Protestkundgebungen in ganz Frankreich haben den in diesem Ausmaß beispiellosen Konflikt der Justiz mit der Pariser Regierung am Donnerstag weiter angeheizt. Überall im Land versammelten sich vor Gerichten Tausende von Richtern, Anwälten und Justizangestellten, um gegen jüngste Vorwürfe von Staatschef Nicolas Sarkozy gegen die Justiz zu protestieren. Unterstützt wurden sie von der linken Opposition.
An den meisten der 195 Gerichte des Landes setzten Richter ihren seit einigen Tagen andauernden Bummelstreik fort. Sie vertagten den Großteil der Verhandlungen und wickelten nur besonders dringende Fälle ab. Der Pariser Appellationsgerichtshof schloss sich den Protesten an. In einer gemeinsamen Erklärung äußerten sich die Richter "zutiefst berunruhigt" über die Anschuldigungen Sarkozys.
Sarkozy hatte die Justiz nach dem Mord an einer jungen Frau ins Visier genommen, den ein mehrfach vorbestrafter Mann begangen haben soll. Er war vor einem Jahr aufgrund einer Entscheidung des Gerichts in Nantes auf Bewährung freigelassen worden. Nachdem am Dienstag vergangener Woche die zerstückelte Leiche der 18-jährigen Laetitia gefunden worden war, sprach Sarkozy von "Funktionsstörungen" der Justiz und drohte Strafen an.
Auf den Treppen des Pariser Justizpalasts versammelten sich über Tausend Demonstranten. Viele hielten Transparente mit Slogans wie "Gestern ignoriert, heute verachtet, morgen bestraft" in die Höhe. An der zentralen Kundgebung im westfranzösischen Nantes nahmen neben mehr als 2000 Justizvertretern führende Vertreter der Sozialistischen Partei (PS) teil. Auf Transparenten war zu lesen "Die Justiz in Gefahr - Ihre Rechte in Gefahr".
Sozialistenchefin Martine Aubry warf Sarkozy eine "Verunglimpfung" der Justiz vor. Zugleich forderte sie ihn auf, den demonstrierenden Justizbeamten eine "klare Antwort" zu geben. Der konservative Staatschef sollte noch am Abend in einer Fernsehsendung Fragen von Bürgern beantworten, bei denen es auch um die Richterproteste gehen dürfte.
Die Richter fordern schon seit Jahren ausreichende Mittel für eine angemessene Betreuung von Wiederholungstätern. Am Landgericht von Metz etwa sei ein Richter für die Akten von 4700 auf Bewährung freigelassenen Straftätern zuständig, sagte Benoît Devignot von der führenden Richtergewerkschaft USM. Auch die frühere sozialistische Justizministerin Elisabeth Guigou verlangte eine bessere Ausstattung der Justiz. Derzeit gebe Frankreich dafür nur 0,2 Prozent seines Bruttosozialproduktes aus, das Land liege damit unter 43 europäischen Staaten auf Stelle 37 - nur knapp vor Russland.
Die Richter warfen dem Justizministerium "Einschüchterungsversuche" vor. Sie reagierten damit auf ein Rundschreiben der Behörde, in dem die Gerichte aufgefordert wurden, zwei Mal am Tag die Namen der an den Protestaktionen beteiligten Richter aufzulisten. Dieses Vorgehen sei "skandalös" und werde die Proteste noch weiter anheizen, sagte ein Gewerkschaftssprecher.
Sarkozy hatte bereits in seinem Wahlkampf vor vier Jahren Maßnahmen zur besseren Überwachung von Wiederholungstätern angekündigt. Politische Gegner werfen dem Konservativen vor, er wolle nun die Empörung über den grausamen Mord an der jungen Laetitia mit Blick auf die nächste Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2012 ausschlachten.