Aber wenn ich nicht rauskomme, sollen sie unbedingt fliehen.

Es kann sein, dass Sie Ihre Töchter dann nie wiedersehen.

Dafür sind sie in Sicherheit. Hier haben sie keine Zukunft. Vielleicht komme ich ja irgendwann nach.

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